Das Gute, das Schlechte und das Hässliche: Ein historischer Vertrag für die biologische Artenvielfalt

Analyse

Vom 7. bis 19. Dezember 2022 fand in Montreal die 15. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt statt. Das beschlossene Abkommen enthält zwar einige gute Fortschritte, die darin enthaltenen Maßnahmen werden jedoch nicht ausreichen.

Hummingbird in a tree

Es war ein peinlicher Zwischenfall: Genau in dem Moment, als der chinesische Umweltminister als Vorsitzender der 15. Vertragsstaatenkonferenz des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD COP15) das so genannte "Pariser Abkommen der Biodiversität" verabschieden wollte, meldete sich der Vertreter der Demokratischen Republik Kongo zu Wort. Er erklärte, das Abkommen sei inakzeptabel, weil es keinen neuen unabhängigen globalen Biodiversitätsfonds enthalte. Offenbar kam die Übersetzung des auf Französisch vorgetragenen Einwands aber nicht beim chinesischen Umweltminister Huang Runqiu an. Dieser schaute verwirrt, konsultierte schnell das CBD-Sekretariat, ließ dann den Hammer sinken und erklärte, das Abkommen sei angenommen, da niemand "Einwände" erhoben habe.

Es war ein hässlicher Makel in der ansonsten eindrucksvollen Übung internationaler Diplomatie seitens der chinesischen Präsidentschaft der COP15, die vom 7. bis 19. Dezember 2022 in Montreal stattfand. Nach vier langen Jahren mühevoller Verhandlungen gelang es durch intensive Konsultationen mit fast allen Ländern während der Konferenz, ein beeindruckendes Paket aus sechs Kompromissen zu schnüren, darunter ein globaler Rahmen für biologische Vielfalt (Global Biodiversity Framework, GBF), ein Kontrollsystem und eine vorläufige Strategie zur Ressourcenmobilisierung für den GBF sowie eine Vereinbarung zur gemeinsamen Nutzung digitaler Sequenzinformationen.

Das Paket wurde dem Plenum anschließend als eine „Alles-oder-Nichts“-Vereinbarung vorgelegt, eine Strategie, die einige an den Klimagipfel von 2009 in Kopenhagen erinnerte, wo Barack Obama versuchte, einen ähnlichen, hinter verschlossenen Türen ausgehandelten Kompromiss in letzter Minute durchzusetzen. Während Obama scheiterte, wurde das chinesische Kompromisspaket auf der CBD COP15 überraschenderweise von jedem einzelnen Land – abgesehen von der anfänglichen Ablehnung der DR Kongo – akzeptiert, obwohl es nur zwei Tage zuvor noch erhebliche Differenzen gegeben hatte. Auch dieser letzte Makel wurde schnell weggewischt: Auf der Abschlusssitzung am nächsten Tag änderte die DR Kongo gleich zu Beginn öffentlich ihren Einwand gegen das Paket in einen bloßen "Vorbehalt", festgehalten in einer Fußnote.

Natürlich könnte man sich fragen, ob dieser plötzliche Sinneswandel etwas damit zu tun haben könnte, dass die DR Kongo zu den afrikanischen Ländern mit den meisten chinesischen Investitionen gehört. Aber die oft sehr klugen Kompromisse in der endgültigen Vereinbarung waren auch Beweis für die Stärke der chinesischen Diplomatie, die sich während des gesamten Prozesses darauf konzentrierte, die Differenzen zwischen den Ländern zu überbrücken, statt ihnen die eigenen Ansichten aufzudrängen. Derweil hatte das Gastgeberland Kanada mit seiner eigenen Agenda nicht hinter dem Berg gehalten. Zusätzlich zum Gesamtpaket einigten sich die Vertragsstaaten auf nicht weniger als 56 Beschlüsse (darunter 37, die sich auf die CBD selbst beziehen), obwohl sie sich aufgrund eines hässlichen Streits zwischen der Russischen Föderation und der EU und ihren Verbündeten in letzter Minute nicht auf ein neues Präsidium einigen konnten, weshalb die COP15 nicht formell geschlossen, sondern ausgesetzt wurde.

