Menschenrechte in Ägypten: "Schweigen würde bedeuten, unsere Sache aufzugeben"

Interview

Mohamed Lotfy leitet die Menschenrechtsorganisation Egyptian Commission for Rights and Freedoms (ECRF), die im September 2013 in Ägypten gegründet wurde. Im Gespräch mit Joachim Paul und Niko Pewesin von der Heinrich-Böll-Stiftung spricht er über das extreme Risiko, das Menschenrechtsverteidiger/innen in Ägypten täglich eingehen: Ein Leben zwischen Angst und Mut, zwischen Erniedrigung und der Überzeugung das Richtige zu tun.

Mohamed Lotfy
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Mohamed Lotfy

Joachim Paul: Mohamed Lotfy, Sie sind einer der wenigen Menschen in Ägypten, die sich gegenüber ausländischen Organisationen öffentlich und unter Nennung ihres Namens kritisch äußern. Ist das nicht gefährlich?

Mohamed Lotfy: Ja, das birgt Risiken. Unglücklicherweise ist das Risiko noch größer für Menschen, die öffentlich nicht so bekannt sind, oder keine Verbindung mit internationalen Organisationen oder Medien haben. Aber natürlich ist das auch für uns riskant. Doch zu schweigen, würde bedeuten unsere Sache aufzugeben. Wir müssen versuchen die roten Linien der Meinungsfreiheit soweit wie möglich zurückzudrängen.

Ist Öffentlichkeit ein Schutz?

Ja, sicher. Wenn du die Botschaft verbreitest, dass du keine Angst hast, muss sich das Regime mehr überlegen, was es tut. Es gab einige [unter uns], die Rückzieher gemacht haben, die diplomatisch geworden sind, oder gar das Regime unterstützt haben und die verhaftet, bestraft und erniedrigt wurden. Nur weil sie ein wenig von der offiziellen Linie abgewichen sind.

Wir sprechen am ersten Tag der Präsidentschaftswahl in Ägypten. Wie ist die Stimmung unter den Menschenrechtler/innen und Aktivist/innen?

Es ist allen klar, Menschenrechtsverteidiger/in oder nicht, dass diese Wahl nichts anderes als ein Theaterspiel ist. Es wird nur so getan, als ob es Kandidaten gäbe. Wir haben kein politisches Programm gesehen, keine Wahlkampagne und keine Wählermobilisierung. Von dem Wahlvolk wird erwartet die Amtszeit des Präsidenten zu verlängern und sich danach für die nächsten vier Jahre ruhig zu verhalten.

Und die Wahlbeteiligung, wäre es nicht ein Zeichen von Ablehnung, wenn diese sehr niedrig wäre?

Ich glaube, dass man innerhalb des Regimes dies nicht gern sähe. Deswegen gibt es eine Menge Propaganda, nicht nur in letzter Zeit, sondern seit sieben Jahren, als al-Sisi an die Macht kam.

Warum kam ihr Bericht (Egypt - Finding Scapegoats – Crackdown on Human Rights Defenders und Freedoms in the Name of Counter-terrorism and Security) jetzt, so kurz vor der Wahl heraus?

Der Bericht sollte ein Fazit der ersten Amtszeit von Präsident al-Sisi ziehen. Wie steht es um die Menschenrechte und in welcher Situation leben die Menschenrechtler/innen vier Jahre nach seiner ersten Wahl. Er war in weiten Teilen bereits geschrieben, als die potentiellen Gegenkandidaten zum Verzicht gezwungen oder wie im Fall Sami Anans verhaftet wurden. Der Bericht hätte also eine noch schlechtere Situation zeigen können, wenn wir gewartet hätten.

 

Mohamed Lotfy leitet die Egyptian Commission for Rights and Freedoms (ECRF). Zuvor arbeitete er für Amnesty International zu Ägypten. Seine Schwerpunkte sind Menschenrechtsverletzungen durch Militär und Polizei. Mohamed Lotfy hat sich zudem mit ökonomischen und sozialen Rechten auseinandergesetzt, besonders mit der Vertreibung von nicht dokumentierten Bewohner/innen aus informellen Wohngebieten. Die Situation der Menschenrechte beschreibt er nüchtern in seinem Bericht: "Egypt - Finding Scapegoats – Crackdown on Human Rights Defenders und Freedoms in the Name of Counter-terrorism and Security". (Editiert und herausgegeben von EuroMed Rights im Februar 2018.)

Sie sprechen von Unterdrückung im Namen von Anti-Terrorismus und Sicherheit, was meinen Sie damit?

Wenn du ein Menschenrechtsverteidiger/in bist, oder die Regierung kritisierst, selbst mit gewaltlosen Mitteln, also dein Recht auf Meinungsfreiheit ausübst, bist du aus der Perspektive der Regierung ein Terrorist. Dir wird vorgeworfen ein Faktor von Instabilität zu sein, oder die nationale Sicherheit zu gefährden. So als ob du ein Terrorist seist, oder Waffen nutzen würdest. Als Leiter einer regierungskritischen NGO oder als Journalist kann dir das passieren. Juristisch ist dies möglich geworden, nachdem die schon stark Freiheit einschränkenden Gesetze [unter al-Sisi] noch mal erweitert wurden. Und zwar durch das Anti-Terror Gesetz vom August 2015, die Änderungen des Strafgesetzbuchs und natürlich durch das sogenannte „Protest Law“ vom Juli 2013.

Wie sieht das im Detail aus?

Das fängt an mit dem Abhören deines Telefons, dann wird dein Password bei Facebook geändert und sie versuchen in deine Emails zu kommen. Mit Techniken wie Phishing und anderen Versuchen in deine Online-Konten zu kommen. Wenn du zu einer Organisation gehörst, wird versucht diese zu schließen, es wird eingebrochen und Bankguthaben werden eingefroren. Wenn du protestierst und sagst, dass etwas falsch läuft in diesem Land, riskierst du verhaftet zu werden und für einige Wochen oder Monate zu verschwinden.

