G20 und die Investitionspolitik

Die G20 wirbt gegenwärtig für ein neues Investitionsmodell, von dem sie sich leiten lassen will, und fordert die Welt auf, dieses Modell zu übernehmen. Welche Ziele formuliert die G20? Was bedeutet Investitionen eigentlich? Welche Ziele wurden erreicht? Und wie sollte sich G20 in Zukunft in diesem Themenbereich aufstellen?

1. Welche Ziele und Zusagen formuliert die G20 zu diesem Themenbereich?

Die G20 wirbt gegenwärtig für ein neues Investitionsmodell, von dem sie sich leiten lassen will, und fordert die Welt auf, dieses Modell zu übernehmen. Es sieht billionenschwere Investitionen, vor allem in nationale und grenzüberschreitende Vorhaben sowie in den Aufbau und die Entwicklung von Infrastruktur, vor und soll damit zur Ankurbelung der Weltwirtschaft beitragen und Arbeitsplätze schaffen. Der Plan, mit dem dies bewerkstelligt werden soll, trägt den Titel „From Billions to Trillions: Transforming Development Finance“1. Darin wird gezeigt, wie die multilateralen Entwicklungsbanken die immensen Mittel, insbesondere von Rentenfonds und Versicherungsgesellschaften, aber auch von anderen langfristig orientierten institutionellen Anleger/innen nutzbar machen sollen. Die G20 beteuert, dieser Plan unterstütze die neuen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, vor allem im Hinblick auf die Infrastrukturziele (siehe #10 Ein Plan für eine neue Welt in dieser Themenreihe).

Nach Vorstellung der G20-Mitgliedsstaaten und der internationalen Organisationen, die sie in ihren Bemühungen unterstützen, beleben weltweite Investitions- und Infrastrukturprojekte den Handel und führen damit zu Wirtschaftswachstum, neuen Arbeitsplätzen und mehr Produktivität. Diese Überzeugung wird seit Jahren mantraartig wiederholt.

  • Nach ihrem Gipfeltreffen in Australien erklärten die Staats- und Regierungschef/innen der G20: „Unsere Wachstumsstrategien umfassen wesentliche Investitionsinitiativen, darunter Maßnahmen zur Stärkung öffentlicher Investitionen und zur Verbesserung des Finanz- und Investitionsklimas in unseren jeweiligen Ländern, was für die Einwerbung neuer privatwirtschaftlicher Investitionsmittel von grundlegender Bedeutung ist.“2 Beim selben Gipfel formulierte die G20 auch das ehrgeizige Ziel, das Bruttoinlandsprodukt der G20-Staaten bis 2018 um mindestens zwei Prozent zu steigern.

  • Beim G20-Gipfel in der Türkei 2015 bekräftigten die Finanzminister und Zentralbankpräsidenten, dass die Steigerung von Investitionen oberste Priorität habe.

  • 2016 beim G20-Gipfeltreffen im chinesischen Hangzhou wurde dieses Mantra wiederholt – Handel und Investitionen nahmen im Kommuniqué der Staats- und Regierungsoberhäupter eine prominente Stelle ein und wurden mit neuen Zusagen verknüpft.

Beim nächsten Gipfeltreffen, das 2017 in Hamburg stattfindet, dürfte US-Präsident Donald Trump die Umsetzung des G20-Plans zur Werbung um privatwirtschaftliche Investitionen institutioneller Anleger/innen weiter beschleunigen. Während seines Wahlkampfs stellte Trump den Unternehmen Steuererleichterungen in Aussicht, um über einen Zeitraum von zehn Jahren eine Billion US-Dollar für Infrastrukturinvestitionen zu mobilisieren3.

Seit vielen Jahren werden die Themen der G20 in zwei verschiedenen Arbeitssträngen bearbeitet: Während sich der exklusive Finanz-Track der G20-Finanzminister und Zentralbankpräsidenten vor allem mit Finanzthemen und makroökonomischen Fragen befasst, ist für Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsfragen der sogenannte Sherpa-Track zuständig, dem die engsten Mitarbeiter/innen der G20-Staatsoberhäupter angehören. Somit werden diejenigen, die in Wirtschafts- und Finanzfragen entscheiden, von den aus ihrer Sicht „weichen“ nichtfinanziellen Themen isoliert, die im Sherpa-Track bearbeitet werden. Dieses zweigleisige Denken der G20 wird durch externe Organisationen wie die OECD und die Weltbank, die mit der G20 zusammenarbeiten, noch verstärkt. Trotz der erklärten Absicht der chinesischen G20-Präsidentschaft, Investitionen, Handel und Infrastruktur und – zum ersten Mal – auch die Nachhaltigkeitsziele in den Vordergrund ihrer Agenda zu stellen, wird im Kommuniqué von 2016 deutlich, dass durch diese Trennung zwischen „harten“ und „weichen“ Themen die politische Inkohärenz innerhalb der G20 institutionalisiert ist und bleibt.4

