Pazifische Auster oder heimische Miesmuschel – ganz klar, wem die Feinschmeckerinnen und Feinschmecker auf der Promi-Insel Sylt den Vorzug geben. Die fremde Auster hat sich im Wattenmeer explosionsartig ausgebreitet und verdrängt die heimischen Muscheln.
Der Hauptgrund für die Bedrohung der marinen Artenvielfalt ist die Nutzung und Verschmutzung natürlicher Lebensräume. Die andere Bedrohung ist das Eindringen invasiver Arten. Wie im Fall der Pazifischen Auster im Nationalpark Wattenmeer vor der Insel Sylt. Denn die „Sylter Royal“ ist nicht nur eine Delikatesse, sie ist auch eine Plage. Aber wie konnte sie überhaupt hierherkommen? Das Auseinanderdriften der Kontinente und Inseln hat in der Evolution dazu geführt, dass sich Millionen von Arten in ihrer ganzen Vielfalt getrennt entwickeln konnten.
Doch heute rücken die Kontinente wieder zusammen – auf andere Weise: Tausende von Spezies reisen täglich in den Ballastwassertanks von Fracht- und Containerschiffen oder auf treibendem Plastikmüll kreuz und quer über den Ozean und gelangen so in Ökosysteme, in denen sie bisher fremd waren. Davon profitieren in erster Linie diejenigen Arten, die gut mit sehr unterschiedlichen Umweltbedingungen zurechtkommen. Die Pazifische Auster ist so eine Generalistin.
Bemerkenswert am Fall des Eroberungsfeldzuges der Pazifischen Auster im Wattenmeer ist, dass der Verursacher genau nachgewiesen werden kann. Die Europäische Auster war dort durch Krankheit und Überfischung seit 1950 fast ausgestorben. Ende der 1970er-Jahre begann ein Team der Deutschen Bundesforschungsanstalt für Fischerei daher zu erforschen, ob die umweltresistentere Pazifischen Auster eine Alternative für die lokalen Austernzüchter sein könnte. Ja – die fremde Auster gedieh prächtig in der Nordsee.
Das Wattenmeer, nährstoffreich und daher produktiv, wirkte wie ein Cocktail aus Kraftfutter und Turbo-Dünger auf die Auster. Bis Mitte der 1990er-Jahre zählte man vor Sylt weniger als zehn Exemplare der Pazifischen Auster pro Quadratmeter. 2007 waren es 1.800 Exemplare! Im gleichen Zeitraum ist die Miesmuschelpopulation drastisch zurückgegangen. Und nicht nur die ist betroffen: Eine Änderung im System zieht andere nach sich. Der Austernfischer zum Beispiel ernährt sich hauptsächlich von Miesmuscheln. Die Schale der Pazifischen Auster ist für ihn viel zu dick und zu hart. Der Anpassungsdruck steigt – und je geringer die Biodiversität ist, desto schlechter kann ein Ökosystem auf Umweltveränderungen reagieren.
Ein anderes, noch größeres Problem für die Biodiversität eines Lebensraums entsteht, wenn eine sogenannte „foundation species“ bedroht ist: Dazu zählen zum Beispiel der Kelptang in den urwaldähnlichen Seetangwäldern der nordamerikanischen Pazifikküste oder die Korallen des Great Barrier Reefs vor der Nordostküste Australiens. Die 360 Hart- und 80 Weichkorallenarten des größten Korallenriffs der Erde sind Heimat für über 1.500 Fischarten, 1.500 Schwammarten, 5.000 Weichtierarten und 200 Vogelarten. Viele von ihnen sind vom Aussterben bedroht, wie auch Meeressäuger wie die Seekuh. Sterben die Korallen, verliert das gesamte Ökosystem Korallenriff sein Fundament – manche flexible Arten können dann ausweichen, andere aber nicht.
Wie viele andere Korallenriffe befindet sich das Great Barrier Reef derzeit in einem katastrophalen Zustand. Die gefürchtete Korallenbleiche hat 93 Prozent des Riffs erfasst. Große Teile des nördlichen Bereichs sind bereits in dramatischem Maß abgestorben. Die Ursache dafür sind anhaltend hohe Wassertemperaturen durch das El-Niño-Phänomen. Die australische Regierung ließ daraufhin mit Rücksicht auf die Tourismusindustrie im aktuellen UN-Report „Welterbe und Tourismus in einem sich ändernden Klima“ alle Passagen über das Great Barrier Reef und seine Umweltprobleme streichen.
Wie können wir trotz der globalen Umweltveränderungen sinnvoll regional handeln, um die Meeresvielfalt zu schützen? Die Ozeanerwärmung werden wir nicht so schnell aufhalten können. Die Aufforstung von Korallenriffen ist nicht im großen Stil machbar. Was die Rettung der Artenvielfalt am Great Barrier Reef anbelangt, ist das einzig Sinnvolle das Vermeiden weiterer lokaler Stressoren, die das Riff zusätzlich unter Druck setzen. Dazu gehört zum Beispiel das Verbot von Schadstoffeinträgen.
Ansonsten bleibt uns nichts anderes übrig, als auf die Selbstheilungskräfte der Natur zu setzen. Immerhin sind Teile des südlichen Riffs noch lebendig. Die dortige Flora und Fauna könnte den Norden später einmal neu besiedeln. Die ursprüngliche Biodiversität wäre bei einem Kollaps des Riffs jedoch unwiederbringlich verloren.
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