Rostock: „Wir brauchen eine ernsthafte Debatte zum Paritégesetz“

Porträt von Silke Gajek

Von Platz 5 auf Platz 23: Rostock schafft es nicht, mehr Frauen den Einstieg in die Kommunalpolitik zu erleichtern. Silke Gajek, frauenpolitische Sprecherin des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern, erklärt, warum eine Frauenquote unbedingt notwendig ist.

Als ich das Genderranking und das Auf und Ab unserer Hansestadt las, ratterten doch sehr ambivalente Gedanken durch meinen Kopf. Im Genderranking 2017 belegt Rostock den 23. Platz. Im Genderranking 2013 war es noch Platz 5. Also ist die Stadt in drei Jahren um 18 Plätze schlechter geworden. Warum? Rostock ist derzeit die einzige Großstadt in Mecklenburg-Vorpommern. Von den ca. 1,6 Millionen Men-schen (Quelle Statistisches Landesamt MV, Stand vom 31.10.2016) in diesem nord-östlichen Bundesland leben 207.705 mit einem Durchschnittsalter von 44,9 Jahren in Rostock. Die Vermutung liegt nahe, dass sich diese Entwicklung auch in der Politik widerspiegeln müsste. 

In Rostock gibt es 53 Abgeordnete, davon 20 Frauen in sechs Fraktionen (vier Abgeordnete fraktionslos, davon eine Frau). In zwei Fraktionen sind Frauen deren Vorsitzende, das ist zum einen die Fraktion Die LINKE (13 Abgeordnete, davon sieben Frauen, im Vorstand zwei Frauen) und die Fraktion Rostocker Bund/Graue/Aufbruch 09 (fünf Abgeordnete, davon drei Frauen, gesamter Vorstand weiblich).

Dass es im Laufe einer Legislaturperiode personelle Veränderungen geben kann, davon kann die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ein Lied singen. Gestartet ist die Fraktion 2014 mit vier Frauen und zwei Männern, den Vorsitz hatte eine Frau. Heute ist das Geschlechterverhältnis genau umgedreht. Die Frauen legten ihr Mandat aufgrund von Arbeitsplatzwechsel oder anderen familiären Gründen nieder, so auch die Fraktionsvorsitzende. Sie hätte den Staffelstab gerne an eine andere Frau übergeben (zwei Frauen im Vorstand).

In der Fraktion UFR/FDP sind fünf Mitglieder, davon zwei Frauen. Die Führung in dieser Fraktion, sprich den Vorstand, teilen sich ausschließlich die Männer. Auch das Geschlechterverhältnis bei den beiden verbleibenden Fraktionen, die der großen Volksparteien, ist ernüchternd: Derzeit sind von den acht Abgeordneten der SPD-Fraktion drei Frauen (im Vorstand als 2. Vorsitzende eine Frau) und bei der CDU sind von den zehn Abgeordneten doch zwei Frauen in der Bürgerschaft (männlicher Vorstand).  

Die Rostocker Bürgerschaft ist in männlicher Hand

Bezeichnend für die männliche Dominanz in der Rostocker Bürgerschaft ist beispielhaft der Vorsitz des Präsidiums – dort sitzen nur Männer. Dies ist gerade im Hinblick darauf, dass es bis 2014 eine Präsidentin (CDU) gab, besonders kritisch zu betrachten. Nach Auskunft der Fraktionsvorsitzenden hat sich die Fraktion Die LINKE fast komplett erneuert und stark verjüngt. Als es um die Besetzung des Vorsitzes im Präsidium ging, lehnten die Neumitglieder ab. Sie haben sich diese verantwortungsvolle Aufgabe der/s Bürgerschaftspräsident/en schlicht nicht zugetraut. Besetzt wurde das Amt dann mit einem „alten Hasen“. Diese Argumentation finde ich häufiger, eben auch bei der Besetzung von Ausschüssen und Ortsbeiräten und deren Vorsitz.

Wünschenswert wäre, wenn in das Genderranking auch die Besetzung der Aufsichtsräte, Geschäftsführungen und Vorstände der kommunalen und Beteiligungsunternehmen einfließen würden. Diese haben großen Nachholbedarf und die Anzahl von Frauen in eben diesen Gremien muss erhöht werden. Diese Zielstellung muss als Aufgabe in der Verwaltung verankert werden.