Unter der Überschrift „Robuster Welthandel und solide internationale Investitionen“ nehmen die Staats- und Regierungschef/innen der G20 in ihrem Kommuniqué des Gipfeltreffens in China „mit Sorge das langsame weltweite Handels- und Investitionswachstum zur Kenntnis“ und verpflichten sich „zum Ausbau einer offenen Weltwirtschaft durch ein Hinarbeiten auf Erleichterungen und Liberalisierungen“5. Hierfür billigten sie die Leitsätze der G20 für die Gestaltung globaler Investitionspolitik6.

Unter der Überschrift „Integrative und vernetzte Entwicklung“, die sich unmittelbar an den oben zitierten Abschnitt anschließt, geben die Staats- und Regierungsoberhäupter in entwicklungsorientierten Worten verschiedene handels- und investitionspolitische Selbstverpflichtungen ab. Dort heißt es: „Wenn unser Wachstum stark, nachhaltig und ausgewogen sein soll, darf es niemanden ausschließen. Wir sind entschlossen, dafür zu sorgen, dass die Früchte unseres Wachstums alle Menschen erreichen und das Wachstumspotenzial von Entwicklungsländern und einkommensschwachen Ländern maximieren. In diesem Zusammenhang setzen wir die nachhaltige Entwicklung weit oben auf die G20-Agenda.”7 Dieser Abschnitt enthält:

  • die Selbstverpflichtung der G20, ihre Arbeit an den Nachhaltigkeitszielen auszurichten,

  • die Ankündigung einer G20-Initiative zur Förderung der Industrialisierung in Afrika und in den am wenigsten entwickelten Ländern,

  • die Bekräftigung des Bekenntnisses zur qualitativen Förderung von Investitionen im Bereich Infrastruktur,

  • die Billigung der globalen Allianz zur Vernetzung von Infrastruktur8, die die regionalen Infrastruktur-Masterpläne weltweit vernetzen soll.

2. Was bedeutet „Investitionen“? Warum ist dieses Thema wichtig?

Nach einhelliger Meinung von Ökonom/innen tragen solide und langfristig tragfähige Inlandsinvestitionen und ausländische Direktinvestitionen zu einem robusten Handel bei, der das Wirtschaftswachstum anregt. Ausländische Direktinvestitionen sind Investitionen, mit denen Investor/innen langfristige Beteiligungen an Unternehmen außerhalb ihres Heimatlandes erwerben. Eine positive Wirkung solcher Direktinvestitionen besteht darin, dass sie verschiedene Volkswirtschaften auf effiziente Weise miteinander vernetzen und zur Entwicklung lokaler Unternehmen – auch kleiner und mittlerer Unternehmen – beitragen können. Durch den Transfer von Technologien und Know-how zwischen den Empfänger- („Gastländern“) und den Geber- („Heimatländern“) können sie außerdem Innovationen verbreiten und Arbeitsplätze schaffen. Für die Gastländer ergeben sich möglicherweise Chancen, ihre Erzeugnisse verstärkt auf dem internationalen Markt bekannt zu machen.9

Beim Wettbewerb um ausländische Direktinvestitionen kommt es immer wieder zu Fehlentwicklungen. Um für solche Direktinvestitionen attraktiv zu sein, überbieten Länder sich häufig darin, Anleger/innen das Investieren so leicht wie möglich zu machen, indem sie Betriebsgenehmigungen schneller erteilen, Zollbestimmungen lockern und dafür sorgen, dass Arbeitskräfte leichter eingestellt und entlassen werden können. Sind sie darin erfolgreich, werden sie mit einer guten Note im Doing Business-Ranking der Weltbank10 belohnt. Bei diesem Abwärtswettlauf vernachlässigen die Staaten allerdings ihre Aufgabe, Beschäftigte und Umwelt zu schützen und Anleger/innen zu einem verantwortungsvollen Geschäftsgebaren anzuhalten. Obwohl ein unabhängiges Gremium11 die Annahme des „Doing Business Report“ infrage gestellt hat, wonach der Abbau von Vorschriften zu Wachstum und Entwicklung führe, ist die Laissez-faire-Mentalität nach wie vor fest in den Handlungsprämissen der internationalen Organisationen verankert, die das Wirtschaftswachstum fördern wollen.

