"Jetzt gilt es"- Bastian Hermisson über die Konsequenzen aus dem Wahlsieg Trumps

Bastian Hermisson, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington DC.
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Bastian Hermisson

Der Wahlsieg Donald Trumps war Anlass, dass US-Büroleiter Bastian Hermisson beim Bundesparteitag der Grünen eine Rede hielt, die viel Zuspruch über Parteigrenzen hinaus gefunden hat. Hier sein Redemanuskript im Original.

"Liebe Freundinnen und Freunde,

am Dienstag haben die USA einen neuen Präsidenten gewählt. Donald Trump, dieser autoritäre Sexist, dieser rassistische Demagoge, dieser unerträgliche Narzisst wird nun der mächtigste Mann der Welt. Ein Mann, der keine Werte kennt, und dessen einziges Interesse die Stärkung seines eigenen Egos ist. Ein Mann, der für die Demokratie und ihre Institutionen nur Verachtung übrig hat, wird Präsident der Demokratie, der wir in Deutschland unsere eigene Demokratie zu verdanken haben. 

Allen, die nun hoffen, es wird schon nicht so schlimm kommen, kann ich nur sagen: Wacht auf! Hoffnung ist ein edles Gut, aber ein schlechter politischer Ratgeber. Trump hat eine Machtfülle wie kein US-Präsident seit Ronald Reagan.

Nein, es ist wahrhaft eine Zeitenwende, ein historischer Umbruch in der Geschichte des Westens, der vieles in Frage stellt. 

Wenn wir nicht genau schauen, was hier passiert ist, und die richtigen Lehren daraus ziehen, dann ist das kein gutes Omen für die Zukunft unserer eigenen Demokratien. 

Donald Trump steht für Wandel

Warum haben alle sogenannten Expertinnen und Experten das nicht kommen sehen? Weil nicht sein konnte was nicht sein durfte? 

Die Zeichen waren eigentlich schwer zu übersehen. Der massive Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen. Die tiefe wirtschaftliche, außenpolitische und kulturelle Verunsicherung breiter Bevölkerungsschichten in einer sich schnell wandelnden Welt. Das in allen Milieus verbreitete Gefühl, dass etwas faul ist im Staate Dänemark. Eigentlich kein Wunder, dass in solch einer Stimmung, die nach Wandel schreit, Hillary Clinton mit einer Botschaft des „Weiter so“ einen schweren Stand haben würde. Der Kandidat des Wandels war diesmal Donald Trump. 

Wir haben offensichtlich ein massives Problem mit der Selbstbezogenheit der progressiven Eliten. Das liberale Establishment in den USA hat das Verständnis vom eigenen Land, von großen Teilen der eigenen Gesellschaft verloren. 

Aber, liebe Freundinnen und Freunde, gerade wir Grüne sollten uns da an die eigene Nase fassen. Viele von uns gehören zu genau diesen Eliten. Grenzen überwinden wir gerne, um uns digital oder real in anderen Ländern mit Gleichgesinnten auszutauschen. Wir glauben dann, zu wissen wie die Welt tickt. Was moralisch richtig ist, wissen wir sowieso und schauen mitleidig auf die Teile der Gesellschaft, die noch nicht so weit sind. Die noch aufgeklärt gehören. Wir glauben, dass wir die besseren Argumente haben, die besseren Konzepte, und das sollte doch reichen. 

Raus aus der Filterblase

Tut es aber nicht! Diese Wahl hat gezeigt, dass wir im Postfaktischen Zeitalter angekommen sind. In den USA beziehen immer mehr Menschen ihre Informationen heute aus Sozialen Medien. Und dort nicht mehr in erster Linie von klassischen Leitmedien, sondern von Pseudo-Nachrichten-Seiten, in denen Realität und Fiktion nicht mehr zu trennen sind. Das wird aber alles als real empfunden, weil es das eigene Weltbild bestätigt. Wenn wir es nicht schaffen, aus diesen segregierten Kommunikationsräumen raus zu kommen und Brücken zu bauen, dann ist das eine ernsthafte Bedrohung unserer Demokratien.

