Menschenrechte unter al-Sisi

Factsheet

Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Religionsfreiehit, Frauenrechte, Todestrafe: Die Menschenrechtssituation in Ägypten hat sich seit der Machtübernahme durch Abdel Fatah al-Sisi gravierend verschlechtert. Carsten Jürgensen gibt einen Überblick.

Tahrir Platz, Kairo
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Tahrir Platz in Kairo, 2011

Inhaltsverzeichnis

Durch Gesetzesverschärfungen wurden Freiheitsrechte massiv eingeschränkt. Ägyptische und internationale Menschenrechtsorganisationen berichten regelmäßig über Repressionen gegen kritische Stimmen, einschließlich Aktivist/innen  und Journalist/innen. Angehörige religiöser Minderheiten werden von bewaffneten Gruppen gezielt getötet.

Frauen werden diskriminiert und die Behörden gehen kaum gegen Männer vor, die Gewalt gegen Frauen ausüben. LGBTI-Personen droht strafrechtliche Verfolgung. Der Sicherheitsapparat lässt Gefangene verschwinden und erpresst unter Folter „Geständnisse“. Politische Gefangene werden in unfairen Prozessen verurteilt. Gegen Hunderte wurden Todesurteile verhängt.

Die Menschenrechtssituation in Ägypten ist bedrückend.

Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Mitte März 2018 waren 29 Journalist/innen und Blogger/innen in Haft. Kritiker/innen drohen beispielsweise unter dem Vorwurf der Verbreitung angeblich „falscher“ Informationen mehrjährige Gefängnisstrafen. Unabhängige Medien werden verboten und Internetseiten gesperrt. Die ägyptische Organisation für Gedanken- und Meinungsfreiheit (AFTE) dokumentierte in einem aktuellen Bericht, dass seit Mai 2017 nahezu 500 Internetseiten blockiert wurden.

Menschenrechtsaktivisten werden bedroht, inhaftiert und angeklagt. Im November 2013 unterzeichnete al-Sisi das Gesetz 107/2013, das die Versammlungsfreiheit weitgehend einschränkt und für nichtgenehmigte Demonstrationen Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren vorsieht. Hunderte wurden unter diesem Gesetz angeklagt.

Vereinigungsfreiheit

Mit al-Sisis Machtübernahme wurden Handlungsräume der ägyptischen Zivilgesellschaft massiv beschnitten. Im Januar 2018 berichtete das Kairo Institut für Menschenrechtsstudien (CIHRS), dass gegen 29 Menschenrechtsaktivist/innen ein Ausreiseverbot besteht und die Konten von sieben Menschenrechtsorganisationen gesperrt wurden. Im Februar 2017 musste in Kairo das NADEEM Behandlungszentrum für Opfer von Gewalt und Folter auf behördliche Anordnung seine Klinik schließen.

Im Mai 2017 unterzeichnete Präsident al-Sisi das Gesetz 70/2017, welches die staatliche Kontrolle über Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) noch stärker ausweitet. Dem Gesetz zufolge können unautorisierte Recherchen mit fünf Jahren Gefängnis geahndet werden. Die Durchführungsbestimmungen dieses Gesetzes sind bisher noch nicht erlassen worden.

Religionsfreiheit

Das ESHHAD Projekt des TAHRIR Institute for Middle East Politics (TIMEP)  dokumentiert, dass vor allem die christliche Minderheit religiös motivierten Übergriffen ausgesetzt ist. Häufig gehen die Behörden nicht gegen die Täter vor. Auch andere Konfessionen, darunter Bahai und Schiiten sind betroffen. Bewaffnete Gruppen haben zahlreiche tödliche Attentate auf Christ/innen verübt.

Nachdem Anfang 2017 sieben Christen im Nord-Sinai getötet wurden, verließen Hunderte aus Furcht die Gegend. Im November 2017 wurden bei einem Anschlag auf eine Moschee im Nord-Sinai mehr als 311 Menschen, darunter 27 Kinder, getötet. Im Dezember 2017 wurden bei einem Anschlag des Islamischen Staates auf eine koptische Kirche in Kairo 10 Menschen erschossen.

Frauenrechte

Frauen haben im Vergleich zu Männern schlechtere Bildungs- und Berufschancen und werden zudem durch Gesetze diskriminiert. Sexuelle Übergriffe und Gewalt gegen Frauen sind weitverbreitet, aber die Täter bleiben fast immer straffrei. Ägyptische Frauenrechtsorganisationen – einschließlich NAZRA für feministische Studien, die Organisation der Neuen Frau und das Ägyptische Rechtsberatungszentrums für Frauen (CEWLA)  -  kritisieren die Untätigkeit bzw. Billigung der Behörden gegenüber sexueller Gewalt gegen Frauen.

Nachdem im März 2017 eine Studentin in Zagazig von einer Gruppe von Männern sexuell angegriffen wurde, warf ihr die lokale Sicherheitsbehörde in einer Stellungnahme vor, sie habe den Vorfall durch „sehr kurze Kleidung“ provoziert.

Rechte von LGBTI-Personen

Menschen, deren sexuelle Orientierung oder Identität von gesellschaftlich akzeptierten Normen abweicht, droht soziale Ächtung und strafrechtliche Verfolgung. Die Ägyptische Initiative für Persönlichkeitsrechte (EIPR) dokumentiert in einem aktuellen Bericht staatliche Repression, einschließlich Misshandlungen in Polizeigewahrsam, gegen LGBTI-Personen. Einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Gleichgeschlechtlichen werden als „sexuelle Ausschweifung“ strafrechtlich verfolgt und können mit bis zu 5 Jahren Gefängnis bestraft werden.