Die Regeln für ausländische Direktinvestitionen legen die Länder unter anderem durch internationale Investitionsabkommen fest. Gegenwärtig sind auf bilateraler, regionaler und internationaler Ebene über 3.200 solcher Investitionsabkommen in Kraft. Sie kommen unsystematisch zustande, weil jeder Versuch eines weltweiten Investitionsabkommens derzeit aussichtslos ist. Während internationale Investitionsabkommen Standards dafür festschreiben sollen, wie das Gastland mit ausländischen Investor/innen umgeht, werden durch moderne Investitionsabkommen grenzüberschreitende Investitionen immer stärker liberalisiert. Dabei sind manche Abkommen fortschrittlicher als andere und beziehen die nachhaltige Entwicklung, den Umweltschutz, arbeitsrechtliche Standards und freiwillige Initiativen der Industrie ein. Generell aber schränken sie die Möglichkeiten des Gastlandes zur Änderung bestehender Gesetze ein, damit die Investor/innen vor möglichen Kosten für die Einhaltung neuer Gesetze geschützt werden.

Internationale Investitionsabkommen gewähren ausländischen Investor/innen weitere Sonderrechte: So geben zum Beispiel die in internationalen Investitionsabkommen vereinbarten Mechanismen zur Streitbeilegung zwischen Investor/in und Staat (investor-state dispute settlement, ISDS) ausländischen Privatanleger/innen das Recht, Regierungen von Gastländern wegen der Verletzung ihrer durch diese Abkommen geschützten Interessen zu verklagen – und zwar selbst dann, wenn sie selbst nicht Vertragspartei dieser Abkommen sind. Dies verschafft ausländischen Investor/innen einen Vorteil gegenüber inländischen Anleger/innen. In den vergangenen Jahren haben Investor/innen ihre ISDS-Sonderrechte genutzt, um eine Vielzahl von Gesetzen der Gaststaaten anzufechten.12 Nach Angaben der UNCTAD sahen sich Gastländer mit Forderungen von bis zu 114 Milliarden US-Dollar konfrontiert und wurden zu Schadenersatz im Umfang von bis zu 50 Milliarden US-Dollar verurteilt.13 Kurzum: Solche Abkommen stellen die Liberalisierung der Investitionsregeln und den Schutz von Anlegerinteressen über berechtigte Belange des Gemeinwohls, über die Pflichten der Investor/innen und die Rechte von Bürger/innen.

In China mussten die Staats- und Regierungschef/innen und die Handelsminister/innen der G20 einräumen, dass sie ihr Wachstumsziel verfehlt haben: Der Welthandel verlangsamte sich „von einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von sieben Prozent zwischen 1990 und 2008 auf weniger als drei Prozent zwischen 2009 und 2015“14. Zum Teil ist dies auf den verstärkten Protektionismus unter den G20-Staaten zurückzuführen, der den Handel stark beeinträchtigt hat. Die reichen Staaten haben mehr Maßnahmen auf die Öffnung für ausländische Investitionen als auf die Ausweitung des Handels verwendet. Trotzdem sind die Investitionsdaten und die Prognosen für Inlandsinvestitionen und ausländische Direktinvestitionen rückläufig.15 Angesichts der schlechten Wirtschaftsleistung der G20 sahen sich die G20-Staaten genötigt, sich 2016 im Aktionsplan von Hangzhou16 zu neuen Strukturreformen zu verpflichten, um die Investitionstätigkeit und den Handel weiter zu liberalisieren.

