Die Rohstoffgewinnung in Lateinamerika führt zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen und Konflikten. Dawid Danilo Bartelt, Buchautor und Direktor der Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko, erklärt in einem Interview mit dem ECC, warum die Beilegung rohstoffbezogener Konflikte ohne eine starke Zivilgesellschaft unmöglich ist und verweist auf eine besondere Verantwortung der europäischen Verbraucher.
Das enorme Ausmaß der Ressourcenausbeutung in Lateinamerika und die Unzahl von Problemen, die aus diesem immer noch ansteigenden Trend entstehen.
Im Interview mit Dawid Danilo Bartelt, Buchautor und Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko
Tragic consequences of rising resource extraction in Latin America - Interview with Dawid Bartelt - adelphi, Berlin
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„Ressourcenausbeutung bzw. der Gebrauch von Ressourcen ist etwas, das Menschen seit Anbeginn tun; allerdings haben sich in den letzten Jahrzehnten sowohl das Volumen, als auch die Konsequenzen von Ressourcengebrauch enorm verschärft und dadurch auch verändert. Lateinamerika ist ein Kontinent, der da besonders im Fokus steht, denn nirgendwo sonst hat in den letzten zwei Jahrzehnten die Ressourcenausbeutung derartig zugenommen – und damit verbunden die sozialen und ökologischen Konflikte auf diesem Subkontinent.
Es gab seit Ende der neunziger Jahre, vor allem aber in den ersten zweitausender Jahren, enorm hohe Rohstoffpreise an den Weltmärkten. Und das haben lateinamerikanische Staaten genutzt, um ihre Ressourcenausbeutung zu intensivieren. All das führte dazu, dass Konflikte – und hier reden wir wirklich von Konflikten – also, wo Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubt werden, wo ihre Rechte verletzt werden – in Lateinamerika enorm zugenommen haben.
Dieser Prozess, der aus einem Stück Kupfer, das in Chile unter großen Umweltschädigungen aus dem Berg geholt wird, bis zu seiner Verarbeitung und seinem Einsatz als hochleitendes Kabel in der Elektroindustrie oder auch in den Endgeräten, die wir dann benutzen, dieser Weg hat ja ganz viele Etappen, und auch dort entsteht Verantwortung. Und letztlich entsteht auch Verantwortung – nicht Schuld, aber Verantwortung oder mindestens die Pflicht zum Mitdenken – bei dem Verbraucher oder bei der Verbraucherin.“
Die Unternehmenszwänge und das Potenzial der Zivilgesellschaft, Konflikte in Lateinamerika durch extraktivistische Aktivitäten zu mildern.
Im Interview mit Dawid Danilo Bartelt, Buchautor und Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko
Addressing extractivism & conflicts in Latin America: lessons learned - Interview with Dawid Bartelt - adelphi, Berlin
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„Die Erfahrung zeigt, dass sich ohne eine gestärkte Zivilgesellschaft wenig bewegt. Unternehmen haben einen Konflikt, einen Strukturkonflikt, der leicht zu verstehen ist. Ihr Unternehmensziel ist, den shareholder value, ihren Gewinn, zu steigern. Alles, was dieses beeinträchtigt oder bedroht, ist zunächst nicht erwünscht. Sich mit Betroffenen an einen Tisch zu setzen, möglicherweise auch auf bestimmte Produktionsstandorte, die aus ökonomischer Perspektive ein lukratives Wirtschaften versprechen, zu verzichten, all das ist eigentlich nicht im Interesse der Unternehmen. Aber es gibt diese veränderte Diskurslage und es gibt diesen Druck. Denn die Zivilgesellschaft in Lateinamerika ist relativ gut organisiert: Es gibt Konfliktobservatorien auf nationaler Ebene, aber auch lateinamerikanischer Ebene – und die agieren. Das heißt, der Widerstand ist besser geworden und er ist besser organisiert.
Diese transnationalen Konzerne haben Jahresumsätze, die dem Bruttosozialprodukt von kleinen Staaten wie Bolivien fast nahekommen. Und auf der anderen Seite haben wir kleine Organisationen, die in einem sehr widrigen politischen und rechtlichen Umfeld versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Aber da herrscht kein Gleichgewicht. Und das ist in diesem Begriff „Dialog und Partnerschaft“ immer so ein bisschen versteckt, dieses Machtungleichgewicht.
Deswegen ist meine Schlussfolgerung, dass überall dort, wo Freiwilligkeit herrscht für Unternehmen, es eine systemische Begrenzung gibt für den Erfolg solcher Multistakeholderinitiativen. Ich finde sie wichtig, aber man muss sich darüber klar sein, dass es dort eine Begrenzung gibt.
Das heißt, mein Ansatz ist, wenn ich sozusagen Extraktivismus konfliktärmer – konfliktfrei geht sowieso nicht – aber konfliktärmer gestalten will, muss ich erstens die Zivilgesellschaft stärken, zweitens die Zivilgesellschaft stärken und drittens die Zivilgesellschaft stärken! Und dann habe ich die Voraussetzung für andere politische Initiativen, für Multistakeholderinitiativen und dergleichen. Aber das ist erst mal der Ansatz. Das ist noch nicht direkt unmittelbar politisch umzusetzen, aber die Perspektive muss sich ändern. Diese Perspektive, dieses Machtangleichen, angeblich „auf Augenhöhe“, ist meiner Meinung nach nicht zielführend, weil sie immer wieder diese Konflikte, die immer wieder und weiter auftreten und die wirklich zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen – zu toten Menschen führen – dass sie diese Konflikte immer wieder befeuert, weil sie eben nicht wirklich in ihren Ursachen angegangen werden.
Die Interviews wurden am 12. April 2017 in Berlin von Anna-Maria Link, Daria Ivleva und Stella Schaller (adelphi) in Berlin geführt. Mit feundlicher Genehmigung der Veröffentlichung auf boell.de.
Publikation:
Die Intensivierung der Rohstoffausbeutung, wie sie in den meisten Ländern Lateinamerikas seit Ende der 1990er Jahre stattfindet, führt praktisch zwangsläufig zu gesellschaftlichen und ökologischen Konflikten, so die zentrale These des Buches
Das Buch ist bei der Heinrich-Böll-Stiftung (www.boell.de) sowie im Buchhandel und beim Verlag Klaus Wagenbach erhältlich.