Die verquere Tauschlogik von Donald Trump

Donald Trump will Macht und sieht nicht ein, dass er für diese Macht zahlen muss. Europa sollte seine Logik zurückweisen. Eine politische Momentaufnahme.

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Donald Trump und Donald Tusk treffen sich zum ersten Mal am 25. Mai 2017 in Brüssel

Dieser Beitrag ist Teil eines Readers, der zum Auftakt der 18. Außenpolitischen Jahrestagung "Krise des Westens: Die Verantwortung Europas für die liberale Weltordnung" am 15. Juni auf boell.de erhältlich sein wird.

Man kann nicht sagen, dass Donald Trumps Präsidentschaft bisher nichts gebracht hätte. Klar, die Mauer zu Mexiko steht noch nicht. Klar, im Rostgürtel hat es noch nicht aufgehört zu rosten.

Aber immerhin: Trumps Administration hat 70 Tomahawks auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt abgefeuert. Als Warnschuss. In Syrien bombt sowieso jeder, wie er will. In Afghanistan haben die USA als Vergeltung für einen umgebrachten amerikanischen Soldaten die stärkste konventionelle Bombe, die sie besitzen, auf einen IS-Stützpunkt abgeworfen.

In verbaler Anlehnung an Saddam Husseins vergeblich angekündigten Mutter aller Schlachten ist die „Mutter aller Bomben“ hingegen erfolgreich eingeschlagen. Sie hat allerdings wohl nicht mal halb so viele Tote erzielt wie wenig später der Angriff einer Taliban-Einheit im Norden Afghanistans.

Die Mutter aller Bomben war auch nur ein Warnschuss. Viele Kommentatorinnen bzw. Kommentatoren meinen, er hätte eigentlich Nordkorea gegolten und damit indirekt auch China, das endlich beweisen müsse, dass es Nordkorea ernsthaft an die Kandare nehme.

Der angeblich schlechteste Deal aller Zeiten

Zugleich hat die Trump-Administration angefangen, das Atomabkommen mit dem Iran in Frage zu stellen. Überraschen kann das nicht, denn Trump hatte immer wieder verkündet, das sei der schlechteste „Deal“, den die USA jemals abgeschlossen hätten. Dabei redet Trump das Abkommen mit Unwahrheiten schlechter als es ist und behauptet ständig, es ermögliche dem Iran die Bombe zu bauen.

Dazu allerdings müsste der Iran das Abkommen brechen. Zugleich behauptete Trump, das Abkommen übergebe dem Iran 150 Milliarden Dollar als Belohnung. Philip Gordon merkt dazu sarkastisch an, Trump beziehe sich anscheinend darauf, dass das Abkommen dem Iran den Zugang zu 50 Milliarden Dollar gewähre, die auf ausländischen Konten eingefroren waren, auf die Freigabe von eigenem Geld also. (Philip Gordon, A Vision of Trump at War).

Nach dem angeblich schlechtesten Deal mit dem Iran wird es keinen weiteren mehr geben. Entweder wird Trump die Sache einschlafen lassen oder er muss mehr als einen Warnschuss abgeben.

So geht Spannungspolitik in einem Land, das Kriege eigentlich satt hat.

Zwar ist die Trump-Administration noch längst nicht komplett zusammengestellt, doch schon hat sie damit begonnen, alle Fässer, die herumstehen, schnell mal aufzumachen, um der Welt zu zeigen, dass Trump an der Macht ist und sie ausübt. Die aufgemachten Fässer stehen dann herum. Die Warnschüsse gehen ins Leere, aber sie kosten. Und vielleicht verlangen sie auch nach mehr.

Das einzige, worauf man sich bei Trump verlassen kann: Man muss mit allem rechnen. Verbündete stürzt das in abwartende Ratlosigkeit. Von Trump zu Feinden erklärte Akteure werden sich verstärkt um Mittel der Abschreckung bemühen und Pläne für potentielle Gegenschläge schmieden.

Trump verkauft den forcierten Aufbau von Spannung als Eröffnung von neuen, unerhörten Deals. Anders jedoch als bei schiefgegangenen Geschäften, wird man, wenn einer seiner  „Deals“ platzt, nicht einfach auseinander gehen können. Es handelte sich ja um gescheiterte feindliche Übernahmen, um erzwungene Übergabe von Macht, das Gegenteil also von Tauschakten.

Macht kostet

Trumps Außenpolitik läuft bisher auf breit streuende Spannungspolitik hinaus.

Sie hat teilweise innenpolitische Motive, teilweise bleibt der Verdacht bestehen, dass Trump außenpolitisch nicht ganz unabhängig agiert. Mancher Warnschuss könnte auch ein bloßes Ablenkungsmanöver sein. Die Entlassung des FBI-Direktors, der mit der Aufklärung russischer Eingriffe in den US-Wahlkampf beauftragt war, ist kaum geeignet, einen solchen Verdacht zu entkräften.

Brendan Simms und Charlie Laderman haben versucht Donald Trumps Sicht auf die Welt über die Jahrzehnte hinweg zu dokumentieren und meinen Wir hätten gewarnt sein können (DVA 2017). Aber gewarnt wovor?

