Keya Chatterjee ist die Geschäftsführerin des US Climate Action Network (USCAN) und Autorin des Buches The Zero Footprint Baby: How to Save the Planet While Raising a Healthy Baby. In diesem Interview legt sie dar, wie man die Demokratie verteidigen und die Klimakrise bekämpfen kann.

Dieses Interview ist Teil unserer Serie zum Earth Overshoot Day 2022.
Der Overshoot Day ist der Tag, an dem wir als Weltgemeinschaft mehr Ressourcen verbraucht haben, als die Erde in einem Jahr regenerieren kann. Dass dieser Tag jedes Jahr auf ein früheres Datum im Kalenderjahr fällt, verdeutlicht die Beschleunigung und Konvergenz mehrerer Krisen, insbesondere der Klima- und Biodiversitätskrise. Dieses Jahr fällt der Tag auf den 28. Juli 2022. Bitte nennen Sie uns 1-2 Themen/Prozesse/Initiativen, die Sie derzeit unterstützen und für absolut entscheidend halten, um uns auf nachhaltigere Wachstumspfade zu lenken.
Hier in den Vereinigten Staaten leben wir gleichermaßen im Bauch der Bestie. Wir haben das Potenzial, viele nicht-nachhaltige Praktiken zu ändern, weil es so viele davon gibt. Unsere nationalen Regierungssysteme funktionieren nicht. Die Mehrheit des Landes will Klimaschutz, Waffenkontrolle und reproduktive Rechte und Gerechtigkeit, doch der Senat und der Oberste Gerichtshof handeln nicht im Namen der Menschen und des Planeten. Was können wir also tun?
- Wir nutzen das Chaos und die gegenwärtige Krise, um unmittelbar wirksame Antworten zu fordern ‒ dass etwa Präsident Biden als Reaktion auf die russische Invasion der Ukraine den Defense Production Act für Solar- und Windkraftanlagen einsetzt, dass neue Gasanschlüsse in Haushalten verboten werden, wie das zurzeit in Städten und Bundesstaaten geschieht; Gesetzesentwürfe im Bereich Klimaschutz und dann deren Verabschiedung in den Bundesstaaten.
- Wir handeln vor Ort in unseren Gemeinschaften. Wir fördern eine Kultur der Fürsorge füreinander und für den Planeten. Wir machen es den noch zögerlichen Menschen leicht, ohne Auto zurechtzukommen. Wir fördern nachhaltigen, erschwinglichen Wohnraum. Wir öffnen unsere Gemeinschaften für Menschen, die durch Klimaauswirkungen wie Dürre oder andere Konflikte aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
- Wir mobilisieren, bilden und organisieren, bis wir die nötigen 3,5 Prozent der Bevölkerung dazu animiert haben, sich an direkten Aktionen gegen Unternehmen und Regierungen zu beteiligen, damit wir Klimagerechtigkeit erreichen können. Mit einer breiten, gut geschulten und organisierten Basis arbeiten wir auf eine Zukunft hin, in der Regieren ohne Zustimmung des Volkes unhaltbar ist. Wir arbeiten auf eine Realität hin, in der die Regierung wirklich das Volk vertritt. Wir bilden Aktivist*innen dazu aus, schädliche Projekte zu blockieren und gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen. Dabei bauen wir zugleich eine Gemeinschaft auf.
Diese letzte Aufgabe ist eigentlich die wichtigste. Wenn die Vereinigten Staaten in die Hände faschistischer, militanter, weißer Nationalisten fallen, geschieht dies mit der Unterstützung und den Mitteln der fossilen Brennstoffindustrie. Klimaschutz und Nachhaltigkeit werden auf nationaler und globaler Ebene zurückgeworfen, und das zu einer Zeit, in der wir uns keine Rückschläge leisten können. Wir müssen in den USA eine wehrhafte Gemeinschaft organisieren, die den Faschisten die Zustimmung verweigert.
Welche Rolle spielen Gerechtigkeit, Menschenrechte und Gleichstellung der Geschlechter bei diesen Prozessen/Initiativen? Welche Rolle sollten sie spielen?
Wenn wir uns Ungerechtigkeit entgegenstellen würden, wenn wir uns weigern würden, dass unsere Gemeinschaft geopfert wird, wo hätte man denn dann die Kohlekraftwerke hingebaut, die die umliegenden Gemeinschaften vergiften? Wenn wir Gleichheit statt Rassismus, Menschenrechte und Geschlechtergleichheit hätten, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass wir überhaupt eine Klimakrise hätten. Umgekehrt ist die Klimakrise ohne diese Gleichberechtigung wohl kaum zu beenden. Der Kampf für Gerechtigkeit ist ein themenübergreifender Kampf, der sich mit jedem anderen Kampf für Gerechtigkeit in der Welt überschneidet.
