"Ich habe hier viele Impulse bekommen, die mich politisiert haben"

Interview

Ein Gespräch mit Susan Djahangard-Mahboob, Journalistin für DIE ZEIT und ehemalige Stipendiatin. Im Interview spricht sie über Vielfalt in den Medien, Zugänge und warum sie nicht mehr gefragt werden will, wo sie herkommt.

Susan Djahangard

Das Interview mit Susan Djahangard-Mahboob führte Verena Griesinger im März 2018. 

Du hast selbst das Studienstipendienprogramm „Medienvielfalt anders“ durchlaufen, das sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzt. Was bedeutet Vielfalt für dich?

Die Gesellschaft, in der wir leben, ist eine sehr vielfältige: durch Geschlecht, sexuelle Orientierung, Migrationsgeschichten, Bildung, Einkommen, Vermögen und soziale Vielfalt. Nicht nur in den Medien, sondern in vielen Bereichen sollte eine Vielfalt von Gesellschaft abgebildet sein, auch in der Politik oder bei Führungspositionen in der Wirtschaft.

Wo siehst du Hürden in unserer Medienlandschaft, um Vielfalt an Themen und Menschen zu erreichen?

Mehr Menschen, die eine Migrationsgeschichte haben, sollten Journalistinnen und Journalisten werden. Heute ist das aber auch eine Frage der Ausbildung: Wer macht Abitur, wer kann sich ein Studium leisten? Praktika sind oft unbezahlt, aber viele Studierende müssen in den Semesterferien arbeiten, damit sie sich ihr Studium überhaupt finanzieren können.

Dazu kommt, dass Journalismus eine Branche ist, in der man am Anfang viel durchhalten muss, damit man da überhaupt reinkommt. Wenn man als Redakteurin arbeitet, bekommt man ein Tarifgehalt und das ist schon in Ordnung, aber es gibt auch sehr viele andere prekäre Stellen.

Eine weitere Hürde ist, wer jahrelang ausgewählt wurde, wer für kompetent gehalten wurde, wem der Job zugetraut wurde. Und da spielen doch oft Vorurteile, auch unbewusste, eine wichtige Rolle. Mittlerweile sind aber auch viele große Redaktionen überzeugt, dass sie vielfältiger als früher zusammengesetzt sein wollen. Trotzdem ist noch viel zu tun.

Was hat das Stipendium für dich bedeutet? Was hast du aus dem Programm mitgenommen?

Inhaltlich habe ich viel lernen können. Es war keine strukturierte Ausbildung, sondern eher ein Reinschnuppern in und ein Ausprobieren von verschiedenen Bereichen. Ich erinnere mich an ein Seminar, bei dem wir geübt haben, politische Interviews zu führen. Es kamen Lokalpolitikerinnen und -politiker aus Berlin und wir konnten mit denen Interviews führen. Wir haben ein crossmediales Training bei der Deutschen Welle bekommen, einen Radioworkshop bei Radio Bremen, ich habe gleich zweimal an einem tollen Reportageseminar teilgenommen.

Das Wertvollste allerdings ist im Rückblick für mich dieses Netzwerk und die Menschen, die ich hier kennen lernen konnte. Das ist nochmal anders als in der Journalistenschule oder über Praktika: Da habe ich auch tolle Zugänge zu Netzwerken im Journalismus bekommen. Aber hier habe ich ein besonderes Netzwerk bekommen mit Menschen, die ganz ähnliche Erfahrungen machen wie ich, thematisch ähnliche Interessen und ähnliche Standpunkte haben, und die auch davon überzeugt sind, als Journalistin oder Journalist eine Haltung zu manchen Themen haben zu müssen. Das war sehr inspirierend – ich habe hier am Anfang meines Studiums viele Impulse bekommen, die mich politisiert haben.

 

Susan Djahangard-Mahboob

Susan Djahangard-Mahboob studierte in Düsseldorf, Nottingham und Berlin Politikwissenschaft und war in dieser Zeit Stipendiatin im Studienprogramm „Medienvielfalt, anders“ der Heinrich-Böll-Stiftung.

Ihre journalistische Ausbildung zur Redakteurin absolvierte sie von Juli 2016 bis Dezember 2017 an der Henri-Nannen-Schule. Seit Januar 2018 arbeitet sie im Ressort Wirtschaft für DIE ZEIT. 

In deinen Artikeln setzt du dich oft mit dem Thema Migration, aber auch Diskriminierung und Rassismus im Alltag auseinander. Dabei beziehst du auch persönliche Erlebnisse mit ein. Welche Perspektive möchtest du im öffentlichen Diskurs präsenter machen?

Texte über diese Themen wollte ich schon immer gerne schreiben. Anders herum wurde immer wieder an mich herangetragen, ob ich nicht Texte über den Iran schreiben könne, weil mein Vater Iraner ist. Da habe ich immer gesagt, dass ich mich dafür nicht kompetent genug fühle, dass ich das nicht machen möchte und dann habe ich das auch nicht gemacht.