Wenn du ein Journalist bist, wird zunächst dein/e Herausgeber/in deine Texte zensieren, oder dir verbieten, überhaupt noch zu veröffentlichen. Dies ist zum Beispiel Alaa Al-Aswani geschehen, dem international bekannten Romanautor. Er kann nicht mehr in ägyptischen Medien veröffentlichen.

Wenn du als Rechtsanwalt/Rechtsanwältin z.B. in einem Fall von Verschwinden-lassen aktiv wirst, oder bei Folter, oder dich für die Rechte von Menschen in Gefängnissen einsetzt, läufst du Gefahr juristisch ausgeschaltet zu werden. Wenn du dich an die Vereinten Nationen wendest, um über das Verschwinden-lassen zu berichten, wie z.B. Ibrahim Metwally, ein Anwalt, dessen Sohn vor vier Jahren verschwand, wirst du am Flughafen verhaftet. Ezzat Ghunaim, ein weiterer Anwalt wurde verhaftet, weil ihm vorgeworfen wurde, mit der BBC Kontakt zu haben, die einen Dokumentarfilm über Folter in Ägypten gedreht hat. Wenn du Mitglied einer Partei bist, z.B. von „Bread and Freedom“ oder „Dustur“, ist es wahrscheinlich, dass du bei der nächsten Verhaftungswelle zuhause abgeholt wirst. Wenn du ein/e Nubier/in bist und glaubst für das Recht auf das Land deiner Vorfahren zu demonstrieren, kann dir das Gleiche widerfahren. Wenn du dich für LGBTI-Rechte einsetzt, kannst du schon für das Zeigen einer Regenbogenfahne verhaftet werden. Dies unter dem Vorwurf „unmoralisches Verhalten“ zu verbreiten.

Also, wenn du deine Rechte gewaltlos vertrittst, wirst du behandelt, als würdest du mit einer Waffe auf der Straße herumlaufen. Und das ist sehr gefährlich, weil jungen Menschen gezeigt wird, dass gewaltloses Handeln nicht möglich ist. Das mag sie anfälliger machen für die Rekrutierungen von terroristischen Gruppen, wie dem sogenannten Islamischen Staat.

Wir wissen, dass 40.000 – 60.000 Menschen aus politischen Gründen in Haft sind. Wie würden Sie ihre Situation in den Gefängnissen beschreiben?

Gefangenen werden oft Besuche ihrer Familien verweigert. Ebenso wird die medizinische Versorgung eingeschränkt. Die Gefängnisse sind total überfüllt. Ägypten hat in den letzten vier Jahren 19 neue Gefängnisse gebaut. Das zeigt, wie sehr die Überbelegung zu einem Problem geworden ist und wahrscheinlich auch, dass zukünftig mehr Menschen verhaftet werden sollen.

Und dann gibt es natürlich die Folter. Diese findet aber nicht in den Gefängnissen statt. Alle die von der Nationalen Sicherheit oder der Armee entführt, d.h. „verschwunden sind“, wurden in den lokalen Sicherheitseinrichtungen und Kasernen gefoltert. Es herrschen viele Methoden vor, u.a. Elektroschock, an den Armen hängen lassen, Entzug von Nahrung und Kleidung. Die meisten dieser Praktiken finden auch in normalen Polizeistationen statt. Wir hören nicht so viel davon, aber wissen, dass Folter auch zum Tode von Verhafteten geführt hat.

Niko Pewesin: Wie ist die Lage spezifisch für weibliche Aktivist/innen? Darüber hinaus: Auch wenn die große Mehrzahl der Gefängnisinsassen Männer sind, hat die beschriebene Art von Repression, wie sie in Ägypten vorherrscht, natürlich auch gravierende Konsequenzen für die weiblichen Angehörigen der Gefangenen.

Es ist richtig, dass die überwiegende Mehrzahl von Verhafteten und Verschwundenen Männer sind. Abhängig vom Alter der Opfer, sind es in der Regel die Mütter, Ehefrauen und Schwestern, die sich bei den Behörden, um das Schicksal der Opfer kümmern müssen. Sie suchen Rat bei Anwälten oder gehen direkt zu den Polizeistationen oder Gefängnissen, in denen ihre Angehörigen vermutet werden. Gerade die Ehefrauen befinden sich in einem unsicheren Schwebezustand, da sie keine Nachricht von den Behörden erhalten, aber häufig ganz praktisch ihren Kindern erklären müssen, was mit ihren Vätern geschehen ist. Auch müssen sie nun die Kosten für die Familie allein aufbringen.

In Fällen in denen der familiäre Zusammenhalt nicht so stark ist, sind die Frauen häufig Drohungen durch die Sicherheitsorgane ausgesetzt. Auch kommt es vor, dass die Frauen bei dem Versuch verhaftet werden, mehr Informationen über ihre Angehörigen in Erfahrung zu bringen.

Organisationen, die Frauen unterstützen sind häufig ägyptische feministische Organisationen. Diese leiden ebenfalls unter dem eingeschränktem Spielraum für die Zivilgesellschaft. Sowohl wurden persönliche Bankkonten der Angestellten als auch die Konten der Organisation gesperrt. Das Regime versucht sich als Verfechter von Frauenrechten im Gegensatz zu den Islamisten darzustellen. Dabei schwächen sie tatsächlich die Situation von Frauen in Ägypten.

 

Das Gespräch wurde am 26. März 2018, dem ersten Tag der Präsidentschaftswahlen über einen verschlüsselten Kommunikationsdienst geführt.