Zukunftsinvestitionen in Zeiten der Corona‐Pandemie

Kommentar

In Zeiten der Krise braucht es  eine Finanzpolitik, die das notwendige Geld bereitstellt, um die Gesundheitsdienste zu stärken sowie die entstehenden wirtschaftlichen Schäden einzudämmen.

Zukunftsinvestitionen in Zeiten der Corona‐Pandemie - Mann mit Mundschutz sitzt vor Computer

Wir alle richten uns gerade in einer neuen Realität ein, in der von Tag zu Tag neue Entscheidungen gefällt werden müssen. Veranstaltungen werden abgesagt, Schulen sind geschlossen worden, Reiseverbote verhängt, Quarantänezonen eingerichtet und soziale Kontakte minimiert. Jeden Tag kommt etwas Neues hinzu, das dem exponentiellen Wachstum der Fallzahlen entgegengestellt wird.

Oberstes Ziel ist es, die Ausbreitung der Epidemie möglichst stark zu verlangsamen, um das Gesundheitssystem nicht über seine Belastungsgrenze hinaus beanspruchen zu müssen und damit schließlich so wenige Menschen der Risikogruppen wie irgend möglich an die Krankheit zu verlieren. Diesem von einer großen intergenerativen Solidarität getragenen Ziel hat sich alles Andere unterzuordnen.

Finanzpolitik im Krisenmodus

Die Politik ist hier in drei Dimensionen gefragt. Sie muss den Gesundheitsdiensten alles bieten, was die optimale Versorgung der Erkrankten und Infizierten verlangt und was Engpässe überwindet. Sie muss alles regulieren und im Zweifel unterbinden, was die Verbreitung des Virus begünstigen kann. Und schließlich muss die Politik versuchen, die durch die Epidemie entstehenden wirtschaftlichen Schäden einzudämmen und (partiell) zu kompensieren.

Eine Finanzpolitik im Krisenmodus muss dafür in erster Linie das notwendige zusätzliche Geld bereitstellen. Bund, Länder und Kommunen benötigen die Mittel, um die Gesundheitsdienste bestmöglich auszustatten. Die knappste Ressource allerdings, die Zeit der Ärztinnen und Pfleger, ist dabei leider kurzfristig kaum eine Geldfrage. Mehr in ihrem Metier ist die Finanzpolitik dort, wo die wirtschaftlichen Folgeschäden in den betroffenen Branchen und für die Konjunktur abgefangen werden müssen.

Geld ist in dieser Situation kein Problem. Die Frage nach der „schwarzen Null“ in der CoronaKrise wurde nur an den ersten Tagen gestellt. Sie hat sich eigentlich von Anfang an selbst beantwortet. Die „schwarze Null“ war ein zeitweilig attraktives MarketingInstrument für die Schuldenbremse. Sie hat mit ihr nur bedingt etwas zu tun.

„Wenn die Restriktionen für das alltägliche Leben und Wirtschaften wieder gelockert werden können, ist eine gute Zeit für die Konjunkturbelebung. Bis dahin ist es allemal besser, den Angebotsschock zu bekämpfen und noch mehr Geld direkt in die Branchen und an die kleinen Freiberufler und Gewerbetreibenden zu leiten, die es brauchen.“

In der Schuldenbremse – also in Artikel 115 des Grundgesetzes – ist der Fall eindeutig geregelt: Die dem Bund erlaubte Neuverschuldung in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts darf im konjunkturellen Abschwung oder auch „im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“, überschritten werden.

Wenn – wie jetzt – eine außergewöhnliche Notsituation und eine Konjunkturkrise eintritt, ist der Fall klar: Der Bundestag kann ganz legal die benötigten Mittel über Kredit und Bürgschaft bereitstellen. Diese Entscheidung fällt leicht. Wir werden also voraussichtlich sehr viele Schulden machen.

Nicht nur die „Bazooka“ herausholen

Die fiskalische Hilfe läuft in Deutschland mit den richtigen Prioritäten an. Zuerst soll denen geholfen werden, die von diesem selbstverordneten Angebotsschock direkt betroffen sind. Zuerst müssen wir dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Schäden möglichst direkt bei den betroffenen Unternehmen und Branchen abgefedert werden.