Das Schlechte

Kein umfassendes Horizon Scanning von Technologien

Leider bedeutet die Tatsache, dass kluge Kompromisse gefunden wurden, nicht, dass sie auch gut sind. Insbesondere wurden einige der progressiveren Vorschläge, bei denen es direkt oder indirekt um die Interessen von Konzernen ging, rücksichtslos aus dem endgültigen Kompromisspaket gestrichen. Das finale Beschlusspaket war eine echte Enttäuschung für Aktivist*innen, die auf starke Formulierungen gehofft hatten – beispielsweise in Bezug auf einen Mechanismus zur Überprüfung und Bewertung neuer Technologien (Horizon Scanning) oder zu Maßnahmen zur Minderung der Risiken von synthetischer Biologie, genmanipulierten Organismen, falschen Klimaschutzlösungen wie Bioenergie und Kohlenstoffabscheidung und -speicherung oder zur Privatisierung und Kommerzialisierung genetischer Daten durch digitale Sequenzinformationssysteme. In einem gesonderten Beschluss wurden erste Schritte in Richtung eines Horizon Scanning im Zusammenhang mit synthetischer Biologie unternommen, aber der globale Rahmen (GBF) selbst beinhaltet keinen solchen Vorschlag. Positiv festzuhalten ist dagegen, dass Versuche verhindert wurden, Geoengineering (Technologien zur massiven Beeinflussung des Klimas) in den GBF aufzunehmen.

Keine rechtsverbindliche Unternehmensverantwortung

Ebenso rigoros wurden wichtige Vorschläge, Konzerne für die von ihnen verursachte Zerstörung von Artenvielfalt haftbar zu machen, aus dem finalen GBF gestrichen. Die Ziele hinsichtlich der Rolle und Verantwortung des Privatsektors und der Verbraucher*innen wurden zu schwachen und hohlen Phrasen verwässert: Unternehmen müssten „ermutigt“ und „befähigt“ werden, ihre Risiken, Abhängigkeiten und Auswirkungen auf die Biodiversität zu überprüfen und Verbraucher*innen darüber „Auskunft zu geben“, damit diese selbst nachhaltige Entscheidungen treffen können. Solche Selbstauskünfte waren und sind häufig Bestandteil von Zertifizierungssystemen und anderen grünen Marketing-Konzepten, die weithin als gescheitert gelten, da die Institutionen, die diese Auskünfte überprüfen, häufig finanziell von genau den Unternehmen abhängig sind, deren Behauptungen sie verifizieren sollen – sofern es überhaupt eine Form der Verifizierung gab. Die im GBF enthaltenen Vorschläge setzen voraus, dass Verbraucher*innen eine Wahl haben, allerdings sind die meisten Menschen auf diesem Planeten schlichtweg zu arm, um wählen zu können.

Die Rolle nicht-nachhaltiger Ernährungsgewohnheiten und –systeme wurde verkannt

Alle Textstellen, die auf die Notwendigkeit hinwiesen, Ernährungsgewohnheiten und/oder ganze Ernährungssysteme umzustellen, um insbesondere die Auswirkungen von nicht-nachhaltiger Massentierhaltung zu reduzieren, wurden entfernt, obwohl dies eine Hauptursache für den Biodiversitätsverlust und den Klimawandel ist. Ersetzt wurden diese Textstellen durch die Wiederholung des bereits existierenden Ziels, die weltweite Lebensmittelverschwendung zu halbieren. Während man sich darüber freuen konnte, dass in dem damit zusammenhängenden Ziel für nachhaltige Land- und Forstwirtschaft und Fischerei ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer erheblichen Zunahme agrarökologischer Praktiken hingewiesen wird, wurde die Freude schnell von dem ergänzenden Verweis auf "nachhaltige Intensivierung" getrübt. Dieser häufig von der Industrie benutzte Begriff bedeutet noch intensivere Formen der Tierhaltung oder den Einsatz genmanipulierter Organismen zur "Intensivierung" der landwirtschaftlichen Produktion.