Kurz gesagt: Wir müssen raus aus der Blase! Wir müssen raus aus unseren eigenen Facebook-Echokammern. Wir müssen erklären, zuhören, und mit Andersgesinnten Kontakt suchen. Sonst sind wir selbst Teil des Problems und nicht der Lösung.

Wer sich die Trump Wählerinnen und Wähler näher anschaut, der kommt zu einer weiteren Erkenntnis.

Soziale Fragen und die wachsende Schere zwischen Arm und Reich, trug definitiv zu steigender Wut auf das etablierte politische System in den USA bei. Aber es greift viel zu kurz, die Wahl von Donald Trump alleine als Ausdruck ökonomischer Frustration zu begreifen. 

Die weiße Arbeiterschicht, die Donald Trump gewählt hat, gehört ökonomisch überwiegend zur Mittelschicht. Aber sie wird von den progressiven Eliten als kulturelle Unterschicht betrachtet, um nicht zu sagen verachtet. White Trash, Hillbillies, Rednecks, Flyover Country, es gibt keinen Mangel an abwertenden Bezeichnungen für diese Leute. Irgendwann hat diese Schicht dann angefangen, die Verachtung der progressiven Eliten in eigenen Stolz umzukehren. Ihr bezeichnet uns als ignorant? Wir pfeifen auf Eure angebliche Wissenschaft und Eure überheblichen Statistiken. Wir lassen uns den Mund von Euch nicht weiter verbieten.

Bastian Hermisson - Rede Bundesparteitag 2016 - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

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Wir Grüne sollten nicht denselben Fehler begehen. Dazu müssen wir als Erstes den Duktus der moralischen Überheblichkeit ablegen! Nicht jede abweichende politische Meinung ist per se unmoralisch. Und schlechter Ausgebildete sind nicht dumm. 

Es geht nicht darum, in den Dialog mit einem harten rassistischen Kern einzusteigen. Aber es liegt an uns, einen respektvollen und offenen Umgang mit allen anderen zu pflegen, die aus uns fremden Milieus kommen, ihnen zuzuhören, sie ernst zu nehmen. Das muss eine Lehre sein.

In einem Punkt sind uns übrigens die Rechten, die Antidemokraten von Trump bis zur AfD übrigens voraus. Sie fühlen sich als Teil einer Bewegung, auch über Grenzen hinweg. Gegen die Eliten, gegen die wirtschaftliche und kulturelle Globalisierung, gegen offene Grenzen, gegen eine offene Gesellschaft. 

Wie beim Brexit: Alt gegen Jung

Hillary Clinton hat es nicht geschafft, dem etwas entgegen zu setzen. Sie hatte für jede Zielgruppe ein paar Programmpunkte parat, aber kein überzeugendes Narrativ.

Für uns heißt das: Wir brauchen den Mut für eine eigene klare Vision der Welt und für klare Botschaften des Wandels. Der distopischen Erzählung der Rechten sollten wir eine utopische liberale Erzählung entgegensetzen, unterlegt mit konkreten Projekten, die Orientierung vermitteln und Zuversicht. Solche Projekte können dann Andockpunkte für progressive soziale Bewegungen sein, auf beiden Seiten des Atlantiks. 

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass eine knappe Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner am Dienstag Hillary Clinton gewählt hat. Trump hat die Wahl nur aufgrund des anachronistischen amerikanischen Wahlsystems gewonnen. Die breite Mehrheit der jungen Leute hat Hillary Clinton gewählt. Genau wie beim Brexit hat die ältere Generation der jüngeren die Zukunft verbaut. Was Clinton nicht geschafft hat, ist genug junge Leute an die Urnen zu bringen. Das wird nächstes Jahr in Deutschland hoffentlich nicht passieren. Dazu müssen alle demokratischen Parteien, und gerade auch wir Grünen, ihre Anstrengungen verstärken, den Dialog mit jungen Leuten zu suchen, ihnen zuzuhören, ihre Anliegen zu vertreten und ihre Unterstützung zu gewinnen. Der Jugend gehört die Zukunft, liebe Freundinnen und Freunde. 

Mehr Austausch zwischen Europa und den USA

Noch ist die Demokratie in den USA nicht am Ende und auch der Westen nicht. Als lebendige Demokratie haben die USA weiterhin die Fähigkeit zur Selbstkorrektur und viele Akteure, die diese Aufgabe wahrnehmen können und wollen. 