Sicherheitskräfte kreieren fiktive Identitäten im Internet mittels derer Homosexuelle kontaktiert, identifiziert und strafrechtlich belangt werden. Nachdem bei einem Konzert im September 2017 in Kairo eine Regenbogenfahne geschwenkt wurde, kam es zu einer Verhaftungswelle mit über 75 Festnahmen.

Anti-Terror-Maßnahmen

Seit Mitte 2013 bekämpft das ägyptische Militär bewaffnete Gruppen im Sinai, darunter den „Islamischen Staat“. In dem Konflikt haben bewaffnete Gruppen bereits hunderte Zivilist/innenund über 1000 Sicherheitskräfte getötet. Sicherheitskräfte haben hunderte Mitglieder bewaffneter Gruppen getötet. Mit der Sicherheitslage im Sinai rechtfertigt die Regierung al-Sisis die Verlängerung des im April 2017 verhängten Ausnahmezustandes.

Der UN Hochkommissar für Menschenrechte kritisierte im Mai 2017, dass „der Ausnahmezustand, die hohe Zahl von Verhaftungen, Berichte über Folter und willkürliche Festnahmen zu einer Radikalisierung in den Gefängnissen beitragen“.

Die von al-Sisi im August 2015 gebilligten Anti-Terror Gesetze sehen drakonische Strafen auch gegen Aktivitäten vor, die unter das Recht auf Meinungsfreiheit fallen. So wurde mittels dieses Gesetzes  im April 2017 der Anwalt Mohammad Ramadan für Präsidentenbeleidigung und Aufwiegelung zu Gewalt aufgrund eines Facebook-Eintrags zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt.

Festnahmen und "Verschwindenlassen"

Die Menschenrechtsorganisation Ägyptische Kommission für Rechte und Freiheiten (ECRF) stellt fest, dass erst mit der Machtübernahme al-Sisis das „Verschwindenlassen“ weite Verbreitung gefunden hat - also die Praxis der Sicherheitskräfte, Menschen nach ihrer Festnahme für Wochen den Kontakt mit der Außenwelt zu unterbinden. Die ECRF berichtete, dass Sicherheitskräfte zwischen August 2016 und August 2017 mindestens 378 Menschen, darunter 4 Frauen, verschwinden ließen.

Im September 2017 wurde Ibrahim Metwally Hegazy, Mitbegründer der Vereinigung der Familien von Verschwundenen in Ägypten am Kairoer Flughafen inhaftiert, als er auf dem Weg nach Genf zu einem Treffen mit der UN Arbeitsgruppe zu Gewaltsamem Verschwinden war.

Folter und Tod in Haft

Folter und Misshandlungen sind in Polizeistationen, Gefängnissen und Hafteinrichtungen des Geheimdienstes weitverbreitet. Foltermethoden sind vielfältig und umfassen die Verabreichung von Elektroschocks, sexuelle Misshandlungen und brutale Stock- und Peitschenhiebe. Gefangene, die für Wochen und Monate in Haft verschwinden, sind besonders gefährdet. Regelmäßig berichten Angeklagte, dass sie durch Folter oder deren Androhung dazu gebracht wurden, ein vermeintliches Geständnis abzulegen.

Immer wieder sterben Menschen in Polizeihaft unter Umständen, die den Verdacht nahelegen, dass sie vor ihrem Tod gefoltert wurden. Der Tod des 22-jährigen Mohamad Abdel Hakim Mahmoud im Januar 2018 in Polizeihaft in Kairo führte zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten, nachdem bekannt wurde, dass bei der Obduktion ein Milzriss und Blutungen im Bauch festgestellt wurden.

Politische Gefangene und unfaire Gerichtsverfahren

Zehntausende sind als politische Gefangene in Haft. Viele haben im Frühling 2011 für die Absetzung Mubaraks oder ab Sommer 2013 gegen den Putsch al-Sisis demonstriert. Mitte August 2013 richteten unter al-Sisi ägyptische Sicherheitskräfte ein Blutbad unter demonstrierenden Anhänger/innen des gestürzten Präsidenten Mursi an – mit über 900 Toten. Tausende wurden seitdem inhaftiert, angeklagt und viele in unfairen Massenprozessen verurteilt.

Im Oktober 2014 unterzeichnete al-Sisi ein Dekret, das die Zuständigkeit von Militärgerichten ausdehnt. Seitdem wurden in unfairen Prozessen tausende Zivilisten vor Militärgerichten angeklagt. Der Aktivist Alaa Abdel Fattah, der bereits unter Mubarak inhaftiert war, wurde Februar 2015 im Zusammenhang mit einer nicht genehmigten Demonstration gegen die Militärgerichtsbarkeit zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Er ist ein prominentes Beispiel der Generation der Protestierenden, die maßgeblich zum Ende Herrschaft Mubaraks beitrugen, und inzwischen als „Generation Jail“ bezeichnet wird.

Todesstrafe

Die Ägyptische Initiative für Persönlichkeitsrechte (EIPR) und das ADALAH Zentrum für Recht und Freiheit stellen in ihrem gemeinsamen Jahresbericht zur Todesstrafe fest, dass nach ägyptischem Recht - einschließlich Strafgesetzbuch, Drogengesetzen, Militärrecht und Anti-Terror-Gesetzen - die Todesstrafe für mehr als 100 Straftaten verhängt werden kann.

Dem Bericht zufolge wurden 2017 mindestens 340 Menschen zum Tode verurteilt, darunter 71 Zivilist/innen vor Militärgerichten. Mindestens 29 Menschen wurden hingerichtet. Eine Allianz ägyptischer Menschenrechtsorganisationen protestierte Anfang Januar 2018 gegen die hohe Anzahl von Hinrichtungen in den vorangegangen Wochen.