In der Tiefsee locken Schätze mit geheimnisvollen Namen: Manganknollen, Kobaltkrusten, Schwarze Raucher. Hochkonzentriert sind in ihnen begehrte Metalle enthalten.
Jeder einzelne von uns Konsumentinnen und Konsumenten verbraucht in seinem Leben im Schnitt zwei Tonnen Kupfer und 700 Kilogramm Zink. In einem Smartphone stecken allein 30 verschiedene Metalle. Unter anderem Kobalt und Seltene Erden, die unter fragwürdigen Bedingungen an Land abgebaut werden. Nun heißt es: Wir müssen ran an den Tiefseebergbau! Gehen die Vorräte an Land bereits zur Neige?
Könnte man meinen. Denn wir betreiben seit Jahrhunderten Bergbau. Und in dieser Zeit ist der weltweite Bedarf an Rohstoffen rasant angestiegen. Automobile, Informationstechnologie, erneuerbare Energien – für all das verbrauchen wir enorme Mengen an Metall. In einer einzigen Windkraftturbine sind beispielsweise 500 Kilogramm Nickel, 1.000 Kilogramm Kupfer und 1.000 Kilogramm Seltene Erden verbaut.
Aber: Eine geologische Verknappung von Metallen gibt es dennoch nicht – im Boden liegt noch mehr als genug. Doch warum ist dann das Interesse am Tiefseebergbau so groß? Die Antwort: Es wird immer teurer und immer aufwändiger, mit den vorhandenen Vorkommen an Land unseren wachsenden Bedarf zu decken. Bergbau ist immer ein massiver Eingriff in Landschaften und muss mit erheblichen Umweltzerstörungen bezahlt werden. Doch dazu sind viele Gesellschaften immer weniger bereit. Seltene Erden beispielsweise sind insgesamt gar nicht selten. Ihr Abbau ist wegen hoher Lohnkosten und Umweltauflagen nur zu teuer. Nur darum stammen sie derzeit zu 97 Prozent aus China.
Es sind tatsächlich vor allem marktwirtschaftliche Gründe, die westliche Industrienationen neue Quellen für die begehrten Metalle suchen lassen. Beispielsweise stammen 40 Prozent der weltweiten Kobaltproduktion aus der Demokratischen Republik Kongo, einem ehemaligen Bürgerkriegsland mit hoher Korruptionsdichte, in dem der Kampf um die Rohstoffe noch immer bis aufs Blut ausgetragen wird. Kobalt gilt laut EU-Kommission als „kritisch“. Aber nicht, weil man sich um die Einhaltung der Menschenrechte im Land sorgt, sondern weil die Versorgung der europäischen Industrie durch die regionale Konzentration unsicher ist.
Was läge da näher, als die Schatzkammer Tiefsee anzugehen? Eine der wenigen Bodenflächen auf dem Globus, die noch nicht erschlossen und verteilt ist. Nur etwa zehn Prozent gelten als topographisch vermessen, weniger als ein Prozent ist wirklich erforscht.
Was wir wissen: Die Tiefsee ist ein Lebensraum, in dem alles – aber auch wirklich alles – sehr, sehr langsam geschieht. So kann man beispielsweise die Schleppkarrenspuren der ersten Explorationsfahrten in den 1980ern noch heute am Meeresboden sehen. Als ob es gestern gewesen wäre. Manganknollen, die begehrten Metall-Nuggets am Meeresgrund, brauchen eine Million Jahre um nur fünf bis zwanzig Millimeter zu wachsen.
Ökologinnen und Ökologen warnen daher: Was hier zerstört wird, regeneriert sich lange nicht. Vor dem Abbau müsste mehr Wissen über die Folgen für die Ökosysteme der Tiefsee gesammelt werden. Doch etliche Staaten und Industriefirmen stehen bereits in den Startlöchern, um sich ihr Stück vom vermeintlichen Kuchen zu sichern: Deutschland ist stolzer Besitzer eines in der Nähe von Hawaii gelegenen Meeresboden-Claims, das so groß wie Bayern ist. Ein paar Schiffsstunden nordwestlich liegt Belgien, in direkter Nachbarschaft zu Südkorea. Noch etwas weiter folgen Frankreich und Russland, weiter in Westen dann China.
Nach dem Internationalen Seerecht sollen Aktivitäten in der Hohen See dem Wohl der ganzen Menschheit dienen und nicht nur für Industriestaaten möglich sein. Die Internationale Meeresbodenbehörde ISA regelt daher, dass wertvolle Rohstoffvorkommen auch für Entwicklungsländer reserviert bleiben und setzt sich auch für den Meeresumweltschutz ein. So müssen in den Claims große Bereiche zum Schutz des Meeresbodens ausgespart werden. Derzeit erarbeitet die ISA Regularien zum Abbau von Manganknollen. Damit werden erstmals in der Geschichte klare Regeln für die Verteilung eines Rohstoffes geschaffen, bevor mit dem Abbau begonnen wird.
Trotz aller Bedenken: der kommerzielle Tiefseebergbau wird in den nächsten Jahren starten. Allerdings nicht in der international regulierten Clarion-Clipperton-Zone, sondern in der Ausschließlichen Wirtschaftszone von Staaten wie Tonga oder Papua-Neuguinea – denn sie entscheiden allein über Regeln und Umweltstandards. Hier gelten die internationalen Regeln nicht, und die Inselstaaten sind in der Hoffnung auf Entwicklungschancen und Gewinne aus Lizenzen bereit, hohe Risiken einzugehen.
Doch wie die ökologischen Folgen sind auch die sozialen Folgen schwer vorhersehbar, die durch massive Störungen der Fischerei, des Tourismus oder eine Verschmutzung der Meere eintreten können. Aus diesem Grund protestieren seit 2008 tausende Bewohnerinnen und Bewohner Papua-Neuguineas und anderer Südseeinseln immer wieder öffentlich gegen diese Pläne. Ein Protest, der die Weltöffentlichkeit allerdings kaum erreicht. Immerhin haben sie dabei die Solidarität einer ganzen Reihe von internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die den Stopp aller Vorhaben zum Abbau mineralischer Ressourcen in der Tiefsee fordern.
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