Die transatlantischen Beziehungen leben von den Verbindungen unserer vielfältigen Gesellschaften miteinander. Wir brauchen jetzt mehr und nicht weniger Austausch zwischen Deutschland, Europa und den USA. Unsere demokratischen Partnerinnen und Partner auf der anderen Seite des Atlantiks brauchen gerade jetzt unsere Solidarität und noch besser die Zusammenarbeit mit uns!

Zuletzt müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, dass mit der Wahl von Donald Trump auch das vorläufige Ende der Pax Americana eingeläutet ist, der Weltordnung wie wir sie kennen. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die USA weiterhin ihre Rolle als Garant der europäischen Sicherheit, als Feuerlöscher internationaler Krisenherde, als Mittler internationaler Abkommen und Treiber einer offenen Weltwirtschaft spielen werden. Das wird ein machtpolitisches Vakuum schaffen, in das andere Akteure wie Russland oder China nur zu gerne vordringen werden. 

Deutschland hat eine Schlüsselrolle

Was heißt das für uns Grüne? Zunächst mal, dass die Rolle und die Verantwortung Deutschlands ungleich größer wird. Wir haben uns diese Rolle nicht ausgesucht, aber wir werden sie wahrnehmen müssen. Der große Bruder wird es nicht mehr richten. 

Deutschland und die Europäische Union müssen nun wieder in die Vorderhand kommen, was Klimapolitik angeht und hier eine globale Führungsrolle wahrnehmen. Was die Bundesregierung in Marrakesch gerade macht, ist das Gegenteil. Deutschland muss auch eine Führungsrolle wahrnehmen beim weltweiten Einsatz für Demokratie und Menschenrechte statt Waffen nach Saudi-Arabien zu liefern. Wir müssen uns bewusst werden, wie sehr es an uns hängt, die Europäische Union zusammen zu halten und zu stärken. Und Deutschland braucht dringend eine gesamtgesellschaftliche Debatte über Sicherheitspolitik, die sich nicht im Wolkenkuckucksheim abspielt. Wie wollen wir als Deutsche und Europäer unsere Sicherheit gewährleisten angesichts der Drohgebärden und zunehmenden Destabilisierung europäischer Gesellschaften durch Russland? Was können wir beitragen, um die Europäische Union in die Lage zu versetzen, Stabilität in ihrer südlichen Nachbarschaft zu sichern? Vieles davon sind unbequeme Fragen, auch für uns Grüne. Aber wir können und dürfen ihnen nicht länger ausweichen. 

Jetzt gilt es zuzuhören

Liebe Freundinnen und Freunde, 
jetzt gilt es wirklich. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Wer weiß, was im nächsten Jahr in Frankreich passieren wird. Ich kann Euch mit Blick auf die kommende Bundestagswahl und die AfD nur sagen: Jetzt ist nicht die Zeit für Kleinmut. Jetzt ist auch nicht die Zeit für kleinliche parteipolitische Flügelkämpfe. Jetzt heißt es gemeinsam für das einzutreten, was uns eint. Unsere liberalen Demokratien. Unsere offenen Gesellschaften. Unsere Freiheit. Wir müssen den Gegenpol zu den Feinden der offenen Gesellschaft bilden. Wer soll es denn sonst tun? 

Gerade wir Grüne dürfen es uns jetzt nicht bequem machen.

Wir dürfen uns nicht auf Umfragen verlassen. Wir dürfen uns nicht auf unser progressives Umfeld verlassen. Demokratie ist harte, beständige Arbeit, und jetzt gilt es, die Ärmel hochzukrempeln. Jetzt gilt es, täglich einzutreten für unsere Überzeugungen. Jetzt gilt es zuzuhören. Jetzt gilt es, Allianzen zu bilden mit anderen Demokratinnen und Demokraten, auch über politische Gräben hinweg. Jetzt gilt es, die Zusammenarbeit mit unseren Freundinnen und Freunden auf der anderen Seite des Atlantiks zu stärken. Jetzt gilt es.

Vielen Dank."