Die Brexit-Generation

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Entgegen der älteren Generation ist die britische Jugend eher europafreundlich eingestellt. Vom Brexit am stärksten betroffen, wird sie unabhängig von den politischen Einstellungen vor der Verantwortung stehen, ihre Zukunft nach den Brexit-Verhandlungen selbst zu gestalten.

Die Brexit-Generation: Foto von einem Park in London

Samstag, der 19. Januar 2019, war ein entscheidender Tag für die britische Wählerschaft. Seit dem vergangenen Samstag, dem sogenannten „Crossover Tag“, würde ein potenzielles Brexit-Referendum zu einem Verbleib in der Europäischen Union führen – allein aufgrund der neu registrierten jungen Wähler/innen und der verstorbenen Wählerschaft der letzten zweieinhalb Jahre, so dass selbst bei gleichbleibender Wahlbeteiligung und Wahlverhalten des Referendums 2016 heute ein anderes Ergebnis zu erwarten wäre. Zumindest theoretisch. Die Prognose kann zwar auch teilweise die stetige Verschiebung der Umfragewerte der letzten zwei Jahre in Richtung Remain erklären. Doch verdeutlicht sie vor allem, dass es hier um eine Generationenfrage geht und junge Wählerinnen und Wählern einen anderen Blick auf ihre Zukunft und die Zukunft Großbritanniens haben als die älteren.

Die Millennials

Doch wer sind die jungen Menschen und warum ist ihre Rolle so wichtig, wenn es um den Brexit geht? Das Alter und die Generation der Wähler/innen waren entscheidende Faktoren für den Ausgang des Referendums. Während 71% der 19- bis 24-jährigen für den Verbleib stimmten, wählten knapp zwei Drittel der über 65-jährigen für einen Austritt aus der EU. Die Millennials, diejenigen, die zwischen den Jahren 1980 und 2000 geboren ist, verbindet laut einer Studie der Intergenerational Foundation 2017 neben dem Alter ebenso, dass sie im Durchschnitt hoch qualifiziert sind, aus einkommensstarken Haushalten stammen, Migrationshintergrund haben und sich nicht besonders stark als Brit/innen identifizieren.

Gleichzeitig vereint viele von ihnen, dass sie nicht zu den Wahlurnen gegangen sind. Lediglich 48% der Millennials gab 2016 tatsächlich ihre Stimme ab – eine Entscheidung, die maßgebliche Folgen mit sich brachte, den Wahlausgang für einen Brexit und ein Aufbegehren dagegen. Denn seit dem Brexit-Referendum haben sich insbesondere junge Menschen über individuelle Wahlverhalten hinweg organisiert: Initiativen wie etwa Our Future Our Choice, My Life My Say, For Our Future’s Sake bis hin zu We Are Undivided diskutieren über die Folgen des Brexit für die junge Generation. Durch Medien- und Kampagnenarbeit, Lobbying und Zusammenarbeit mit britischen Parlamentarier/innen gestalten sie die Brexit-Verhandlungen auf zivilgesellschaftlicher Ebene mit.

Nina Locher

Nina Locher ist die Autorin des Brexit-Blogs der Heinrich-Böll-Stiftung und schreibt über die aktuellen Entwicklungen in Großbritannien. 

Derzeit absolviert sie den Master of Public Administration an der London School of Economics and Political Science (LSE). Von 2016 bis 2018 war sie in der Berliner Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung für Projekte zur Türkei und zu Griechenland, sowie zur Europäischen Energiewende zuständig.

Im Brexit-Blog thematisiert sie aktuelle Entwicklungen in Großbritannien sowie übergreifende Themen wie Gender und LGBTQ+, Bregret und die Generation-Brexit.

Großbritannien, ein „sinkendes Schiff“

Von jungen Britinnen und Briten möchte ich wissen, wie sie die Folgen des Brexit bzgl. ihrer persönlichen Zukunft bewerten. Einige meiden das Gespräch mit mir, sagen, sie hätten keine klare Meinung zu dem Thema.

Ich spreche mit Daniel, der 2016 noch nicht wählen durfte. „Was mich wütend macht, ist, dass möglicherweise alle meine Arbeitgeber, für die ich nach London gekommen bin, im Falle eines No Deal Brexit nach Europa verlegt werden. Für mich bedeutet das, dass ich vielleicht für meine Arbeit nach Paris oder Berlin ziehen werde – obwohl ich mir meine Zukunft hier vorgestellt habe. Aber warum sollte ich auf einem sinkenden Schiff bleiben?“. Wirtschaftliche Gründe und die eigenen Jobaussichten treiben auch andere junge Brit/innen um.
Mike, den ich an der Universität getroffen habe, hält dagegen: „Junge Menschen werden von den Wähler/innen gekapert, die das Ergebnis des Referendums nicht akzeptieren. Die EU hat vieles nicht gelöst, das für junge Menschen wichtig ist, wie z.B. Arbeitslosigkeit und Wohnungsmieten. Deswegen glaube ich, dass vor allem wir jungen Leute das meiste aus dem Brexit herausholen können. Viele Dinge wie etwa Essen werden billiger, wir werden keine Zölle mehr haben und Großbritannien gewinnt seine Selbstbestimmung zurück. Ich bin auch stolz darauf, Brite zu sein“. (Hier geht’s zum Faktencheck über post-Brexit Preise und Zölle).

Brexit: Flucht nach vorn

Die Gespräche zeigen mir vor allem eines: Unabhängig von den politischen Einstellungen wird die junge britische Generation vor der Verantwortung stehen, ihre Zukunft nach den Brexit-Verhandlungen selbst zu gestalten. Und unabhängig davon, wie und ob der Brexit schließlich stattfinden wird, wird die Spaltung zwischen Leave und Remain, zwischen Alt und Jung weiter bestehen bleiben. Eine entscheidende Aufgabe wird dann sein, den Dialog untereinander und das gegenseitige Verständnis füreinander wieder zu finden.


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