Das sind andere als die, auf die wir in einer „normalen“ Konjunkturkrise als Erstes schauen, unsere Industrie und Exportwirtschaft. Die Großen haben Kurzarbeitergeld, Kreditlinien und in der Regel eine sehr gute Lobby. Das heißt gewiss nicht, dass hier schon vorgesorgt wäre. Aber die noch größeren Sorgenkinder sind andere.

Es sind die kleinen und kleinsten Unternehmen in den am meisten betroffenen Branchen. Hotels, Pensionen, Restaurants, Kinos, freie Theater, Konzertveranstalter. Es ist nicht nur die Fluglinie, es ist auch der Backshop im Flughafen. Es sind nicht zuletzt viele Selbständige. Durch explizite oder in kurzer Wirkungskette zumindest faktische Tätigkeitsverbote sind viele kleine und Kleinstunternehmen sehr schnell in Existenznot.

„Problematisch wird es, wenn aus dem Thema „Corona-Krise“ ein Narrativ erwächst, dass die zahlreichen langfristigen Herausforderungen im Lichte der Krise nun nicht mehr so wichtig erschienen.“

Um sie in dieser Situation zu erhalten, benötigen sie Liquidität und Entlastung. Die Kombination von Kurzarbeitergeld, Abgabenstundungen und sehr umfangreichen Bürgschaften für unbürokratisch schnelle Kredite schafft es hoffentlich, die kommende Pleitewelle flach zu halten.

Wenn es scheitert, dann am Mangel „unbürokratischer“ Maßnahmen. Denn die ersten Berichte über die Praxis der beauftragten staatlichen Banken werfen Zweifel auf, ob die notwendigen Verfahren wirklich „unbürokratisch“ ablaufen werden.

Das ist ein großes Risiko für den Erfolg: Der sehr ins Detail gehende deutsche Gerechtigkeitssinn läuft im Zweifel darauf hinaus, dass lieber fünf Unternehmen in die Pleite gehen, als das ein Unternehmen Rettungsmittel bekommt, auf das es vielleicht nicht das volle Anrecht gehabt hätte.

Das wird der eigentliche Test für Deutschland in der ersten Phase der ökonomischen Rettung: nicht nur die „Bazooka“ herauszuholen – sondern dann auch auf die TÜV-Abnahme vor jedem Schuss zu verzichten.

Konjunkturbelebung, wenn sie wirken kann

Im zweiten Schritt muss es dann darum gehen, dem konjunkturellen Crash entgegenzusteuern. Hongkong gibt jetzt jedem Bürger ohne Vorbedingung 10.000 HongkongDollar. Das sind 1.200 Euro „Helikoptergeld“ zur schnellen Ankurbelung der Konjunktur. Die Vereinigten Staaten kündigen ähnliches an.

Aber davon darf man sich keine schnellen Effekte versprechen. Konsumgeld unter die Leute bringen, wenn die nicht Shoppen gehen dürfen? Wer würde jetzt schon eine Urlaubsreise buchen? Und dass alles nur ins Onlineshopping fließt, ist auch nicht Sinn einer Konjunkturbelebung.

Wenn die Restriktionen für das alltägliche Leben und Wirtschaften wieder gelockert werden können, ist eine gute Zeit für die Konjunkturbelebung. Bis dahin ist es allemal besser, den Angebotsschock zu bekämpfen und noch mehr Geld direkt in die Branchen und an die kleinen Freiberufler und Gewerbetreibenden zu leiten, die es brauchen.

Keine zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen

Das hat auch was mit Zukunftsinvestitionen zu tun. Zukunftsinvestitionen? Ja.

Auf den ersten Blick scheint das abwegig. Die finanziellen Maßnahmen gegen die Corona-Krise und deren konjunkturellen Folgen sind etwas komplett Anderes als die Fragen, die mit Blick auf langfristige Investitionen und Tragfähigkeit diskutiert wurden.