3. Welche Fortschritte wurden bisher erzielt, und welche Herausforderungen gibt es bei diesem Thema?

Die Leitsätze der G20 für die Gestaltung globaler Investitionspolitik17. In Form einer Neun-Punkte-Erklärung formulieren die Leitsätze das Ziel, weltweit ein offenes, transparentes und investitionsfreundliches politisches Umfeld, eine kohärente nationale und internationale Politik, ein integratives Wirtschaftswachstum und eine integrative, nachhaltige Entwicklung zu unterstützen. Zudem gibt es Anzeichen für den Versuch, den oben angesprochenen Dauerdualismus von „harten“ Finanzthemen und „weichen“ nichtfinanziellen Themen innerhalb der G20 zu überwinden. Die UNCTAD nannte die von ihr unterstützte Billigung der Leitsätze durch die G20 einen „Meilenstein“18.

Leider verdienen die neun kurzen Leitsätze es einstweilen nicht, von der UNCTAD so großzügig etikettiert zu werden. Eher erinnern sie an einen Weihnachtsbaum, der mit neun verschiedenen Kugeln geschmückt ist, die jeweils für verschiedene Sichtweisen der Beteiligten stehen. Es wird nur knapp vermerkt, dass diese Leitsätze zusammen betrachtet werden und als Bezugspunkt für die nationale und internationale Politikgestaltung dienen sollen – nicht ausgeführt werden indes die Grundkonzepte oder etwaige Vorschläge, wie die G20 die Leitsätze bei der Umsetzung ausbalancieren, oder nach Prioritäten ordnen könnte. Das Gros der Arbeit hatte allerdings auch schon die UNCTAD geleistet, indem sie in ihrem Investitionspolitischen Ordnungsrahmen für nachhaltige Entwicklung19 die zehn Punkte umfassenden Investitionspolitischen Leitsätze festgelegt und mit Leitlinien für deren Konkretisierung verbunden hatte. Warum hat sich die G20 nicht dem ausgewogenen und umfassenden Ordnungsrahmen der UNCTAD angeschlossen?

Investitionsabkommen und nachhaltige Entwicklung. Die UNCTAD stellt sich eine neue Generation von Investitionsabkommen und politischen Investitionsstrategien vor, die beim Werben um Investitionen das integrative Wachstum und eine nachhaltige Entwicklung in den Mittelpunkt stellen. Sie spricht sich dafür aus, die Liberalisierung der Investitionsregeln und den Schutz der Anlegerinteressen auf der einen Seite und berechtigte Gemeinwohlbelange sowie die Pflichten der Investor/innen auf der anderen Seite zum Ausgleich zu bringen.

Einige positive Beispiele für internationale Investitionsabkommen aus der jüngsten Zeit lassen die Zukunft in Ansätzen erahnen. So enthält zum Beispiel das norwegische Muster für ein bilaterales Investitionsabkommen20 Klauseln, die die Absenkung von Standards verhindern und das Regelungsrecht des Gastlandes festschreiben. Das Muster für bilaterale Investitionsabkommen der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC)21, einer Regionalorganisation mit 14 Mitgliedsstaaten22, nennt als Bezugspunkt für die Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung und das Vorsorgeprinzip23 die Leistungsstandards der IFC24. Die G20 ist durchaus in der Lage, mehr für die Förderung fortschrittlicher Investitionsabkommen zu tun, die die Leitsätze der UNCTAD aufgreifen. Sie sollte auch dafür sorgen, dass internationale Investitionsabkommen nicht mit den geplanten Emissionsreduktionen der Länder (den angestrebten nationalen Klimaschutzbeiträgen, INDC) im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens in Konflikt geraten.

Das Recht der Staaten, im Interesse berechtigter Gemeinwohlbelange Investitionen durch Vorschriften zu regulieren, verdient eingehendere Beachtung durch die Staats- und Regierungschef/innen der G20. Die Leitsätze der UNCTAD erkennen das Recht des Gastlandes an, die Eintritts- und Betriebsbedingungen für ausländische Direktinvestitionen im Interesse des Gemeinwohls oder der nationalen Sicherheit oder zur Minimierung möglicher nachteiliger Auswirkungen solcher Investitionen durch Vorschriften zu regeln. Sie sollten für die G20 der Ausgangspunkt sein.