Mir war schon immer wichtig, dass ich in meiner Arbeit auch einfach Journalistin sein kann, die über alles Mögliche schreibt und nicht nur über ein Thema. Über Migration und Diskriminierung schreibe ich tatsächlich oft gerne. Auch, weil ich überzeugt bin, dass wir, die Migration auf ganz unterschiedliche Weise in ihren Familien und in ihrer Biographie erlebt haben, andere Perspektiven auf das Thema haben.

In einem Artikel, der sehr wichtig für mich war, habe ich mit einem Freund darüber geschrieben, dass wir nicht gefragt werden wollen, wo wir herkommen, weil wir uns als Deutsche sehen, die in Deutschland groß geworden sind. Das könnte niemand schreiben, der nicht wie wir regelmäßig die Erfahrung macht. Es war ein Moment, in dem ich gerne meine Erfahrung als Text publizieren wollte, um solche Perspektiven sichtbar zu machen. Ich glaube schon, dass unsere Erfahrungen eine Chance sind.

Mit anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten habe ich viel über Zugänge gesprochen. Es gibt noch immer sehr viele Journalistinnen und Journalisten, die in einer Mittelschichtswelt groß geworden sind und in einem sehr weißen Umfeld leben. Sie wissen zwar, dass es ganz viele Migrantinnen und Migranten in Deutschland gibt, haben aber keinen persönlichen Bezug dazu.

Wenn man selbst Migrationsgeschichte hat, sind das nicht so die Anderen, die man im schlimmsten Fall oft irgendwie von oben herab betrachtet. Das hilft mir allein, wenn ich Menschen treffe, die noch nicht lange in Deutschland sind. Obwohl ich das selbst nicht erlebt habe, hat das mein Vater erlebt und ich habe engen Kontakt zu meiner Cousine, die selbst erst vor ein paar Jahren nach Deutschland gekommen ist.

Diese Erfahrung macht das Thema Migration begreifbarer und emotional nachvollziehbarer für mich. Ich merke, dass ich einen anderen Blick auf diese ganzen Identitätsdebatten habe, ich fühle mich selbst davon angesprochen und kann selbst aus meiner Position sprechen. Es können noch ganz andere Zugänge sein: Andere haben einen Zugang über Sprache, weil sie Türkisch, Russisch, Vietnamesisch oder Persisch sprechen. Wir brauchen in den Medien ganz verschiedene Positionen.

Kannst du die Themen, die dich interessieren, auch in deine Arbeit einbringen? Finden sie den Raum, den du ihnen wünscht?

Das hängt stark von der Redaktion ab: dem Ressort, dem Medium. Man braucht einen aktuellen Aufhänger. Es hängt auch sehr von der Zeit ab. Vor drei Jahren war es einfach über Geflüchtete zu schreiben und Themen unterzubringen. Seitdem habe ich in verschiedenen Redaktionen immer wieder gehört: Nicht schon wieder eine Flüchtlingsgeschichte.

Mich stört oft der Blick, dass Migrations- oder Flüchtlingsgeschichten ein extra Thema sind. Ich habe einmal ein Radiopraktikum gemacht, da wollte ich eine Geschichte erzählen, wie schwierig es für syrische Geflüchtete ist, in Deutschland eine Wohnung zu finden. Da musste ich mich sehr lange rechtfertigen, warum das die deutschen Hörerinnen und Hörer interessieren würde und warum das relevant sei.

Das finde ich aus zwei Punkten problematisch: Erstmal machen solche Erfahrungen auf dem Wohnungsmarkt auch viele Leute, die in Deutschland leben. Es ist ein schräges Bild, dass Migrantinnen und Migranten eine andere Gruppe und keine Hörerinnen und Hörer sind, die man erreichen möchte. Und ich finde es sehr wichtig, migrantische Geschichten zu erzählen, damit auch die Mehrheitsgesellschaft von etwas hört, das sie in ihrem Alltag nicht selbst erleben.

Welche positiven Veränderungen wünschst du dir in der deutschen Medienlandschaft und im Journalismus von morgen?

Ich wünsche mir für die Medien, aber das wünsche ich mir auch allgemein, dass es noch normaler wird Menschen mit Namen, wie ich ihn habe, oder Menschen, die dunklere Haut oder schwarze Locken haben, in den Medien arbeiten zu sehen, dass sie nicht mehr auffallen. Ich wünsche mir aber auch, dass wir nicht mehr so oft in den Medien aber auch sonst gefragt werden, wo wir herkommen. 

Ein Bewusstsein, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, in dem viele Menschen wohnen, die Migrationsgeschichte haben, oder auch das Wissen, dass es seit Generationen schwarze Deutsche gibt.