Schwache Umsetzungsmechanismen

Darüber hinaus sind weder die Vereinbarungen zum Monitoring noch die beschlossenen Umsetzungsmechanismen eine Garantie dafür, dass die hehren Empfehlungen im GBF in den einzelnen Vertragsstaaten wirklich zu konkreten Maßnahmen führen. Ähnlich wie beim Klimaschutz gibt es auch hier globale Ziele, aber die Länder entscheiden selbst, welchen Anteil dieser Ziele sie tatsächlich erfüllen. Die Indikatoren, die entwickelt wurden, um den Ländern bei ihrer Berichterstattung zu helfen, sind absolut unzulänglich und in einigen Fällen sogar äußerst ungeeignet (wie etwa die Verwendung der umstrittenen Waldzertifizierungssysteme als Indikatoren für nachhaltige Forstwirtschaft) und ignorieren quasi alle geschlechtergerechten, sozialen und wirtschaftlichen Dimensionen der Biodiversitätsstrategie. Es wurden keine Pflicht zur Berichterstattung oder andere Durchsetzungsmechanismen vereinbart, sodass es weitgehend dem politischen Willen der Vertragsstaaten der CBD überlassen bleibt, ob der globale Rahmen und die damit verbundenen Beschlüsse tatsächlich umgesetzt werden.

Das Gute

Anerkennung der Rechte von Indigenen und Frauen

Während viele Nichtregierungsorganisationen den endgültigen GBF-Text beklagten, herrschte bei denjenigen, die um ihre Rechte kämpfen - wie dem CBD-Frauengremium und dem Internationalen Forum Indigener Völker zur Biodiversität (IIFB) - eine ganz andere Stimmung. Vor allem das IIFB bejubelte die Endfassung des GBF nahezu. Und das aus gutem Grund, denn im GBF spiegelt sich ein hart erkämpfter Paradigmenwechsel beim Erhalt der biologischen Vielfalt wider. Statt des alten Modells des „Festungs“-Naturschutzes (fortress conservation), bei dem der Erhalt von Biodiversität in erster Linie durch die Einrichtung von Nationalparks gesichert wurde, um die Artenvielfalt vor den Menschen zu schützen, enthält der in Montreal angenommene GBF über ein Dutzend aussagekräftiger Verweise darauf, dass nicht nur die Rechte, sondern auch die Rolle, das Wissen, das kollektive Handeln und andere Beiträge indigener Völker, lokaler Gemeinschaften und Frauen zum Erhalt der Biodiversität anerkannt werden müssen. Dazu gehört auch die wichtige Anerkennung von „Indigenen Territorien“ im hervorstechendsten Ziel des GBF, das häufig als „30x30“-Ziel abgekürzt wird: Bis 2030 sollen mindestens 30 Prozent der Erde als offizielle Schutzgebiete oder durch andere effektive flächenbezogene Schutzmaßnahmen (other effective area-based conservation measures, OECMs) unter Schutz stehen.

Anerkennung von Indigenen Territorien

Auch wenn das 30-Prozent-Ziel für manche ein Grund zum Feiern war, besteht der eigentliche Sieg darin, dass die Indigenen Territorien NICHT Teil dieses Ziels sind, sondern als ein eigener dritter Pfad anerkannt werden. Damit wird klar und deutlich das Recht indigener Völker bestätigt, im Einklang mit der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker und zahlreichen nationalen Gesetzen und Grundgesetzen autonom zu entscheiden, ob und vor allem wie diese Territorien zum Naturschutz beitragen werden. So werden diese Gebiete entgegen den Befürchtungen vieler indigener Völker nicht in die Zuständigkeit lokaler Naturschutzbehörden fallen. Den indigenen Völkern steht es auch frei, ihre eigenen Territorien als indigene Schutzgebiete, als ICCAs (indigene Territorien und gemeinschaftlich geschützte Gebiete) oder als OECMs auszuweisen. Um diese Autonomie zu bekräftigen, wird am Ende der Zielvorgabe wiederholt, dass sämtliche Maßnahmen im Einklang mit der "Anerkennung und Achtung der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, einschließlich der Rechte an ihren traditionellen Gebieten" stehen sollten.