All die dürftigen Äußerungen Trumps zu außenpolitischen Konflikten hatten in den dokumentierten vergangenen dreißig Jahren immer nur den Kehrreim, die US-Politik sei aus Dummheit ihrer Führung mehr oder weniger desaströs verlaufen und hätte obendrein kein Geld in die amerikanische Kasse gebracht. Den Krieg 2003 im Irak hätten sich die USA nicht mit irakischem Öl bezahlen lassen.

Ganz ähnlich lässt er sich zu der Intervention in Libyen ein. Es ist absurd, aber sein Argument lautet schlicht und einfach: Für die Desaster, die wir anrichten, müssen wir uns wenigstens anständig entschädigen lassen. Schließlich hat uns das Desaster, obwohl es niemand geholfen hat, eine Stange Geld gekostet. Und die fehlt uns im Inneren der USA. Also zahlt uns für das Desaster, das wir euch hinterlassen. Öl habt ihr ja. Wir hätten es euch wegnehmen müssen, denn wir hatten ja gewonnen.

Tatsächlich hatten die USA eben nicht „gewonnen“ und konnten schon deshalb nichts „wegnehmen“. Trumps Denkweise folgt einer klassischen, meist in die Irre führenden imperialen Logik: Was wir militärisch niedermachen, muss uns als Beute bleiben. Er meint, Macht müsse cash bringen. Bringt sie nicht. Macht bringt Macht. Und kostet.

Trump will die Macht auskosten und sich nichts kosten lassen. Offensichtlich ist er sich des Grundproblems imperialer Macht nicht bewusst: Weil sie kostet, kann sie überdehnt werden. Würde sie immer nur einbringen, gäbe es das Problem der Überdehnung nicht.

Sich von Syrien die Kosten für die 70 Tomahawks begleichen zu lassen, wird jedenfalls ebenso wenig gelingen, wie der Einsatz der Mutter aller Bomben cash in die Kasse bringen wird. Macht kostet. Schon Warnschüsse kosten.

Macht kostet, große Macht kostet mehr

Die Kosten großer globaler amerikanischer Macht versucht Trump denjenigen aufzudrücken, die bei ihrer Verteidigung vielleicht von dieser Macht profitieren, weil sie sich die Kosten der regionalen Verteidigung zum Teil sparen.

Die EU im Ganzen profitiert sicher vom amerikanischen militärischen Engagement. Aber geht es bei dessen Kosten schlicht um die Kosten regionaler Selbstverteidigung? Kosten, für die die USA unangemessen aufkommen müssen?

In der Zeit des Kalten Krieges ging es für die USA bei diesen Kosten in der Hauptsache um die Sicherung ihres Status einer Supermacht in der polaren Welt. Der Westen, also die damalige NATO, hatte ein Interesse an der Übermacht seiner Supermacht. Der Streit über die Verteilung der Kosten der Verteidigung eskalierte erst nach dem Ende des Kalten Krieges.

Viele europäische NATO-Mitglieder fuhren ihre Verteidigungsausgaben zurück, weil sie sich nach dem Zerfall der Sowjetunion und des Warschauer Paktes nicht mehr in der gleichen Weise bedroht fühlten. Die neuen Konflikte schienen globaler Natur und dadurch außerhalb der direkten Interessensphäre der europäischen Staaten und des Bündnisgebietes.

Für die USA in ihrem Status der vermeintlich einzig verbliebenen Supermacht sah das anders aus. Die Interessen der USA und der meisten EU-Staaten differenzierten sich. Die USA fragten sich, was bringt uns die NATO noch global und die (west-)europäischen Staaten fragten sich, was bringt uns die NATO noch für die regionale Sicherheit, was darf sie noch kosten?

Den USA hat die NATO immerhin die Beteiligung der Bundesrepublik und anderer NATO-Mitglieder an dem Krieg in Afghanistan gebracht. Auch wenn diese als Verteidigung der Bundesrepublik am Hindukusch gerechtfertigt wurde, hatte sie mit der Verteidigung des Bündnisgebietes nichts zu tun. Rechtfertigen konnte man sie mit der Verteidigung der UN-Ordnung, an die Trump nun eigene erste Sprengsätze legt.

Europa und Russland

Als der Blockgegensatz beendet war,  brauchte es einige Zeit, bis Russland in der EU als verbliebene regionale Bedrohung begriffen wurde. Aber auch nach der russischen Wiederaufrüstung könnte die EU Russland locker Paroli bieten, wenn sie denn wollte. Vor der Atommacht Russland müsste man sich nicht allzu sehr fürchten, denn Russland geht es nicht um die Zerstörung von Europas Ressourcen, sondern um deren Nutzung, vielleicht auch Beherrschung.

Mit dem Versuch der Beherrschung ist Russland schon als Sowjetunion in Mittelosteuropa gescheitert. Seine dortigen territorialen Eroberungen haben sich nicht ausgezahlt und zerbrachen am passiven und zuletzt aktiven Widerstand der eroberten Länder. Schon Weißrussland ist ein Grenzfall russischer Hegemonie.

