Kambodscha droht der Entzug der EU-Handelspräferenz aufgrund schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen. Die Verantwortung dafür liegt ganz allein bei der kambodschanischen Regierung.
Als eine Vergünstigung für die am wenigsten entwickelten Länder hat die EU bestimmte Handelspräferenzen entwickelt, mit deren Hilfe diese Länder zollfrei Waren in die EU exportieren können. Kambodscha profitiert seit Jahren von den Präferenzen unter dem Programm „Alles außer Waffen“ (Everything But Arms, kurz EBA).
Nun hat die EU ein Verfahren eingeleitet, an dessen Ende der Entzug der Handelspräferenz für Kambodscha stehen könnte. Eine der EBA-Grundlagen ist laut Artikel 19 die Achtung und der Schutz von Demokratie und Menschenrechten. Und hier hat Kambodscha vor allem im vergangenen Jahr dramatische Rückschritte verzeichnet. Von Demokratie kann heute keine Rede mehr sein.
Menschenrechtslage verschlechtert sich kontinuierlich
Schon im Pariser Friedensabkommen von 1991 hatte sich die kambodschanische Regierung verpflichtet, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und relevante Menschenrechtspakte umzusetzen. In Artikel 15 des Abkommens werden ausdrücklich die Achtung und der Schutz der Grund- und Menschenrrechte erwähnt. Die internationalen Unterzeichnerstaaten (u.a. USA, Frankreich, Großbritannien) verpflichteten sich im gleichen Artikel, Menschenrechtsverletzungen in Kambodscha zu verhindern.
Wenn nun also die kambodschanische Regierung Kritik an der Menschenrechtslage als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückweist, widerspricht dies nicht nur den Prinzipien von EBA, sondern auch Geist und Wortlaut des Pariser Friedensabkommens.
Die regelmäßigen Berichte der UN-Sonderberichterstatter für Kambodscha weisen schon seit Jahren auf die ständig schlechter werdende Menschenrechtslage hin. Rhona Smith, die diesen Posten aktuell bekleidet, traf sich wiederholt sowohl mit der Regierung als auch der Zivilgesellschaft. Genau wie der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Versammlungsfreiheit, Maina Kiai, kritisierte sie willkürliche Verhaftungen, die politisch gelenkte Justiz, die enger werdenden Handlungsspielräume für NGOs – und die bewusst vage formulierten Gesetze, mit denen Kritik an Regierung, König und Justiz zum Schweigen gebracht wurde.
Kambodscha rangiert auf der weltweiten Rechtsstaalichkeitsskala des World Justice Project auf dem vorletzten Platz, noch hinter Afghanistan und Ägpten. Auch auf dem Korruptionsindex von Transparency International (TI) belegt Kambodscha schon seit Jahren einen der hinteren Ränge. Gleichzeitig beklagt TI, dass das vorhandene Antikorruptionsgesetz nicht umgesetzt wird und korrupte Eliten straffrei bleiben.
Regierungspartei erreicht 100% der Sitze bei der letzten Wahl
All dies war der Europäischen Union schon lange bekannt. Spätestens seit 2012 hat das Europäische Parlament regelmäßig die sich ständig verschlechternde Menschenrechtslage auf die Tagesordnung gesezt. Dabei hat es wiederholt auf die menschenrechtliche Grundlage von EBA verwiesen, weist Artikel 19 doch eindeutig darauf hin, dass bei schwerwiegenden und systematischen Menschenrechtsverletzung die Handelspräferenz entzogen werden kann.
Auch in bilateralen und multilateralen Gesprächen wurde die Menschenrechtslage in Kambodscha immer wieder angesprochen, doch offensichtlich hat dies nichts bewirkt. Daher ist es nicht erstaunlich, dass nun das Prüfverfahren zum Entzug der Handelspräferenz eingeleitet wird. Erstaunlich ist höchstens, dass dies nicht schon früher geschah und die EU jahrelang dabei zusah, wie Demokratie und Menschenrechte in Kambodscha immer weiter eingeschränkt wurden.
Schließlich war es wohl die jüngste Parlamentswahl, die das Fass zum Überlaufen brachte. Im Vorfeld der Wahlen waren Oppositionelle und Akvitist/innen inhaftiert, kritische Radiostationen geschlossen und die einzige im Parlament vertretene Oppositionspartei verboten worden. Am Ende reklamierte die Regierungspartei 100% aller Sitze im Parlament für sich. Eine unabhängige Beobachtung der vorbestimmten Wahl war ohnehin nicht möglich.
Auch EBA sind verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen
Anlässe zur Überprüfung der EBA-Präferenzen gibt es also zur Genüge. Und doch kommt erste Kritik auf. Von „Sanktionen“ ist die Rede, während doch allenfalls die vertragsgerechte Wegnahme konditionierter Präferenzen erfolgt. Sollte EBA ausgesetzt werden, wird Kambodscha auch weiterhin in die EU exportieren und auch Waren aus der EU importieren können. Es wird lediglich die Zollgebühr entrichtet werden müssen, der auch Länder wie Indonesien oder die Philippinen unterliegen.