Gerechtes Management und effektiver Naturschutz

In einer kuriosen Diskussion in den letzten Tagen der COP15 wurde deutlich, dass das 30-Prozent-Ziel im Grunde eine Farce ist: Mehreren Vertragsstaaten, darunter auch der EU, fiel plötzlich auf, dass vermutlich bereits erheblich mehr als 30 Prozent aller Flächen unter Schutz stehen, wenn man nicht nur die formellen Schutzgebiete, sondern alle OECMs einbezieht. Das heißt, dass sich bei der Umsetzung dieses Ziels der Fokus nicht auf die Ausweitung der geschützten Gebiete, sondern auf die qualitativen Aspekte des Ziels richten sollte, einschließlich der wichtigen Bedingungen, dass diese Gebiete „gerecht verwaltet“ und „effektiv geschützt“ werden sollten. Bei einem Großteil dieser Gebiete ist das definitiv noch nicht der Fall. Somit überträgt der GBF den Regierungen in erster Linie die Aufgabe, die Verwaltung bestehender Schutzgebiete erheblich zu verbessern, indem sie unter anderem sicherstellen, die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften zu respektieren und dass alles, was als nachhaltige Nutzung bezeichnet wird, zum Erhalt der biologischen Vielfalt beiträgt. Letzteres könnte die gegenwärtige Praxis unterbinden, in "geschützten" Gebieten großflächige Abholzungen oder andere destruktive Maßnahmen zuzulassen.

Anerkennung lokaler Naturschutzinitiativen

Die Rechte und Beiträge indigener Bevölkerungsgruppen und lokaler Gemeinschaften wurden auch in vielen anderen Elementen des GBF gewürdigt, unter anderem in den Zielen zur Raumplanung (Ziel 1), zur gewohnheitsmäßigen Nutzung (Ziele 5 und 9) sowie zu traditionellem und anderem Wissen (Ziel 21). Zudem wurden in Ziel 19 die gemeinschaftlichen Schutzinitiativen und andere "kollektive Maßnahmen" indigener Völker und lokaler Gemeinschaften als Formen der Ressourcenmobilisierung anerkannt.

Anerkennung der Rechte und Beiträge von Frauen

Auch das CBD-Frauengremium feierte die Endfassung des GBF, weil es nach langjährigen und mühesamen Kämpfen gelungen ist, ein eigenständiges Ziel zur Geschlechtergerechtigkeit (Ziel 23) aufzunehmen, das die Regierungen nicht nur auffordert, einen genderorientierten Ansatz zum GBF zu verfolgen und die Partizipation von Frauen sicherzustellen, sondern auch ausdrücklich die gleichen Rechte von Frauen auf Land und natürliche Ressourcen anerkennt.

Darüber hinaus wurde ein Gender-Aktionsplan verabschiedet, der umfassende Leitlinien für die Einbeziehung der Geschlechterperspektive in alle biodiversitätsbezogenen Entscheidungen und Umsetzungsmechanismen enthält. Leider wurden in den letzten Tagen der COP15 alle subtilen Verweise auf nichtbinäre Menschen und die Notwendigkeit, Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung zu verhindern, rigoros aus dem Gender-Aktionsplan gestrichen. Außerdem konnte das CBD-Frauengremium nicht durchsetzen, dass geschlechterdifferenzierte Indikatoren in die Monitoring-Vereinbarungen aufgenommen wurden – abgesehen von den Indikatoren zum Gender-Ziel selbst – oder dass Verweise auf Genderaspekte in die meisten anderen GBF-Ziele integriert wurden. Das bedeutet, dass trotz der hochtrabenden Worte im Gender-Aktionsplan die ernste Gefahr besteht, dass die Genderdimension einmal mehr zu einer gesonderten Säule im GBF und seinen Umsetzungsmechanismen wird und nicht zu einem wirklich integralen Bestandteil des gesamten GBF.

Schutz von Umwelt- und Menschenrechtsaktivist*innen

Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt das vielleicht vielversprechendste Ziel des GBF dar –  Ziel 22 – das den rechtsbasierten Ansatz fest im neuen Biodiversitätsrahmenwerk verankert. Die ausdrücklichen Verweise auf die volle, gerechte, inklusive und geschlechtergerechte Partizipation, den Zugang zu Rechtsmitteln, das Recht auf Land, Territorien, Ressourcen und traditionelles Wissen sowie den Schutz von Menschen, die sich für umweltbezogene Menschenrechte einsetzen, können allesamt als große Erfolge für diejenigen erachtet werden, die in den letzten vier Jahren unermüdlich für einen wirklich rechtsbasierten globalen Rahmen gekämpft haben.