Was den Faschismus in den USA vorantreibt, ist eine organisierte Front aus Oligarchen fossiler Brennstoffe, kriegslüsternen Imperialisten und White Supremacists sowie der christlichen Rechten, die nicht wollen, dass Frauen oder People of Color Gleichberechtigung erreichen. Um diese Aufgabe zu bewältigen, müssen wir unsere eigene geschlossene Front schaffen und gemeinsam für Klimagerechtigkeit, gegen Rassismus, für Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Frieden und vieles mehr kämpfen. Diese Front kann dann gemeinsam breite politische Bemühungen wie einen Green New Deal sicherstellen.
Heutzutage kann niemand mehr behaupten, er wisse nicht, was nachhaltiges Handeln ist oder was der Erhaltung des Lebens auf der Erde schadet. Wir scheinen kein Wissensproblem, sondern eher ein Handlungsproblem zu haben. Wenn Sie 1-3 wichtige Reformen durchführen könnten, um in Ihrem Einflussbereich mehr für die Nachhaltigkeit zu tun: Worauf würden Sie sich konzentrieren und welche Allianzen wären wichtig, um sie zu erreichen?
Ja, das war nie ein Wissensproblem. Es gibt sogar eine Reihe von Forschungsarbeiten, die sich mit dem „Modell des Wissensdefizits“ beschäftigen und immer wieder feststellen, dass das nicht unser Problem ist. Wir haben ein Problem mit kollektiven Maßnahmen, weil wir ein Machtproblem haben ‒ im wörtlichen und übertragenen Sinne. Die meisten Haushalte beziehen schmutzigen Strom. Auf den Straßen in ihrem Umfeld fahren schmutzige Fahrzeuge mit fossilen Brennstoffen, die wiederum Kriege und Diktatoren finanzieren. Die gesamte, die meisten Menschen umgebende Infrastruktur verwehrt uns den Zugang zu Optionen, die unserer Gesundheit und künftigen Generationen dienen würden.
Um das zu ändern, müssen wir die Menschen für den Kampf gegen die Klimakrise organisieren und uns weigern, rassistischen oder klimaschädlichen Entscheidungen oder Praktiken zuzustimmen. Im politischen System der USA müssten wir die Systeme von White Supremacy bei Katastrophenhilfe und in unserer Regierung abbauen (z. B. Abschaffung des Wahlmännerkollegiums, damit die tatsächliche Zahl abgegebener Stimmen zählt).
Ohne individuelle Resilienz ist es schwierig, sich wirksam und nachhaltig für größere globale Resilienz einzusetzen. Viele Befürworter*innen von Nachhaltigkeit stellen ihren Einsatz für das Gemeinwohl über ihr eigenes Wohlergehen. Darunter ist eine unverhältnismäßig große Zahl von Frauen, die sowohl in ihrem Privat- als auch in ihrem Berufsleben immer noch die Hauptlast der Care-Arbeit tragen. Was hilft Ihnen, sich geistig und körperlich fit zu halten und wie tanken Sie Kraft?
Ich jogge gern und fahre Fahrrad mit meiner Familie, ich bin gern an den Flüssen Anacostia und Potomac, im National Arboretum und anderen Grünanlagen. Ich mache auch gerne Yoga. Ich nehme mir gerne Zeit zum Lesen und Schreiben, und ich versuche, mir Zeit zum Meditieren zu nehmen. Ich gehe gern zu Fuß in unseren Ort zu den Buchläden, Cafés und kleinen Geschäften, die ihn zu einer fürsorglichen Gemeinschaft machen.
Wenn Sie heute Erstklässler*innen erklären müssten, warum es wichtig ist, sich angesichts der enormen Herausforderungen weiterhin für eine ökologische, soziale und geschlechtergerechte Transformation einzusetzen ‒ was würden Sie sagen und welche Fähigkeiten müssten diese Kinder Ihrer Ansicht nach dafür entwickeln?
Folge deiner Leidenschaft. Tu, was dir Freude macht. Finde einen Weg, deiner Gemeinschaft mit dieser Freude zu helfen. Wenn du künstlerisch begabt bist, zeichne Bilder für die Nachbar*innen. Musiziere für deine Mitmenschen, mache ihnen Limonade, bau Gemüse für sie an, wenn du gerne gärtnerst. Finde etwas, was dir Freude macht, und hilf damit deiner Gemeinschaft und Mutter Erde. Und tu es nicht allein! Alleine erreicht man nichts, wir erreichen unsere Ziele gemeinsam oder gar nicht.
Erzählen Sie uns von einem Buch oder einer Idee, die Sie in letzter Zeit inspiriert hat.
Ich habe mich gefreut, dass in „The Ministry of the Future“ am Ende die Klimabewegung gewonnen hat. Der Film „Don’t Look Up“ hat mich persönlich angesprochen, wobei es mir besser gefallen hätte, wenn der Oligarch boykottiert worden und die Präsidentin so zu einer Meinungsänderung bewogen worden wäre.
Dieses Interview wurde leicht gekürzt und erschien zuerst hier: us.boell.org