Argumente für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Was unterscheidet den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von anderen Medienangeboten? Und warum brauchen wir ihn nach wie vor? Ein Plädoyer von Tabea Rößner. Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers Öffentlich-rechtliche Medien im Wandel.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Ein Mann sitzt in einem Aufnahmestudio

Fundamentalkritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat zurzeit Hochkonjunktur. Vor allem die AfD will ARD und ZDF als "Lügenpresse" diskreditieren und kündigt in ihrem Wahlprogramm die Reduktion auf ein Fernseh- und ein Hörfunkprogramm an. Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben aber auch im liberalen Lager eine Tradition, in der alles, was nicht nach rein marktwirtschaftlichen Grundsätzen funktioniert, mit unverhohlener Skepsis betrachtet wird.

Gerade in Zeiten von Fake News und Populismus ist es daher umso wichtiger, sich noch einmal grundsätzlich zu vergegenwärtigen, warum es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, welchen Wert er für unsere Gesellschaft hat und was ihn von anderen Medienangeboten unterscheidet.

Definitionen liefern die Urteile des Bundesverfassungsgerichts. „Die Rundfunkanstalten stehen in öffentlicher Verantwortung“, betonte das Gericht schon 1971. Und weiter: Der Rundfunk sei „Sache der Allgemeinheit“ und müsse „in voller Unabhängigkeit überparteilich betrieben und von jeder Beeinflussung freigehalten werden.“

Etliche Jahre später, 1986, fiel erstmals der Begriff „Grundversorgung“, um die Funktionen des Rundfunks „für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben der Bundesrepublik“ zu umschreiben. Dies mündet in den besonderen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie er im Rundfunkstaatsvertrag (§ 11 Absatz 1) beschrieben wird:

„Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben.

Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen.“

Dass es überhaupt so etwas wie einen „Auftrag“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt, ist schon eine kleine Sensation. Bedeutet es doch, dass dieser Rundfunk nicht einfach irgendein kommerzielles Angebot ist, das sich am Markt neben anderen behaupten müsste, sondern dass er eine gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen hat, nämlich: zur freien Meinungsbildung beitragen und dadurch die gesellschaftliche Debatte befruchten und in diesem Sinne grundlegende demokratische Strukturen stärken.

Der Öffentliche Raum ist wichtig für eine inklusive Gesellschaft. 

Im Öffentlichen Raum werden Demokratie und Gesellschaft erlebt, gelernt und gelebt. Wozu öffentliche Räume gut sind, was wir an öffentlichen Räumen haben, und warum wir uns um öffentliche Räume kümmern (müssen) erfahrt ihr auf unserer Themenseite in Video, Podcasts und Artikeln. 


Unterschiedliche Anforderungen an privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Es gibt zweifellos auch in Zeitungen, bei Privatsendern oder sozialen Medien Information und Unterhaltung auf hohem Niveau. FAZ, RTL oder Facebook tragen unbestritten ihren Teil zur Meinungsvielfalt bei. Sie sind allerdings primär ihren Aktionärinnen und Aktionären, nicht der Gesellschaft verpflichtet. Sollte ihr Geldsäckel kleiner werden, müssen die privaten Medien liefern, was der Markt nachfragt – und nicht, was für Demokratie und Meinungsbildung förderlich wäre.

Private Medien sind zwar von der verfassungsrechtlichen Anforderung gleichgewichtiger Vielfalt in der Berichterstattung nicht entbunden. Solange es allerdings die öffentlich-rechtliche Grundversorgung gibt, kann der werbefinanzierte private Rundfunk sich auch mit etwas geringerer Vielfalt zufriedengeben.

Laut Bundesverfassungsgericht ist es daher zu rechtfertigen, „an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen zu stellen wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ (1986, BVerfGE 73, 118 - 4. Rundfunkentscheidung).

Die gesetzlichen Erwartungen an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zielen auf diesen öffentlichen Auftrag, den er in Programmautonomie erfüllt. Darin - und weniger im Charakter einzelner Programmangebote - liegt seine Besonderheit. Es geht im Kern nicht darum, ob die eine oder andere Talkshow verzichtbar wäre oder von den Privaten besser gemacht werden könnte. Sondern darum, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk grundsätzlich im Interesse der Allgemeinheit tätig wird, dass er beständig eine vielfältige Meinungslandschaft aufrechterhalten und zu befördern hat. 

So viel Unabhängigkeit gibt es nirgends sonst. Freilich hat sie ihren Preis: ARD, ZDF und Deutschlandradio werden von den Bürgerinnen und Bürgern vollumfänglich und bedarfsgerecht bezahlt. Das ist sogar gesetzlich festgeschrieben. Auf der Basis sogenannter „Bedarfsanmeldungen“ ermittelt die KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten) alle vier Jahre durchaus kritisch, wie viel Geld die Sender brauchen. Auf der Grundlage dieser Ermittlungen werden die Anstalten finanziert. Die Höhe des Haushaltsbeitrags hängt von dieser Bedarfsermittlung ab.

Oft wird von einem „Zwangsbeitrag“ gesprochen, weil die Bürgerinnen und Bürger ihn auch dann zahlen müssen, wenn sie die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht in Anspruch nehmen. Tatsächlich ist das der Unterschied zwischen einem Beitrag und einer Lizenzgebühr (die ich zahle, um etwas nutzen zu dürfen).