Das Hässliche

Einflussnahme von Konzernen durch privatwirtschaftliche Finanzierung

Trotz dieser guten Nachrichten lauert im GBF auch eine große Gefahr, weil er die Türen für „alle Finanzierungsquellen“ zu seiner Umsetzung geöffnet hat, insbesondere für die finanzielle Unterstützung aus dem Privatsektor. Während der GBF das ehrgeizige Ziel festschreibt, jährlich die Summe von 200 Milliarden US-Dollar für den Biodiversitätsschutz zu mobilisieren, steht im Text ebenfalls, dass lediglich 20 bis 30 Milliarden davon aus offizieller Entwicklungshilfe bestehen sollen.

Das öffnet Tür und Tor für Greenwashing (und möglicherweise sogar für Whitewashing oder Geldwäsche, da selbst illegal erworbene Gelder willkommen zu sein scheinen). Das bedeutet, dass Biodiversitätspolitik noch abhängiger von der finanziellen Unterstützung – und damit auch den Launen und Wünschen – von Wirtschaft und Industrie wird. Man beißt nicht die Hand, die einen füttert und mit zunehmender Abhängigkeit von privatwirtschaftlicher Finanzierung werden die Regierungen weniger Vorschriften erlassen, die abträglich für ihre „Geschäftspartner“ sind. Und so begrüßenswert das Ziel auch ist, umweltschädliche Subventionen bis 2030 um mindestens 500 Milliarden US-Dollar zu reduzieren, so problematisch ist die Mischfinanzierung: Eine Studie belegt, dass die Einflussnahme von Unternehmen auf politische Entscheidungen mittels Mischfinanzierung ein großes Hindernis für die Abschaffung schädlicher Subventionen darstellt.

Kompensationszahlungen und Biodiversitätsgutschriften

Noch hässlicher sind die zu später Stunde in den GBF aufgenommenen „Kompensationszahlungen und Biodiversitätsgutschriften“, die als „innovatives Finanzierungsmodell“ bezeichnet werden. Diese Biodiversitäts-Offsets sind keineswegs innovativ und funktionieren in der Praxis nicht, weil man ein zerstörtes Ökosystem nicht einfach mit einem anderen Ökosystem ersetzen kann. Für die Menschen, die auf das Ökosystem angewiesen sind, das zerstört wird, bringt ein Kompensationsprojekt an einem anderen Ort rein gar nichts. Tatsächlich schaffen Kompensationszahlungen nicht nur einen Anreiz für die zuständigen Behörden, schädliche Projekte zu bewilligen, sondern auch den Anreiz, den altmodischen „Festungs“-Naturschutz aufrechtzuerhalten, weil sie sichtbare Ergebnisse liefern müssen. An anderer Stelle zielt der GBF aber darauf ab, dass genau diese Art von Naturschutz überwunden wird. Dass der Begriff „naturpositiv“, der von vielen als breit angelegter Ansatz für Kompensationsmechanismen erachtet wurde, aus dem GBF gestrichen wurde, ist hier nur ein kleines Trostpflaster. Auch die Tatsache, dass nach einer heftigen Kampagne von Nichtregierungsorganisationen und anderen Gruppen in letzter Minute die Formulierung "mit ökologischen und sozialen Garantien" hinzugefügt wurden, ist nur bedingt hilfreich.

Naturbasierte Lösungen (NBS)