Kommunalpolitik in den jetzigen Strukturen ist nicht familienfreundlich

Für Frauen, die Kinder haben, Eltern pflegen, berufstätig sind oder studieren, gibt es ein weiteres Problem: Das kommunale Ehrenamt ist sehr zeitaufwändig. In der Regel finden zweimal wöchentlich Sitzungen von 16 bis 20 Uhr statt. Das muss mit dem Betreuungspflichten unter einen Hut gebracht werden, auch wenn es wie in Rostock Betreuungsangebote in Randzeiten, Aufwandsentschädigung für Kinderbetreuung, einen guten Nahverkehr und kurze Wege gibt. Neben den repräsentativen Terminen wollen die Sitzungen vorbereitet sein, sprich Vorlagen müssen gelesen, Anträge geschrieben und in der Fraktion nach Positionen gesucht werden.

So ist es nicht verwunderlich, dass viele Renter/innen oder Menschen mit freierer Arbeitszeiteinteilung in der Rostocker Bürgerschaft zu finden sind. Diesen Aspekt finde ich bezeichnend dafür, dass zeitfressende Kommunalpolitik in den jetzigen Strukturen nicht familienfreundlich ist.

Wir brauchen ein Paritégesetz und Mentoring-Programm für Frauen

Entscheiden sich Frauen grundsätzlich für ein politisches Amt oder Mandat, kommt es nicht selten vor, dass sie mehrere davon haben. Das gilt es zu vermeiden. Ich glaube, daran lässt sich strukturell nur etwas ändern, wenn die Parlamente tatsächlich paritätisch besetzt sind und Politik attraktiver wird. Dann hätten mehr Frauen die Möglichkeit, die Ämter auch zu besetzen. Es muss einen nachdenklich stimmen, wenn gerade junge Frauen aufgeben, weil sie es zeitlich oder kräftemäßig nicht schaffen. Deshalb sollte die Debatte um ein Paritégesetz ernsthaft geführt werden.

Dass Politik immer noch eine Männerdomäne ist, kann sich deshalb nur verändern, wenn Politik für Frauen leichter zugänglich wird, es ein anderes Zeitverständnis im Ehrenamt gibt und im Politikbetrieb endlich neue Wege beschritten werden. So halte ich derzeit die Frauenquote für unbedingt notwendig, damit Frauen in den Parteien überhaupt die Möglichkeit haben, erfolgreich zu kandidieren und Erfahrungen zu sammeln. Zudem erachte ich es als unerlässlich, dass in den Parteien Mentoring-Programme für Frauen angeboten werden.

Immer wieder habe ich gehört, dass sich insbesondere Frauen bestimmte Ämter nicht zutrauen und deshalb zögern und hadern. Hierbei ist auch nicht immer die schon angesprochene Zeitfrage ausschlaggebend. Sinnvoll wäre es, wenn Frauen schon vor ihrer aktiven Mandatszeit beispielsweise als sachkundige Bürgerin in einem Ortsbeirat mitarbeiten oder in den Vorständen der Parteien Verantwortung übernehmen. Politikerfahrene Frauen sollten andere Frauen ermutigen und unterstützen, insbesondere in der Anfangszeit der parlamentarischen Arbeit. Hier ist Frauensolidarität gefragt.

Politik muss für Frauen interessanter und lebbarer werden

Dass Rostock für Frauen und auch Männer mit Kindern in der Bürgerschaft mehr tun will, zeigt die Diskussion, ob ein Kinderraum eingerichtet werden soll, damit Mütter die Möglichkeit haben in den Sitzungspausen zu stillen oder Eltern ihre Kinder betreuen lassen können. Allerdings ergab diese Umfrage keinen aktuellen Bedarf. Sollte sich dieser ergeben, wird die Diskussion sicher einfach wiederzubeleben sein. Eine Erstattung der Kinderbetreuung gibt es übrigens seit Jahren und wurde vor kurzem entbürokratisiert.

Das heißt: Rostock macht sich Gedanken darüber, Politik für Frauen interessanter und lebbarer werden zu lassen. Die Parteien müssen hierbei ihren Anteil leisten, ebenso die Verwaltung.