Die Ukraine kann durch Russland gespalten, aber nicht beherrscht und erobert werden. Vor Russland als Eroberer braucht die EU keine Angst zu haben, vor Russland als Zerstörer in einer globalen Auseinandersetzung zwischen den dank der atomaren Bewaffnung immer noch als Supermächte agierenden Exponenten der vergangenen Blockordnung freilich durchaus.

Die EU kann sich notfalls und bei einer angemessenen Verteidigungspolitik selbst gegen Russland wehren. Ungarn 1956 und die CSSR 1968 scheiterten bei ihren Bemühungen, sich gegen die sowjetische Aggression zu wehren, vor allem an der Blockordnung. So kam Westeuropa nur als Fluchtraum in Frage und nicht als strategisches Hinterland einer gemeinsamen Verteidigung. Die Blockordnung gibt es nicht mehr. Das geeinte Europa ist eine selbständige Größe oder kann es zumindest sein!

Supermacht kostet erst recht

In der NATO sind durch ihre Entstehungsgeschichte im Kalten Krieg die Kosten der Verteidigung nicht eindeutig zu verrechnen. Notwendigerweise überlagerten sich die Kosten der regionalen Verteidigung und jene der Sicherung der globalen Supermacht des eigenen Blocks.

In dem weltweiten Konflikt der Blöcke und der beiden Supermächte konnte die regionale Sicherheit gegenüber der feindlichen Supermacht nur gewährleitstet werden, wenn die Supermacht des eigenen Blocks stark genug war, deren Übermacht wirksam abzuschrecken.

Mit der Aufrechterhaltung der NATO nach dem Kalten Krieg wurde die neue Differenz zwischen den regionalen Sicherheitsinteressen innerhalb der NATO und den globalen Anforderungen der einzig verbliebenen Supermacht an die NATO akut, aber zugleich verschleiert. Die USA verstehen sich als globale Supermacht, die EU ist keine.

Am besten könnte man die Differenzierung der Interessen in der NATO sowie ihre Verschleierung wahrscheinlich an der Geheimgeschichte des US-Luftwaffenstützpunktes Ramstein in der Pfalz studieren. Die genaue Kostenbeteiligung der Bundesrepublik an Ramstein ist nicht öffentlich bekannt; neulich hieß es, sie trage ein Drittel der Kosten.

Wie auch immer, dies sind Ausgaben für die Weltmacht der USA, von der die NATO zwar etwas hat, die aber nicht ihre eigene Macht ist. Und darüber, was die USA von Ramstein aus in der Welt so treiben, weiß man nichts Genaues, will man vielleicht auch gar nicht wissen.

Das Erbe des Kalten Kriegs

Solche ungeklärten Verhältnisse zwischen globalen Interessen der USA und den regionalen der EU sind das Erbe des Kalten Krieges. Eben deshalb wird dessen Wiederbeginn so gern beschworen, wenn es um den wiederauflebenden Expansionismus Russlands geht. Dabei muss ihn die EU ganz traditionell als europäisches Problem annehmen und bekämpfen. Gegenüber der EU ist Russland tatsächlich nicht mehr als eine Regionalmacht. Das muss die EU begreifen. Sie selbst ist freilich auch nicht mehr. 

Es sind europäische Versäumnisse, die Trump innerhalb der NATO als Schuldeneintreiber auftreten lassen. Und es ist die bisherige Unfähigkeit der EU, ihren politischen Ort in der Region und in der Welt strategisch zu analysieren und zu bestimmen. Dieses Versäumnis erlaubt Trumps ultimatives Auftreten gegenüber den europäischen NATO-Mitgliedern und zieht Stoltenbergs Ergebenheitsgesten gegenüber Washington nach sich.

Dabei ist die Selbstverteidigung eine uneingestandene Selbstverpflichtung der EU nach dem Ende des Kalten Krieges. Über ihre Mängel muss sich Europa selbst Rechenschaft ablegen und sie überwinden. Hoffentlich zusammen mit Großbritannien. Aus der NATO austreten muss man nicht. Die EU muss sich nur in der NATO ganz neu bemerkbar machen.

Vor allem müssen die Europäer die verquere Tauschlogik Trumps durchschauen und zurückweisen: Erpresserische Machtansprüche können nicht mit Geld abgeglichen werden. Das wäre ein sehr ungleicher Tausch. Sie müssen mit Gegenmachtbildung beantwortet werden. Oder man muss Abhängigkeit und sogar Ohnmacht akzeptieren. Nach dem Kalten Krieg erlangt ein bisschen Gaullismus seine Berechtigung.

Er ist notwendig und mit einem besser zwischen Frankreich und Deutschland abgestimmten strategischen Verständnis auch möglich. Trump selbst ist der Warnschuss für die EU - schlimm genug, dass sie ihn braucht!  
 

Veranstaltungstipp:
18. Außenpolitische Jahrestagung - Krise des Westens: Die Verantwortung Europas für die liberale Weltordnung am 15. Juni 2017 in der Heinrich-Böll-Stiftung