Auf den zweiten Blick ist es zunächst auch so. Konjunkturpolitik und eine Politik für Infrastruktur und Zukunftsaufgaben passen nicht zusammen. Denn wenn es in der Phase der konjunkturellen Belebung darum geht, auch die Nachfrage wieder anzuschieben, muss man sich sehr gründlich überlegen, ob es klug ist, das mit wenn auch wünschenswerten Zukunftsinvestitionen zu verbinden.

Der Gedanke, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, liegt zunächst nahe. Doch gerade hier kann der Impuls, doppelt klug zu handeln, in halb so klugen Ergebnissen münden. In den Konjunkturprogrammen ab 2009 haben wir gesehen, worauf das hinausläuft.

Investitionshilfen an die Kommunen waren teils daran gebunden, dass energetische Sanierungen vorgenommen und/oder Barrierefreiheit hergestellt wurde. Viele kommunale Gebäude beispielsweise bei uns in NRW waren zu dem Zeitpunkt schon kurz vor der Schrottimmobilie. Nach dem Programm waren es dann Schrottimmobilien mit Dreifachverglasung und Rollstuhlrampe.

Richtige Nachhaltigkeit sieht anders aus. Und es war auch schlechte Konjunkturpolitik: Je enger die Konjunkturbelebung mit gut gemeinten Kriterien gezogen wird, desto langsamer wird sie und desto mehr treibt sie in den dann eben engen Märkten die Preise in die Höhe, statt Volumeneffekte zu erzielen.

Wer schlechte Konjunkturpolitik ganz kurz charakterisieren will, wird nur diese beiden Eigenschaften nennen: langsam und wenig Volumeneffekte. Damit ist nicht gesagt, dass in einzelnen Feldern Konjunkturbelebung und Zukunftsaufgaben auch harmonieren können. Besonders wo es gelingt, den Nachhaltigkeitsanspruch eher zurückhaltend und nicht obligatorisch zu halten, kann das gelingen. Doch das wird absehbar die Ausnahme bleiben.

Trotz Corona-Krise bleiben die Zukunftsaufgaben

Drittens gilt es auch, die jetzt akuten Herausforderungen von Corona und Konjunktur und die längerfristigen Zukunftsaufgaben in der Gesamtbetrachtung auseinanderzuhalten, um beide Dimensionen angemessen ernst zu nehmen. Aktuell richtet sich alles auf die akute Krise – d.h. viele der zentralen Aktivitäten und nahezu die ganze öffentliche und mediale Aufmerksamkeit.

Das ist richtig und angemessen – insbesondere, wenn es tatsächlich einen Beitrag leistet, die Epidemie in Zaum zu halten und die Krise zu bekämpfen. Problematisch wird es, wenn aus dem Thema „Corona-Krise“ ein Narrativ erwächst, dass die zahlreichen langfristigen Herausforderungen im Lichte der Krise nun nicht mehr so wichtig erschienen.

Das wäre eine naheliegende, aber falsche Wahrnehmung. Die Corona-Krise relativiert die anderen Probleme zwar; deren absolute Größe nimmt aber nicht ab. Es ist vielmehr ein zusätzliches, sehr großes und akutes Problem oben drauf gekommen.

Diese Feststellung ist eigentlich trivial, aber dennoch wichtig. Nicht um jetzt unzeitgemäß um Aufmerksamkeit für Langfristthemen zu buhlen, sondern um die politischen Fehler aus der letzten großen Wirtschaftskrise nicht wieder zu begehen. Etliche vielversprechende Ansätze zur Modernisierung der Finanzpolitik für mehr Wirksamkeit, demokratische Kontrolle und intergenerative Gerechtigkeit sind beispielsweise nach 2009 weggespült worden von der „Lasst uns zufrieden, wir müssen Geld ausgeben“Attitüde.

„Die langfristigen Betrachtungen sollen nicht frustrieren, sie sollen motivieren. Sie sollen motivieren zu Änderungen und Modernisierungen...“

Nicht durch die notwendige Konjunkturpolitik wohlgemerkt, sondern durch eine Einstellung, sich aus der kurzfristig notwendigen Politik – zu Unrecht, wie ich meine – Bestätigung gesucht hat. Es ist die Einstellung, die oben mit der großen Gegenwartlastigkeit der Politik beschreiben worden ist, ihrem „present bias“.