Das zähe Ringen derselben Gruppen gegen die Aufnahme des Begriffs „naturbasierte Lösungen“ (NBS) in den GBF war ein weiterer Kampf, der im letzten Moment verloren wurde. Es war von Anfang an relativ klar, dass dieser Kampf nicht zu gewinnen war, denn NBS wurden im März 2022 nicht nur auf der UN-Umweltversammlung (UNEA) angenommen und definiert, sondern auch auf weiteren UN-Versammlungen, einschließlich der 27Vertragsstaaten-konferenz der Klimarahmenkonvention, die nur wenige Wochen vor der COP15 stattfand. Ausgerechnet das Klimaschutzabkommen wird wahrscheinlich das größte Opfer solcher „Lösungen“ werden. Während in der UNEA-Resolution die NBS formal auf Maßnahmen limitiert wurden, die nur auf positive Weise zur Biodiversität beitragen, machen Wald- und andere CO2-Kompensationsprojekte bereits die überwiegende Mehrheit von NBS aus – heutzutage könnten sogar Wale in den freiwilligen Kohlenstoffmarkt einbezogen werden. In der UNEA-Resolution wurde tatsächlich festgehalten, dass die möglichen Auswirkungen dieser häufig betrügerischen Projekte auf das Klimaschutzabkommen untersucht werden sollten. Aber angesichts der vielen Begleitveranstaltungen zu NBS, die während der CBD COP15 vom Privatsektor und vielen Naturschutzorganisationen organisiert wurden, wurde schnell klar: Sie sehen kein Problem darin, eine Finanzierungsquelle zu akzeptieren, die die Bemühungen untergräbt, eine der Hauptursachen für den Verlust der Artenvielfalt aufzuhalten: die globale Erwärmung.

Keine direkten Finanzhilfen für indigene Völker und lokale Gemeinschaften?

Unterdessen ist unklar, ob der neue Globale Biodiversitätsfonds, zunächst als Treuhandfonds unter der Globalen Umweltfazilität (GEF) angedacht, bei der Auswahl der Finanzierungsquellen selektiver sein wird. Ebenso unklar ist, ob er, wie von vielen gefordert, indigenen Bevölkerungsgruppen, lokalen Gemeinschaften und Frauen direkten Zugang zu Finanzhilfen gewähren wird. Die GEF selbst hat ein bescheidenes Programm für Kleinzuschüsse, über das Menschen vor Ort direkt unterstützt werden. Die Erfahrungen mit dem Grünen Klimafonds, der als Alternative zur GEF eingerichtet wurde, legen nahe, dass neue Fonds nicht unbedingt einen ähnlichen Direktzugang bieten – tatsächlich wird der Grüne Klimafonds inzwischen sogar mehr von Unternehmensinteressen beherrscht als die GEF.

Ausblick

Schädliche Investitionen verhindern

Auf der COP15 gab es jedoch nicht nur hässliche Finanzmeldungen. Neben der Anerkennung der Rechte indigener Völker ist Ziel 14 eines der positivsten Bestandteile des GBF. Es verpflichtet die Regierungen, alle Aktivitäten sowie Steuer- und Finanzströme am GBF auszurichten. Das Versprechen, Devestitionen aus all jenen Projekten und Branchen vorzunehmen, die zur Zerstörung der Artenvielfalt beitragen, wie nicht-nachhaltige Viehzucht, großangelegte Bioenergieproduktion und Rohstoffindustrien, ist eine wichtige Anerkennung der Tatsache, dass es sinnlos ist, 30 Milliarden US-Dollar in den Erhalt der Artenvielfalt zu pumpen, wenn gleichzeitig 3,1 Billionen US-Dollar pro Jahr in die Zerstörung von Biodiversität fließen. Ziel 14 richtet sich ausdrücklich an alle Regierungsebenen und macht damit deutlich, dass es die Regierungen sind, die sicherstellen müssen, dass sowohl öffentliche als auch private Finanzinstitutionen ihr Geld aus solchen schädlichen Aktivitäten abziehen.

Keine Vereinnahmung des GBF durch Unternehmen

Wie bei allen GBF-Zielen wird es einer unermüdlichen Kampagne bedürfen, die Regierungen immer wieder an ihre im Dezember 2022 gegebenen Versprechen zu erinnern, um diese positiven Vorschläge in die Realität umzusetzen. Ebenso notwendig ist der kontinuierliche Kampf gegen die Vereinnahmung der Politikgestaltung durch Unternehmen mittels Mischfinanzierung und anderen „Partnerschaften“. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich die Regierungen von Interessenskonflikten befreien und den Geist des GBF wirklich zu eigen machen. Die Versprechen sind da – auf dem Papier. Jetzt liegt es an uns allen, dafür zu sorgen, dass sie nicht erneut zu Papiertigern werden.