Priorität sollte dabei die Reform der ISDS-Mechanismen in Investitionsabkommen haben. Die neuen Klimaschutzmaßnahmen und -gesetze von Gastländern, die aufgrund der Emissionsreduktionsverpflichtungen dieser Länder anstehen, könnten das nächste Ziel juristischer Angriffe durch Investor/innen werden.25

Investitionen und die Nachhaltigkeitsziele. Bei ihrem chinesischen Gipfeltreffen begrüßte die G20 die globale Allianz zur Vernetzung von Infrastruktur, die 2016 gegründet wurde und „Synergien und Zusammenwirken zwischen verschiedenen Programmen zur Vernetzung von Infrastruktur auf ganzheitliche Weise verbessern soll“26. Die multilateralen Entwicklungsbanken sollen diese Initiative unterstützen und absichern. Vernetzte Infrastrukturen – sei es innerhalb eines Landes oder über Landesgrenzen hinweg – sind eindeutig das neue Lieblingskonzept der G20, wenn es darum geht, eine nachhaltige Entwicklung und gemeinsamen Wohlstand zu erreichen. Belastbare Infrastrukturen gehören auch zu den erklärten Zielen im Rahmen des Nachhaltigkeitsziels 9, und Investitionen in Infrastruktur könnten den Ländern dabei helfen, dieses und andere Nachhaltigkeitsziele zu verwirklichen. Ob es einen festen Zusammenhang zwischen Infrastrukturinvestitionen und Wirtschaftswachstum gibt, wissen wir allerdings nicht – wissenschaftliche Untersuchungen zu chinesischen Infrastrukturinvestitionen legen nahe, dass dieser Zusammenhang eher locker ist, und halten in diesem Zusammenhang in China eine infrastrukturbedingte nationale Finanz- und Wirtschaftskrise für möglich.27 Bereits jetzt ist klar, dass die Idee der grenzüberschreitenden Vernetzung unausweichlich zu Groß- oder Megaprojekten führen wird – eine besondere Obsession der G20. Expert/innen warnen, dass solche Projekte „immer wieder den Budget- und Zeitrahmen sprengen“28. Um klar zu formulieren, wie der Beitrag der G20 zur Investitionstätigkeit mit den Nachhaltigkeitszielen in den einzelnen Sektoren in Einklang gebracht werden soll, bedarf es weiterer Anstrengungen. Den multilateralen Entwicklungsbanken kommt eine wichtige Rolle zu, wenn es darum geht, das Engagement der G20 im Rahmen der Nachhaltigkeitsziele – einschließlich einer belastbaren Infrastruktur – zu unterstützen.

Ein Schwerpunkt: Industrialisierung in Afrika. Besondere Erwähnung verdient die G20-Initiative zur Förderung der Industrialisierung in Afrika und in den am wenigsten entwickelten Ländern29, denn Deutschland hat ein starkes Interesse daran bekundet, diese Initiative zu einem Schwerpunkt seiner anstehenden G20-Präsidentschaft zu machen. Im Rahmen dieser Initiative verpflichtet sich die G20,

  • im Einklang mit den Zielen der Agenda 2030 und des Pariser Klimaschutzabkommens und mit den von den Ländern angestrebten nationalen Klimaschutzbeiträgen zur Emissionsreduzierung Investitionen in nachhaltige und sichere Energien, erneuerbare Energieträger und Energieeffizienz sowie eine nachhaltige und belastbare Infrastruktur und Industrie in Afrika und den am wenigsten entwickelten Ländern zu fördern,

  • Ländern und Gemeinschaften dabei zu helfen, die mit dem Klimawandel verbundenen Gefahren vorherzusagen und sich auf diese Gefahren einzustellen,

  • Afrika und die am wenigsten entwickelten Länder bei einer Industrialisierung zu unterstützen, die den Regeln der Welthandelsorganisation entspricht,

  • Infrastrukturlücken, Bedarf und Finanzierungserfordernisse für nachhaltige Infrastrukturen – einschließlich der regionalen und ländlichen Infrastruktur – zu ermitteln,

  • Möglichkeiten zur Verbesserung der finanziellen und technischen Unterstützung für Machbarkeitsstudien und zur Vorbereitung von Infrastruktur- und Industrieprojekten auszuloten, damit diese Projekte bankfähig werden,

  • die Mobilisierung von Multi-Stakeholder-Ressourcen für Investitionen in Handel, Vernetzung, Verkehrs- und Industriekorridore zu erleichtern und die lokale Entwicklung von Sonderwirtschaftszonen, Industrie-, Wissenschafts- und Technologieparks zu unterstützen, um Investitionen und Fachkräfte anzuziehen.