Man begegnet diesem Unterschied in der Praxis als zwei verschiedene Typen von (finanz)politisch Verantwortlichen. Vielleicht sind es auch nur die sprichwörtlichen zwei Seelen, die in der Brust eines jeden dieser Verantwortungsträger wohnen: auf der einen Seite das realistische Anerkennen, dass Corona und das Handeln dagegen vorerst die Sicht auf langfristige Herausforderungen verstellt, diese aber nicht verdrängt; und auf der anderen Seite die opportunistische Versuchung, anlässlich der Krise wieder in alte Verhaltensmuster zu verfallen und die „Zumutung“, auch langfristig Verantwortung zu übernehmen, wieder von sich weisen zu können.

Ich hoffe, die Furcht vor einem solchen „backlash“ ist übertrieben. Ich hoffe, die Erfahrungen aus der letzten Krise wiederholen sich nicht. Denn solange nicht dieser Meteorit heranrast und solange ihm Bruce Willis nicht in diesem Raumschiff entgegenfliegt, gilt glücklicherweise: Das, viertens, kurzfristige Auftreten auch noch so akuter Krisen desavouiert nicht das langfristig verantwortliche Planen und Handeln.

Corona und die Schulden

Denn, fünftens, am Ende werden die CoronaKrise und die Zukunftsaufgaben und -investitionen sehr viel miteinander zu tun haben. Wir stehen am Anfang der Krise. Wir wissen nicht, wie tief sie sein wird, und wissen nicht, wie schnell und steil wieder ein Weg herausführen kann. Aber zwei Dinge können wir jetzt schon absehen. Am Ende werden die Staatsschulden wieder sehr hoch sein. Und am Ende werden wir Italien retten müssen. (Letzteres wird vielleicht nicht erst am Ende passieren und gewiss zu ersterem noch beitragen.)

Das heißt, am Ende der Krise wird es erst einmal erheblich schlechter um die Tragfähigkeit der Finanzpolitik bestellt sein. Dabei geht es weniger um die Ziffer einer Tragfähigkeitslücke, die durch sprunghaft gewachsene Verschuldung größer, d.h. schlechter wird. Es geht um die „TragfähigkeitsDenke“, die staatliche Leistungsfähigkeit in der Gesamtschau von in der Vergangenheit und Gegenwart und für die Zukunft entstehenden Ansprüchen betrachtet.

Die Ressourcen, aber auch die politischen Handlungsenergien, die zur akuten Krisenbekämpfung eingesetzt werden müssen, werden auf die eine oder andere Art die Fähigkeit beeinflussen, mit den anderen Zukunftsherausforderungen umzugehen. Die pessimistische Sicht kommt in der dann anfänglich gewachsenen Tragfähigkeitslücke zum Ausdruck: Die Problemlösungskapazität wird dann gesunken sein – schlechte Aussichten für die Zukunftsaufgaben.

Die optimistische Sicht kommt in dem zum Ausdruck, was Tragfähigkeitsbetrachtungen wollen. Denn solche gesamthaften Analysen sollen mit ihren Tragfähigkeitslücken nicht einfach den Hinweis geben, dass es uns in der Zukunft schlechter gehen wird. Sie sagen: Wenn wir nichts ändern, wird es schlechter. Die langfristigen Betrachtungen sollen nicht frustrieren, sie sollen motivieren. Sie sollen motivieren zu Änderungen und Modernisierungen, mit denen Tragfähigkeit und auf deren Basis intergenerative Gerechtigkeit und eine nachhaltige Entwicklung erreicht werden.

Ob die pessimistische oder die optimistische Perspektive zum Tragen kommt, wird sich erweisen. Es hängt an uns allen, an unserem Handlungs- und Reformwillen. Denn für die optimistische Variante muss man definitiv mehr tun. Und es hängt an unserem Willen, in einer monothematischen Zeit zwar die Prioritäten richtig zu setzen, aber doch nicht monoman zu werden und den Blick gar nicht erst abzuwenden von den vielen Aufgaben, die für die kurze und für die lange Frist vor uns liegen.


Dr. Michael Thöne ist Geschäftsführender Vorstand des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universität zu Köln.