Das Globale im Lokalen erkennen: Chancen und Grenzen lokaler Umweltbewegungen

Hintergrund

Die Frage über die Beziehung zwischen dem Lokalen und dem Globalen steht seit längerem sowohl auf der politischen als auch auf der Forschungsagenda, sie wurde jedoch besonders brisant spätestens seit der Globalisierungsdebatte Anfang der 1980er Jahre. Bei dieser Debatte ging es immer um den Widerspruch zwischen Lokalem und Globalem als zwei sich gegenüberstehenden räumlichen Maßstäben. Ares Kalandides argumentiert, es sei an der Zeit diesen Ansatz neu zu denken und erklärt, welche Chancen und Möglichkeiten Lokale Initiativen heute bieten.

Kleines und großes Zahnrad

In der Dualität der beiden Ansätze wurde das Lokale oft als der schwächere Partner dargestellt, der von dem allmächtigen Globalen unterdrückt, wenn nicht sogar völlig zerstört wird. Es gibt hier eine doppelte Bildsprache, die interessant ist: Erstens schafft diese Opposition eine imaginäre Globalisierung als enorme und abstrakte Macht, die auf Orte fällt; zweitens wird hier die Globalisierung beinahe als Naturgewalt dargestellt, als „Akt Gottes“. Auf diese Weise erhält das Globale eine Handlungsfähigkeit (Agency), während das Lokale auf eine passive defensive Existenz zurückgedrängt wird. Im besten Fall kann das Lokale nur dem Globalen widerstehen. Das Globale ist Aktion; das Lokale Reaktion. Dem Globalen als Bewegung steht das Lokale als Stasis gegenüber.

Das Globale ist im Lokalen zu erkennen

Diese eindeutige Dualität hatte jedoch von Anfang an auch ihre Kritiker/innen. Bereits in den späten 1960er Jahren begannen mehrere Denker den Raum unterschiedlich zu konzipieren, nämlich als dynamischen und relationalen Prozess, in dem verschiedene Räume miteinander verbunden sind (z. B. H. Lefebvre, D. Massey, D. Harvey, E. Soja). In der Praxis bedeutete dies, dass Territorien nicht mehr ausschließlich getrennt betrachtet werden konnten, sondern immer nach sichtbaren oder verdeckten Verbindungen gesucht werden sollte. Dieses relationale Denken hatte einen großen Einfluss auf die Globalisierungstheorien. Nun steht das Lokale weder notwendigerweise dem Globalen gegenüber, noch widersteht die passive Stasis diesem natürlichen Sturm des Globalen. Das Globale ist im Lokalen zu erkennen, argumentiert diese Schule. Es befindet sich um uns herum, wohin wir gehen, in den Menschen, die wir treffen, in den Produkten, die wir konsumieren, in Büchern, die wir lesen, in den Flugzeugen, die über uns fliegen usw. Umgekehrt ist die Globalisierung keine abstrakte Kraft, sondern das Produkt von weltweiten Verbindungen zwischen lokalen sozialen Prozessen. Globalisierung wird in Orten produziert, in bestimmten Knotenpunkten, die durch ihre starke Position in weltweiten Netzwerken der Globalisierung ihre besonderen Eigenschaften und Kräfte verleihen. Solche Orte produzieren ihre eigene Version der Globalisierung (derzeit überwiegend neoliberal) durch ihre eigenen Machtstrukturen: wirtschaftlich, finanziell, politisch oder ideologisch. Für kurze Zeit dominierte die internationale Debatte der von E. Swingedow geprägte Begriff „glokal“, weil es ihm gelang, das Lokale und das Globale in einem Wort zu verschmelzen.