Die Arbeitsgruppe Entwicklung wird diese Initiative mit einschlägigen Workstreams weiter begleiten und 2018 Berichte dazu einfordern. Während sich Deutschland30 und die Europäische Union bereits jetzt positionieren und deutlich machen, dass sie diese Initiative intensiv unterstützen werden, ist es an den G20-Staaten und den afrikanischen Ländern zu zeigen, dass diese Bemühungen dazu beitragen werden, die Nachhaltigkeitsziele ohne eine untragbare Neuverschuldung zu erreichen.

4. Wie soll sich die G20 künftig in Investitionsfragen ausrichten?

  • Die G20 sollte sich dringend mit der Frage auseinandersetzen, wie sich ihre bisherige zweigleisige Arbeitsstruktur zusammenführen lässt, die in Investitionsfragen zur Folge hat, dass die Finanzthemen, mit denen sich der Finanz-Track beschäftigt, von den nachhaltigkeits- und entwicklungsbezogenen Aspekten getrennt werden, die der Sherpa-Track bearbeitet. Dies wird für Kohärenz zwischen wirtschaftlichen und finanziellen Initiativen und Entscheidungen auf der einen Seite und Erfordernissen der nachhaltigen Entwicklung und insbesondere zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele auf der anderen Seite sorgen.

  • Ebenso dringlich ist die Anpassung der neuen Leitsätze der G20 für die Gestaltung globaler Investitionspolitik an die investitionspolitischen Leitsätze der UNCTAD und die Leitsätze und Ressourcen, die der investitionspolitischen Ordnungsrahmen für nachhaltige Entwicklung umfasst.

  • Da die G20-Staaten zahlreiche Investitionsabkommen – darunter auch groß angelegte regionale oder internationale Abkommen – schließen, wird die Entscheidung, die nachhaltige Entwicklung in internationale Investitionsabkommen einzubetten, weltweit eine enorme Sogwirkung entfalten. Die G20 sollte den Leitsätzen der UNCTAD folgen und sich vorrangig für das Regelungsrecht der Gastländer und für die Reform von ISDS-Mechanismen starkmachen. Investitionsabkommen sollten nachhaltige Entwicklungsprozesse auf nationaler Ebene unterstützen und nicht den Klimaschutzbeiträgen der Gastländer zur Emissionsreduzierung zuwiderlaufen.

    • In die Verhandlungen der G20 über Investitionsabkommen sollte die komplette Auswahl an Optionen einfließen, die die UNCTAD für Investitionsabkommen – und auch für ISDS – vorsieht.

    • Als Anteilseigner von multilateralen Entwicklungsbanken (MDB) sollten die G20-Staaten gewährleisten, dass

      • ihre Vertreter/innen in den MDB-Vorständen nach den Klimarisiken und den zusätzlichen Nutzeffekten der Investitionen fragen, die die jeweilige MDB vorschlägt, und

      • die MDB eine solide Informationspolitik praktizieren, mit tragfähigen Umwelt- und Sozialstandards arbeiten und bei der Klimaeinschätzung einer einheitlichen Vorgehensweise folgen, die zukünftige Klimawirkungen auf die Investitionen und die Auswirkungen der Investitionen auf das Klima und die Menschen prognostiziert.

  • Zudem steht die G20 vor der Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Infrastrukturinvestitionen gezielt auf die Nachhaltigkeitsziele ausgerichtet werden und diese Nachhaltigkeitsziele unterstützen.

  • Mit Blick auf die G20-Initiative zur Förderung der Industrialisierung in Afrika und in den am wenigsten entwickelten Ländern sollte sich die G20 die handels- und industrialisierungspolitischen Fehler der Vergangenheit vor Augen führen und sie bei ihren neuerlichen Bemühungen in Bezug auf Afrika nicht wiederholen.

  • Zum Thema „Infrastruktur und Investitionen“ wird auf den Empfehlungskatalog für die G20 im Rahmen des Textes #5 zu Infrastruktur und ÖPP in dieser Serie verwiesen.

Die deutsche G20-Präsidentschaft steht in der Verantwortung sich für die Umsetzung dieser Aufgaben stark zu machen und dafür die Unterstützung ihre Partner zu erwirken. Gelingt das nicht, entstehen durch ein „Business as usual“ neue Zerreißproben und Zielkonflikte, die uns in der Zukunft teuer zu stehen kommen werden.

