Die Vierte Gewalt: Demokratie braucht Qualitätsjournalismus

Aufruf

Digitale Kommunikation und populistische Stimmungsmache verändern die Gesellschaft und die Massenmedien. Eine funktionierende Demokratie braucht jedoch Qualitätsjournalismus. Teil 2 unserer Reihe zu Medienwandel und Pressefreiheit in Europa. 

In die Höhe gereckte Handys

Über viele Jahrzehnte galten die klassischen Medien als Vermittler von vertrauenswürdigen Informationen und Nachrichten, mit denen sie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitrugen. Redakteure und Redakteurinnen mussten eine journalistische Ausbildung durchlaufen, um sich für diese Aufgabe der Medien zu qualifizieren. Medienvermittlung war insofern automatisch Qualitätsarbeit – es bedurfte gar nicht des Begriffs Qualitätsjournalismus. Doch längst hat sich das Bild gewandelt.

Heute werden die Medien in sozialen Netzwerken von interessierter Seite als Lügenpresse denunziert und müssen um ihre Glaubwürdigkeit kämpfen. Überall hat die populistische Welle, die durch Europa geht, die etablierten Kanäle der politischen Kommunikation untergraben und die Bedeutung der traditionellen Massenmedien relativiert.

Zugleich hat der amerikanische Präsident vorgemacht, wie man selber Fake News produziert und gleichzeitig die Qualitätsmedien dafür anprangert, Fake News in die Welt zu setzen. Bezeichnenderweise richtet sich der Vorwurf der Lügenpresse fast ausschließlich gegen Qualitätsmedien, während z.B. Boulevard-Blätter, die es mit den Fakten nicht immer so genau nehmen, oder gar Facebook-Nachrichten davon ausgenommen werden.

Tagung

Auf der Tagung „Öffentlichkeit für Europa!“ am 30.11. und 1.12.2018 in Potsdam reden wir über den Druck, unter dem die öffentlichen Medien heute stehen. Und darüber, wie sie für eine demokratische Öffentlichkeit gesichert und gestärkt werden können. >> Informationen

Die entscheidende Triebkraft für den Wandel der letzten beiden Jahrzehnte ist die digitale Kommunikation, die die Öffentlichkeit­strukturen und Öffentlichkeitwahrnehmung verändert hat. Noch vor wenigen Jahren wurden gerade in diesen Wandel Hoffnungen auf eine Demokratisierung der politischen Kommunikation und der Politik gesetzt.

Die digitale Revolution, so glaubten viele, würde die Politik fundamental verändern: Alle haben im digitalen Zeitalter den gleichen Zugang zu Informationen und Wissen, unabhängig vom Status in der Gesellschaft, und Politik wird in einem umfassenden Sinne für alle transparent und demokratisiert. Außerdem wird der Gegensatz zwischen Repräsentierten und Repräsentanten de facto aufgehoben, weil jeder und jede nicht nur Empfänger und Empfängerin, sondern auch Sender von Informationen und Meinungen ist und dadurch gewissermaßen zum Amateur-Journalisten wird. 

Alles so nachzulesen in dem damals (2011) viel beachteten Buch von Christian Heller: Post-Privacy – Prima leben ohne Privatsphäre. Die Produkte der klassischen von Gatekeepern kontrollierten Massenmedien, so hieß es hier, würden durch das Netz entbündelt, ihre Macht nehme ab. Die Digitalisierung demokratisiere die Öffentlichkeit und öffne sie dem Input durch „Millionen Amateure“. So gerate das Netz zum Todfeind aller Geheimnisse, planmäßiger Intransparenzen und Zensuren.

In dieser Vision der digitalen Zukunft avancierte das Internet gewissermaßen zur fünften Gewalt. Längst haben sich viele der Verheißungen der digitalen Revolution jedoch ins Gegenteil verkehrt und ihre andere, ihre destruktive Seite offenbart. Vor allem hätten sich die Vertreter/innen des Netzoptimismus nicht träumen lassen, dass ihr Zungenschlag gegen die mediale „Elite“ eines Tages Teil der populistischen Stimmungsmache durch die AfD und andere demokratieskeptische Akteure werden würde.