Lokales politisches Handeln hat globale Auswirkungen

Dieses Verständnis des lokal-globalen-Verhältnisses hat direkte Konsequenzen für unser Verständnis von Politik. Wenn das Globale und das Lokale miteinander verbunden sind und keine sich gegenüberstehenden Maßstäben, dann beeinflussen nicht nur globale Phänomene das Lokale, sondern umgekehrt produzieren lokale Prozesse gleichermaßen das Globale. Sicherlich haben nicht alle Orte die gleiche Position in dieser globalen „Machtgeometrie“ (D. Masseys Begriff), daher haben auch nicht alle lokalen Aktionen die gleichen Auswirkungen. Mit anderen Worten: Lokale politische Aktionen in Frankfurt werden andere globale Auswirkungen haben als lokale politische Aktionen in einer süditalienischen Stadt der gleichen Größe im Mittelmeerraum. Jedoch: Lokales politisches Handeln, egal wo es sich befindet, hat einige globale Auswirkungen - wenn auch von unterschiedlicher Intensität. Die Occupy-Bewegung mit ihrer symbolischen Aktion zur Besetzung der lokalen Zentren der Weltmacht - der Wall Street oder der City of London - zeigte in der politischen Praxis, was diese Verbindung bedeutet.

Erfolgreiche lokale Beispiele dienen anderorts als Modell zur Nachahmung

Lokale politische Umweltaktionen in einer vernetzten Welt können sowohl sehr materielle als auch sehr symbolische Konsequenzen haben. Materiell, weil beim aktuellen Klimanotfall jede winzige Handlung zählt. Wenn wir eine drohende Katastrophe zumindest verzögern wollen, dann trägt dies auch dann zum Ganzen bei, wenn eine einzelne Stadt die Europäische Grüne Agenda umsetzt. Natürlich macht es einen großen Unterschied, ob dies in einem kleinen Dorf auf dem englischen Land oder in einer Weltmetropole wie Paris umgesetzt wird. Es ist auch in dem Sinne materiell, dass es einen positiven Einfluss auf den Alltag der Menschen an diesem bestimmten Ort haben wird. Wenn wir immer das große Ganze betrachten - was wir sollten - vergessen wir oft, dass eines der Dinge, die wir anstreben sollten, letztendlich die für alle gleichermaßen zugängliche Lebensqualität ist.

Symbolisch ist dies wichtig, da jedes erfolgreiche Beispiel immer als Modell dient, das andere nachahmen können. Leider halten umgekehrt misslungene Experimente auch andere davon ab, Maßnahmen zu ergreifen. Dies gilt insbesondere für Länder, die wirtschaftlich und technologisch weiter fortgeschritten sind und häufig - zu Recht oder nicht - als Beispiele für andere dienen. Was in Barcelona oder Berlin passiert, hat eine starke Signalwirkung für andere und wir sollten die globale Verantwortung, die dies mit sich bringt, nicht unterschätzen.

Lokale Maßnahmen führen zur Mobilisierung und Politisierung lokaler Gemeinschaften.

Es gibt jedoch eine dritte Konsequenz, die wir nicht ignorieren sollten. Lokale Maßnahmen führen zur Mobilisierung und Politisierung lokaler Gemeinschaften. In dem Moment, in dem Menschen anfangen, politisch zusammenzuarbeiten, werden sie zu aktiven Bürger*innen - auf politische Weise. Bürgerschaft wird heute nicht nur im nationalen Sinne (als Staatsbürgerschaft) verstanden, wo es um gesetzliche Rechte geht, sondern als aktiver und dynamischer Prozess der Formulierung und Inanspruchnahme von solchen Rechten. Somit werden Bürger*innen tatsächlich als solche durch ihr politisches Handeln konstituiert. In diesem Sinne schaffen lokale Umweltbewegungen Umweltbürger*innen.