Fußnoten:

1 „From Billions to Trillions: Transforming Development Finance, Post-2015 Financing for Development: Multilateral Development Finance“ ist ein gemeinsames Diskussionspapier der Afrikanischen Entwicklungsbank, der Asiatischen Entwicklungsbank, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der Europäischen Investitionsbank, der Interamerikanischen Entwicklungsbank, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank-Gruppe zum Treffen des Entwicklungskomitees am 18. April 2015, verfügbar unter: http://siteresources.worldbank.org/DEVCOMMINT/Documentation/23659446/DC2015-0002(E)FinancingforDevelopment.pdf.

2 Kommuniqué der Staats- und Regierungschef/innen der G20 zum Gipfeltreffen von Brisbane, 15./16. November 2014, Absatz 5, Arbeitsübersetzung der Bundesregierung, verfügbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/G7_G20/2014-g20-abschlusserklaerung-deu.pdf?__blob=publicationFile&v=3.

3 Siehe Donald Trumps “Vertrag mit der/dem amerikanischen Wähler/in” auf dessen Website.

4 Siehe Motoko Aizawa, Waleria Schuele: „In Search of Policy Coherence. Aligning OECD Infrastructure Advice with Sustainable Development“, 2016, verfügbar unter: https://eu.boell.org/sites/default/files/oecd-3.pdf.

5 Kommuniqué der Staats- und Regierungschef/innen der G20 beim Gipfeltreffen von Hangzhou, September 2016, Arbeitsübersetzung der Bundesregierung, Absätze 25 bis 31, verfügbar unter: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2016/09/2016-09-05-g20-communique.pdf?__blob=publicationFile.

6 Siehe Annex III: G20 Guiding Principles for Global Investment Policymaking, verfügbar unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2016/july/tradoc_154790.pdf zur Erklärung der Handelsminister/innen, Shanghai, 16. Juli 2016, siehe: http://www.oecd.org/daf/inv/investment-policy/G20-Trade-Ministers-Statement-July-2016.pdf

7 Kommuniqué der Staats- und Regierungschef/innen der G20 beim Gipfeltreffen von Hangzhou, Absätze 32 bis 41.

8 Informationen in englischer Sprache zur Global Infrastructure Connectivity Alliance unter: https://us.boell.org/2016/09/09/g20-global-infrastructure-connectivity-alliance.

9 Siehe: „OECD Benchmark Definition of Foreign Direct Investment“, 4. Auflage 2008, verfügbar unter: https://www.oecd.org/daf/inv/investmentstatisticsandanalysis/40193734.pdf.

11 Siehe Trevor Manuel, Carlos Arruda, Dr. Jihad Azour, Chong-en Bai, Timothy Besley, Dong-Sung Cho, Sergei Guriev, Dr. Huguette Labelle, Jean Pierre Landau, Arun Maira, Hendrik Wolff: „Independent Panel Review of the Doing Business report“, Juni 2013, verfügbar unter: http://hendrikwolff.com/web/Doing%20business%20review%20panel%20report%20with%20signatures%20and%20Bibliography.pdf.

12 In den USA protestierten im September 2016 über 200 Wissenschaftler/innen in einem offenen Brief gegen ISDS-Bestimmungen in Investitionsabkommen. Darin weisen sie darauf hin, dass Investor/innen unter anderem gegen Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften, finanzpolitische Maßnahmen, Giftstoffverbote, die Verweigerung von Genehmigungen, etwa für Sondermülldeponien, gegen Moratorien für die Rohstoffgewinnung, Maßnahmen aufgrund von Finanzkrisen, Gerichtsurteile zu verschiedenen Angelegenheiten von geistigen Eigentumsrechten bis zur Regulierung von Konkursforderungen, gegen politische Entscheidungen über die Privatisierung von Justizvollzugsanstalten und Gesundheitseinrichtungen sowie gegen Bemühungen zur Bekämpfung von Steuerflucht in den Gastländern vorgegangen sind. Siehe: http://ccsi.columbia.edu/2016/10/03/220-law-and-economics-professors-sign-letter-opposing-isds-in-the-tpp/.

13 „Investment Policy Framework for Sustainable Development“, hrsg. von United Nations Conference on Trade and Development, 2015, verfügbar unter: http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/diaepcb2015d5_en.pdf, S. 79.