Die Essenz einer demokratischen Öffentlichkeit

De facto hat die digitale Revolution zu einer Diffusion und Fragmentierung einer Öffentlichkeit geführt, die über die neuen sozialen Medien mit beliebigen Informationen, Desinformationen, Daten und subjektiven Befindlichkeiten geflutet wird. Dieses Modell der Öffentlichkeit braucht weder Gatekeeper noch Vermittlungsinstanzen noch urteilende Reflexionen. Aber gerade die Fähigkeit zur politischen Urteilskraft, zur Unterscheidung von wahr und falsch, von richtig und manipuliert ist die Essenz einer demokratischen Öffentlichkeit.

Diese Aufgabe wird auch heute von professionellen Journalisten und Journalistinnen wahrgenommen, die über eine entsprechende Ausbildung verfügen und ihrem Berufsethos verpflichtet sind. Gerade in diesen Zeiten brauchen wir diese Art von Qualitätsjournalismus dringender denn je. Die Morde an investigativen und seriösen Journalisten und Journalistinnen nicht nur in Diktaturen, sondern mitten in Europa zeigen, dass sie die wirkliche Bedrohung für diejenigen sind, die etwas zu vertuschen haben.

Des Weiteren wären viele Informationen niemals an die Öffentlichkeit gelangt, wenn nicht ausgebildete Journalisten und Journalistinnen sich in Recherchenetzwerken zusammengetan hätten, um Machenschaften im Bereich Wirtschaft und Politik aufzudecken. Erinnert sei in diesem Zusammenhang u.a. an die Affäre um die Panama-Papers, die Aufdeckung des VW-Dieselskandals oder jüngst die Identifizierung der beiden russischen Agenten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit den Giftanschlag auf Sergej Skripal und seine Tochter ausgeübt haben.

Auch diese qualifizierten Journalisten und Journalistinnen arbeiten natürlich mit dem und über das Internet, publizieren über Blogs und neue soziale Medien, aber sie verbinden diese Formen der digitalen Kommunikation mit journalistischer Sorgfalt, mit intensiver Recherche, der Aneignung von Sachkenntnissen und quellenkritischen Überprüfungen, bevor sie zu einem Urteil kommen bzw. Informationen an die Öffentlichkeit weitergeben.

Unterstützung der Verlage, der Sendeanstalten und des Publikums

Journalisten und Journalistinnen brauchen für diese Tätigkeit aber auch die Unterstützung der Verlage, der Sendeanstalten und des Publikums. Insofern wäre es verkürzt, die Krise der traditionellen Medien und des Qualitätsjournalismus nur auf die populistische Welle und Stimmungsmache gegen die „Lügenpresse“ zurückzuführen. In vielen Zeitungsverlagen ist unter dem Druck zurückgehender Auflagen und Werbeanzeigen die Zahl professionell ausgebildeter Journalisten und Journalistinnen zurückgefahren worden.

Zugleich ist die Zahl der freien Beschäftigten, die zwar eine gute journalistische Ausbildung haben, aber sich ständig nach unterschiedlichen Auftraggebern umschauen müssen, sprunghaft angestiegen. Außerdem hat sich das Publikum verändert. Seriöse Nachrichtensendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erreichen heute vornehmlich ein gebildetes Publikum jenseits der 50, während sich junge Menschen vorwiegend über die sozialen Netzwerke ihre Informationen besorgen.

Inzwischen haben die Medienmacher im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf diesen Trend reagiert, indem sie ihre digitalen Angebote im Netz ausbauen und neue Formate für ein jüngeres Publikum entwickeln. Gleichzeitig wird die Ausbildung von Medienkompetenz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu einem immer wichtigeren Teil der politischen Bildung.

Eines ist jedenfalls gewiss: Für die Herausbildung einer demokratischen Öffentlichkeit sind die Verteidigung und Förderung des professionellen Journalismus und die Sicherung der Qualitätsmedien als „Vierter Gewalt“  zentrale Herausforderungen in einer sich durch die digitale Kommunikation und die populistische Stimmungsmache wandelnden Gesellschaft.

Erster Teil der Reihe zu Medienwandel und Pressefreiheit in Europa.