Brexit: Eine Gender-Perspektive

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Der Brexit wird einen Einfluss auf die Rechte von Frauen und LGBTQ+ in Großbritannien haben. Bisher war die EU ein Sicherheitsnetz gegen Diskriminierungen, deshalb muss es jetzt darum gehen, den Dialog mit dem britischen Parlament und den europäischen Gendernetzwerken zu stärken, um die Rechte für Gleichstellung in Großbritannien auch nach dem EU-Austritt zu sichern.

Brexit: Eine Gender-Perspektive. Foto vom Women's March London 2017

Im Referendum zum Austritt aus der Europäischen Union (EU) im Juni 2016 stimmten 80% der Frauen zwischen 18 bis 24 Jahren für den Verbleib – und stellen damit den größten Anteil der Remain Wählerschaft dar. Sowohl in der Kampagne als auch in den aktuellen Brexit-Verhandlungen sind Frauen und Gender kein großes Thema.

Mit dem Austritt aus der EU wird Großbritannien aus dem Regelwerk austreten, welches die Rechte der Frauen, sowie derjenigen Menschen, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, transgender oder queer (LGBTQ+) identifizieren, jahrzehntelang geschützt und gestärkt hat. Der Brexit wird einen Einfluss auf die Rechte von Frauen und LGBTQ+ haben.

„Die EU ist ein Sicherheitsnetz gegen Diskriminierung in Großbritannien“

Die Europäische Union spielt seit jeher eine zentrale Rolle in der Gestaltung von Gendergerechtigkeit in Europa. Seit den 1970er Jahren brachte die EU diverse Gesetze zum Schutz vor Genderdiskriminierung auf den Weg. Zu diesen gehören etwa Richtlinien zur gleichen Bezahlung, die Stärkung der Elternzeit sowie Gesetze zur Bekämpfung von Diskriminierung und Genderstereotypen. Der Umstand, dass die europäische Gesetzgebung eine Anpassung der nationalen Gesetze erfordert, ermöglichte eine Transformation der Rechte für Frauen und sexuelle Minderheiten in allen EU-Ländern. In Großbritannien führte dies etwa zum Gleichheitsgesetz im Jahr 2010.

Die europäische Gesetzgebung schaffte so ein legales „Sicherheitsnetz“ für diskriminierte Geschlechter und sexuelle Minderheiten – eines, das laut Susan Millns von der Universität Sussex für Großbritannien bald nicht mehr greifen wird. Denn nach dem Austritt aus der EU wird Großbritannien nicht mehr dazu gezwungen sein, den Gleichstellungsgesetzen der EU zu folgen.

Nina Locher

Nina Locher ist die Autorin des Brexit-Blogs der Heinrich-Böll-Stiftung und schreibt über die aktuellen Entwicklungen in Großbritannien. 

Derzeit absolviert sie den Master of Public Administration an der London School of Economics and Political Science (LSE). Von 2016 bis 2018 war sie in der Berliner Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung für Projekte zur Türkei und zu Griechenland, sowie zur Europäischen Energiewende zuständig.

Im Brexit-Blog thematisiert sie aktuelle Entwicklungen in Großbritannien sowie übergreifende Themen wie Gender und LGBTQ+, Bregret und die Generation-Brexit.

Großbritannien muss Teil des europäischen Netzwerks bleiben

Umso mehr sorgt sich Moira Dustin von der Universität Sussex, dass Großbritannien möglicherweise bald nicht mehr Teil der EU sein wird. Zum einen würden die Brit/innen nicht mehr von den rechtlichen Fortschritten für Gendergerechtigkeit auf europäischer Ebene profitieren können.

Zum anderen werde Großbritannien nach und nach die strukturellen Netzwerke der Zivilgesellschaft in der EU verlieren. Der Austausch über nationale Erfolge und Herausforderungen, sowie der europäische Dialog zwischen Mitgliedsstaaten und zivilgesellschaftlichen Organisationen war für die Verbesserung der Gleichstellung von Geschlechtern und LGBTQ+ immer wichtig. Mit dem Ende der europäischen Fördermittel nach dem Brexit seien sowohl transnationale wie britische Genderprojekte gefährdet, sagt Dustin.

Gendering and Queering Brexit

Aus diesem Grund haben Dustin, Mills und Ferreira die Publikation „Gender and Queer Perspectives on Brexit“ auf den Weg gebracht: Eine Diskussion über die unterschiedlichen Dimensionen des Brexits auf Geschlechter und LGBTQ+. Die Publikation zeigt, dass die Auswirkungen des Brexits stark von den nationalen politischen Kontexten abhängig sein werden. In Nordirland etwa ist die Situation der Frauen dadurch geprägt, dass sie eine starke Rolle in den lokalen Friedensbewegungen einnehmen und sich bei den Brexit-Verhandlungen für einen Backstop stark machen, der eine Grenze zwischen Irland und Nordirland verhindert.

Zudem wird ersichtlich, dass insbesondere Frauen, die sich doppelten Diskriminierungen, etwa aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft, Religion oder einer Behinderung, ausgesetzt sehen, durch den Brexit gefährdet sind. Hieraus hat sich beispielsweise 2012 die Initiative Tell MAMA (Measuring Anti-Muslim Attacks) gegründet, welche Hassverbrechen auf muslimische Frauen in Großbritannien dokumentiert – und 2017 eine Zunahme der Fälle beobachtet.

Auch wenn das Bewusstsein vieler Frauen gestiegen ist, sei vielen Menschen noch nicht bewusst, welche Folgen der Austritt aus der EU für ihre eigenen Rechte haben wird, sagt Mills. Umso mehr muss es jetzt darum gehen, den Dialog mit dem britischen Parlament und den europäischen Gendernetzwerken zu stärken, um die Rechte für Gleichstellung in Großbritannien auch nach dem EU-Austritt zu sichern.