Zum komplizierten Gesamtbild gehört derweil auch, dass EBA seinerseits zu Menschenrechtsverletzungen beigetragen hat. Besonders im Landbereich ist seit Jahren bekannt, dass asiatische Investoren nach Kambodscha strömen und Land in Beschlag nehmen, auf dem dann Produkte für den Export in die EU angebaut werden. Für die lokale Bevölkerung ist dies regelmäßig mit Vertreibung, Zwangsenteignung, Umsiedlung auf minderwertiges Land und fehlender oder nicht ausreichender Entschädigung verbunden.
Bereits 2014 hat die EU deshalb eine Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen im Landbereich angekündigt. Geschehen ist bisher nichts: Die kambodschanische Regierung verschleppt und blockiert die Untersuchung bis heute. Hinzu kommt, dass sich unter Ausnutzung des zollfreien Exports in die EU zahlreiche Firmen aus Thailand, Vietnam und China in Kambodscha niedergelassen haben, um von dort aus Waren zu exportieren, die in ihren jeweiligen Herkunfsländern unter den EU-Einfuhrzoll fallen würden. Mit den ursprünglichen Intentionen von EBA hat das nur noch wenig zu tun.
Textilindustrie vergößert dir Schere zwischen Arm und Reich
Sicherlich der größte Profiteur von EBA ist die kambodschanische Textilindustrie, die in den vergangenen Jahren ständig gewachsen ist. Heute arbeiten hier schätzungsweise 700.000 Beschäftigte, die übergroße Mehrheit von ihnen junge Frauen. Und immer wieder ist der Mindestlohn gestiegen, auf heute 178 Dollar monatlich. Doch ist dies immer noch nicht ausreichend, um den Arbeiterinnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.
Zudem hat die Kampagne „Saubere Kleidung“ in ihrem jüngsten Bericht erneut nachgewiesen, dass es auch in der Textilindustrie zu Menschenrechtsverletzungen kommt – u.a. durch ständig befristet Arbeitsverträge, die nicht verlängert werden, wenn die betreffende Arbeiterin schwanger ist, durch unbezahlte Überstunden oder durch Entlohnung unterhalb des Mindestlohns. Kritische Gewerkschafter/innen werden mit Strafverfahren überzogen, und das neue Gewerkschaftsgesetz ermöglicht es, nur noch regierungsnahe Gewerkschaften zuzulassen und somit die wenigen kritischen Stimmen restlos zum Schweigen zu bringen.
Gerade die unzureichende Bezahlung in der Textilindustrie sowie der fehlende Schutz der Arbeiterinnen führt laut OXFAM dazu, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Kambodscha weiter auseinander geht.
Die EU muss klare Eckpunkte definieren
Das Fazit nach nunmehr siebzehn Jahren EBA fällt also gemischt aus. Unterm Strich hat das Programm einerseits zur wirtschaftlichen Entwicklung in Kambodscha beigetragen, andererseits aber vor allem die Gewinne insbesondere ausländischer Konzerne gesteigert, und das häufig zulasten der lokalen Bevölkerung.
Wo ökonomische Impulse greifen konnten, wie in der Textilindustrie oder im Landbereich, kam es zu Menschenrechtsverletzungen. Und spätestens seit der jüngsten Wahl ist klar: Auch die in Artikel 19 definierten Grundvoraussetzungen sind nicht mehr erfüllt.
Die Europäische Union tut deshalb gut daran, die bisherige Kooperation zu überprüfen. Und sie wird auch gut daran tun, klare Eckpunkte zu definieren, die erreicht werden müssen, um die Aufhebung der Handelspräferenz doch noch abzuwenden. Dazu gehört sicherlich die Beendigung der NGO-Überwachung, die Einstellung politisch motivitierter Gerichtsverfahren, eine Ende der Verfolgung kritischer Stimmen sowie die menschenrechtskonforme Gestaltung der bisher nur sehr ungenau formulierten Gesetze über NGOs, Gewerkschaften, Königsbeleidigung, Justizkritik, Unruhestiftung oder Diffamierung.
Darüber hinaus hat die EU die Möglichkeit, die Handelspräferenz nur teilweise für einzelne Sektoren oder vorübergehend auszusetzen. Im Sinne der Transparenz ist es daher besonders wichtig, dass die EU die Kriterien ihres weiteren Vorgehens deutlich und nachvollziehbar macht.
Letztendlich liegt es an der Regierung in Kambodscha
Der Ball liegt nun im Feld der kambodschanischen Regierung: Es ist allein an ihr, zu entscheiden, ob sie Schritte hin zu mehr Demokratie und Menschenrechtsschutz unternimmt, um die Aufhebung der Handelspräferenz noch zu verhindern – oder ob sie weitermacht wie zuletzt. Bisher beschränkt sich die Regierung darauf, ganz unverblümt auf andere Länder der Region zu verweisen.
Und natürlich: Auch in Laos oder Vietnam herrschen Einparteienregierungen, auch in Myanmar geschehen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diese Argumentation aber darf nicht verfangen, da Menschenrechtsverletzungen nicht gegeneinander aufgewogen werden können. Die kambodschanische Regierung wird schlichtweg mehr tun müssen, als nur mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Erste Schritte in die richtige Richtung hat sie unternommen: politische Gefangene wurden freigelassen, NGOs müssen ihre Veranstaltungen nicht mehr genehmigen lassen, und die verbotenen Radiostationen Voice of America und Radio Free Asia sollen wieder ausstrahlen dürfen. Der Druck der EU entfaltet also Wirkung.