Damit lokale Maßnahmen globaler wirken, sind überregionale Netzwerke erforderlich

Die Formulierung und Inanspruchnahme von (Umwelt-)Rechten vor Ort erzeugt ein politisches Bewusstsein, das dann auf verschiedenen geografischen Maßstäben, lokal, regional, national oder global, funktionieren kann. Dies ist jedoch nicht selbstverständlich. Damit lokale Maßnahmen sich auf verschiedenen Maßstäben auswirken können, sind überregionale Netzwerke der Zusammenarbeit und des Austausches erforderlich. Eine Ideologie, die vorwiegend den Wettbewerb zwischen Räumen anstelle der Möglichkeiten der Zusammenarbeit betrachtet, ist in diesem Sinne schädlich für Umweltmaßnahmen. Wenn der Geist des Wettbewerbs - der perfekte Gleichgewichte erzeugen soll - vorherrscht, konkurrieren Orte tendenziell um die niedrigstmöglichen Vorschriften, um mobiles Investitionskapital anzuziehen. Dies ist, was wir "Race to the Bottom" nennen. Nur durch die Verbindungen zwischen lokalen Aktionen ist die notwendige Hochskalierung möglich.

Lokale Initiativen finden ihren Platz in einer lebendigen partizipativen Demokratie

Kommunen betrachten solche lokalen sozialen (Nachhaltigkeits-) Bewegungen oft mit Skepsis und interpretieren sie als potenzielle Bedrohung. Dies mag zwar der Fall sein, aber genau dies ist die Rolle der sozialen Bewegungen: die Agenda in eine bestimmte Richtung zu lenken. Hier hat die repräsentative Demokratie die Aufgabe sich für mehr Teilhabe und partizipative Elemente insbesondere auf der lokalen Ebene zu öffnen. Bürgerkonsultation, öffentliche Anhörungen, Rahmenkonzepte für Bürgerbeteiligung usw. sind verschiedene Methoden der partizipativen Demokratie, die über die Repräsentation hinausgehen und mit gewählten kommunalen Vertreter/innen koexistieren. Dies sind eher deliberative (konsensorientierte) Formen der Teilnahme; die Teilhabe durch soziale Bewegungen und lokale Initiativen, insbesondere Protestaktionen, zählt oftmals eher zu von E. Laclau und C. Mouffe genannten „agonistischen“ (konfliktreicheren) Formen. Beide aber sind wertvolle Beiträge für eine lebendige Demokratie. Tatsächlich wird oft argumentiert, dass der kleine Maßstab, die lokale Agora des antiken Athens, ideal für eine partizipative Demokratie sei. Die lokale Ebene als Ort der bürgerlichen Teilhabe – dies sollten die lokalen Behörden als Chance und weniger als Bedrohung sehen.

Demokratie gedeiht, wenn all diese Formen zusammenkommen: die Repräsentative, die Partizipative, die Deliberative und die Agonistische. Sie mögen jeweils besser in verschiedenen Maßstäben, für verschiedene Themen und in verschiedenen kulturellen Zusammenhängen funktionieren. Wo wäre die Welt heute ohne die Bürgerrechtsbewegungen der 1960er Jahre oder die Umweltbewegungen der 1970er Jahre? Egal wie schwierig es in der täglichen Praxis ist, es ist wichtig Wege zu finden, um mit solchen Bewegungen in einen Dialog zu treten. Diese Konfrontation, die per Definition zuweilen mit Konflikten beladen ist, belebt und stärkt die (lokale) Demokratie.

Handlungsoptionen kommunaler Nachhaltigkeitspolitik

Die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen lokaler Politik zu erkennen, wird immer eine große Herausforderung bleiben und sollte daher Gegenstand einer dauerhaften Aushandlung zwischen verschiedenen Akteuren in unterschiedlichen Maßstabsebenen werden. Ein Problem von einer Kommune in die nächste oder von einem Land ins andere zu verschieben, ist – im Sinne einer globalen nachhaltigen Umweltpolitik – keine Lösung. Für Kommunen bedeutet dies konkret eine doppelte Handlungsstrategie: Einerseits, dass sie den Dialog mit allen ihren lokalen Akteuren suchen sollen, nicht zuletzt mit den für sie oft schwierigeren Aktivist*innen. Es bedeutet aber auch, dass sie die Bildung und Pflege von Netzwerken mit nationalen oder gar weltweiten Partnern nicht vernachlässigen dürfen. Nachhaltigkeitspolitik wird immer gleichzeitig lokale sowie globale Herausforderung bleiben.