Die Bürgerinnen und Bürger zahlen nicht für die Nutzung eines speziellen Contents, sondern sie leisten einen Beitrag zum Erhalt und zur kontinuierlichen Weiterentwicklung einer Institution, die ihre gesellschaftliche Aufgabe ohne eine solche solidarische Finanzierung nicht erfüllen könnte.

Die heute womöglich provokante Idee dahinter ist, dass sogar diejenigen etwas vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben, die ihn selbst nicht nutzen: weil sie Teil einer Gesellschaft sind, die als ganze von ihm profitiert. Somit kann der Beitrag zurecht auch als "Demokratieabgabe" gesehen werden.

Plattform für verschiedene Lebens- und Erfahrungswelten

Tatsächlich profitieren auch die privaten Medien, ob Rundfunk oder Print, vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk - in einer die Qualität befördernden publizistischen Konkurrenz oder aufgrund des immer noch hervorragenden öffentlich-rechtlichen Korrespondentennetzes, auf deren Berichterstattung sie aufbauen.

Denn im Gegensatz zu den Anstalten müssen viele private Medienhäuser aufgrund der schweren Finanzierbarkeit bis auf den Kern einsparen – und zwar auch bei den Journalistinnen und Journalisten. Gut ausgestattete Redaktionen sind aber wesentliche Voraussetzung, um verlässliche Informationen zu beschaffen und damit ein wahrhaftiges und vielfältiges Meinungsbild weiterhin garantieren zu können.

Immer wieder wird auch in Frage gestellt, ob ein bestimmtes Programmangebot tatsächlich unter den öffentlichen Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen fällt bzw. fallen muss. Daher verwundert es nicht, wenn die Forderung zu hören ist, die Öffentlich-Rechtlichen sollten sich auf das beschränken, was die Privaten nicht leisten.

Diesem steht der Gedanke der Grundversorgung entgegen. Ein öffentlich-rechtlicher Sendeauftrag, der darauf zielt, die Lücken der Privaten zu identifizieren, wäre darüber hinaus schwer realisierbar. Tatsächlich lässt sich dies nicht anhand einer Liste klarer Kriterien entscheiden.

Vielmehr ist es ein Drahtseilakt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss ein Programm gestalten, das einerseits „für alle“ da ist und andererseits nicht bloß den kleinsten gemeinsamen Nenner trifft; in dem sich auch Minderheiten wiederfinden, das aber nicht zum Nischenprogramm wird. Er muss leisten, eine Öffentlichkeit zu schaffen, aus der sich niemand ausgeschlossen fühlt und in der gesellschaftliche Debatten möglichst viele Menschen erreichen.

Das ist heute in Zeiten von Echokammern und Filterblasen schwieriger denn je. Wie verbindet man diese Blasen zu einer allgemeinen Öffentlichkeit? Die Öffentlich-Rechtlichen müssen den schwierigen Spagat schaffen, ihr Publikum dort abzuholen, wo es ist – also auch im Netz, auf Facebook und anderen Plattformen – und zugleich Diskussionen anzustoßen, die über den üblichen Clickbait-Rummel hinausgehen.

Sie müssen selbst zu Plattformen werden, auf denen Diskurse stattfinden, die für sich in Anspruch nehmen können, informiert und relevant zu sein. Auf denen sich verschiedene Gruppen zu Wort melden können, die unterschiedliche Lebens- und Erfahrungswelten zulassen, gesellschaftliche Entwicklungen reflektieren und kritisch beleuchten.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist „unser“ Rundfunk. Es gibt ihn, weil er von den Bürgerinnen und Bürgern getragen wird. Er ist staatsfern organisiert und kann sein Programm unabhängig von politischen Vorgaben gestalten. Er hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, auf Qualität statt Quote zu setzen, auf fundierte Recherche und solide Hintergrundberichterstattung. Er muss journalistische Standards wahren und muss eine Marke sein, auf die sich Zuschauerinnen und Zuschauer, Hörerinnen und Hörer verlassen können.

Um all dies zu gewährleisten, muss sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch fortlaufend Kritik stellen und für Reformen offen sein. Die Öffentlich-Rechtlichen müssen die Beteiligungsmöglichkeiten der Nutzerinnen und Nutzer an der Programmgestaltung verbessern und stärker als bisher in Dialog mit ihrem Publikum treten.

Das Gebot der Staatsferne muss insbesondere bei der Besetzung der Gremien von allen Seiten geachtet werden, und die Rundfunkräte müssen deutlich besser in die Lage versetzt werden, ihre Aufgabe als Kontrollgremien wahrnehmen zu können. Die Politik muss dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk endlich die Möglichkeit geben, seinen Auftrag auch im Internet zu erfüllen – ohne sich zu stark von den Interessen der Verlegerinnen und Verleger leiten zu lassen, die ihn dort stark beschränken wollen. Und die Sender müssen Synergien besser nutzen, um glaubhaft dem Vorwurf entgegenzutreten, sie gingen mit dem Geld der Beitragszahlenden leichtfertig um.

Es gibt also einiges zu tun – der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht zweifellos vor großen Herausforderungen. Es wäre jedoch fatal, das Kind mit dem Bade auszuschütten und ihn grundsätzlich in Frage zu stellen. Öffentlich-rechtliche Medien sind nach wie vor die einzigen Medien, die von Staat und Markt gleichermaßen unabhängig agieren können.

Der Wert einer solchen Institution für das demokratische Gemeinwesen kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. 


Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers Öffentlich-rechtliche Medien im Wandel.