14 Erklärung der G20-Handelsministerkonferenz, Juli 2016, verfügbar unter: http://www.oecd.org/daf/inv/investment-policy/G20-Trade-Ministers-Statement-July-2016.pdf

15 Ebenda.

16 Hangzhou Action Plan, hrsg. von der G20, China 2016, verfügbar unter: http://www.mofa.go.jp/mofaj/files/000187185.pdf.

17 Siehe Fußnote 6

18 „UNCTAD facilitates G20 consensus on Guiding Principles for Global Investment Policymaking“, 11. Juli 2016, verfügbar unter: http://investmentpolicyhub.unctad.org/News/Hub/Archive/508.

19 Siehe Fußnote 13., S. 79

20 Siehe: „Agreement between the Kingdom of Norway and … for the Promotion and Protection of Investments“, Entwurf Nr. 130515 verfügbar unter: https://www.regjeringen.no/contentassets/e47326b61f424d4c9c3d470896492623/draft-model-agreement-english.pdf.

21 Siehe Sean Woolfrey: „The SADC Model Bilateral Investment Treaty Template: Towards a new standard of investor protection in southern Africa“, Tralac Trade Brief No. D14TB03/2014, Dezember 2014, verfügbar unter: https://www.tralac.org/images/docs/6771/d14tb032014-woolfrey-sadc-model-bit-20141210-fin.pdf.

22 Die 14 Mitgliedsstaaten der SADC sind: Angola, Botswana, die Demokratische Republik Kongo, Lesotho, Malawi, Mauritius, Mosambik, Namibia, Seychellen, Südafrika, Swasiland, Tansania, Sambia and Simbabwe.

23 „Das Vorsorgeprinzip ermöglicht eine schnelle Reaktion angesichts möglicher Gefahren für die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder aus Gründen des Umweltschutzes. In den Fällen, in denen die verfügbaren wissenschaftlichen Daten keine umfassende Risikobewertung zulassen, ermöglicht der Rückgriff auf dieses Prinzip beispielsweise die Verhängung eines Vermarktungsverbots oder sogar den Rückruf etwaig gesundheitsgefährdender Produkte.“ So die Definition im EU-Recht, siehe: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=URISERV:l32042.

24 Siehe: „IFC Performance Standards on Environmental and Social Sustainability“, hrsg. von der International Finance Corporation der Weltbank-Gruppe, 2012, verfügbar unter: http://www.ifc.org/wps/wcm/connect/c8f524004a73daeca09afdf998895a12/IFC_Performance_Standards.pdf?MOD=AJPERES.

25 Siehe Meredith Wilensky: „Reconciling International Investment Law and Climate Change Policy: Potential Liability for Climate Measures Under the Trans-Pacific Partnership“, 2015, verfügbar unter: http://web.law.columbia.edu/sites/default/files/microsites/climate-change/wilensky_-_eli_trans-pacific_partnership_0.pdf.

26 Kommuniqué der Staats- und Regierungschef/innen der G20 zum Gipfeltreffen von Hangzhou am 4./5. September 2016, Absatz 39.

27 Atif Ansar, Bent Flyvbjerg, Alexander Budzier, Daniel Lunn: „Does infrastructure investment lead to economic growth or economic fragility? Evidence from China”, 2015, verfügbar unter: http://oxrep.oxfordjournals.org/content/32/3.toc; Zusammenfassung verfügbar unter: http://oxrep.oxfordjournals.org/content/32/3/360.abstract.

28 Bent Flyvbjerg : „Over Budget, Over Time, Over and Over Again: Managing Major Projects“, April 2011, in: Peter W. G. Morris, Jeffrey K. Pinto, Jonas Söderlund (Hg.), The Oxford Handbook of Project Management, Oxford University Press, S. 321-344, 2013, verfügbar unter:

https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2278226.

29 „G20 Initiative on Supporting Industrialization in Africa and LDCs“, 2016 Hangzhou, 27. September 2016, verfügbar unter: http://www.g20.utoronto.ca/2016/supporting-industralization.html.

30 Siehe die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Übergabe des Gebäudes für Frieden und Sicherheit an die Kommission der Afrikanischen Union am 11. Oktober 2016, verfügbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/10/2016-10-11-bkin-julius-nyerere-gebaeude.html;jsessionid=D88024DA6AE0E59504661F63224CEF5A.s7t1?nn=393812.