1. Insekten sterben weltweit aus
Wissenschaftlicher Konsens ist, dass die Vielfalt der Insekten weltweit abnimmt. Auch wenn es nicht eine globale Statistik gibt, so deuten doch viele Einzelstudien auf einen gravierenden Rückgang der Insektenarten auf globaler Ebene hin. Eine Überblicksstudie der Universität Sidney in 2018 geht davon aus, dass bei mehr als 40 Prozent aller Insektenarten derzeit die Zahl der Tiere zurückgeht und dass ein Drittel der Arten bedroht sind.
Dennoch sind diese Zahlen Annährungen – sie können durchaus höher liegen, weil es in besonders artenreichen Gebieten wie Lateinamerika oder afrikanischen Ländern – die in den letzten Jahren immer intensiver landwirtschaftlich genutzt wurden – kaum Studien gibt.
2. Auch in Deutschland sind Insekten extrem bedroht
Auch in Deutschland stehen die Insekten unter Druck. Insgesamt zeigen die Untersuchungen in Deutschland, dass die Verluste nicht regional begrenzt, sondern bundesweit zu bemerken sind. Betroffen sind Spezies mit unterschiedlichsten Lebensweisen und Lebensräumen. Die mit Abstand höchsten Insektenverluste gibt es auf Äckern und Wiesen. Einem internationalen Forscherteam unter Leitung der Technischen Universität München zufolge hat sich zwischen 2008 und 2017 die Insektenbiomasse auf Grünlandflächen um zwei Drittel verringert. Über den gleichen Zeitraum untersuchte Wälder wiesen Verluste von 40 Prozent der Biomasse von Insekten auf.
Die umfangreichste Sammlung zum Gefährdungsstatus einzelner Spezies stellen die Roten Listen dar. Das Bundesamt für Naturschutz bringt sie seit 40 Jahren heraus. Sie werden kontinuierlich erweitert und bilden die Entwicklung der Bestände von rund 15.000 Insektenarten über einen Zeitraum von 50 bis 150 Jahren ab. Damit stellen sie die Lage von knapp der Hälfte der über 33.000 hierzulande etablierten Spezies dar. Die Listen zeigen, dass bundesweit fast jede zweite erfasste Art zurückgeht. Nur ein Bruchteil der Spezies – etwa zwei Prozent – nimmt zu.
3. Insekten sind High-Performer
Insekten halten das ökologische System dieses Planeten am Laufen. So droht beim Wegfall tierischer Bestäubung einzelnen Obst- und Gemüsesorten wie Äpfeln, Kirschen, Pflaumen oder Gurken ein Ernterückgang von bis zu 90 Prozent. Drei Viertel der weltweit wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturpflanzen profitieren in ihrem Ertrag von Bestäubern und garantieren damit rund ein Drittel der Produktion von Nahrungsmitteln.
Insekten verbessern zudem durch das Zersetzen von Dung und abgestorbenen Pflanzenteilen die Bodenqualität und reduzieren Pflanzenschädlinge. So können dem Insektenatlas zufolge Marienkäfer den Befall mit Getreideblattläusen um 80 Prozent reduzieren. Ein Marienkäfer frisst bis zu 40.000 Blattläuse in seinem Leben.
4. Der Lebensraum von Insekten wird von der Landwirtschaft vernichtet
Unbestritten sind Insekten eine wichtige Grundlage der Landwirtschaft und unserer Lebensmittelproduktion. Dennoch zerstört die intensive Landwirtschaft mit ihren Folgen die Lebensgrundlage von Insekten in immer größerem Ausmaß: Große, monotone Felder ohne Hecken oder Grüninseln sowie Kunstdünger und Pestizide vernichten Rückzugsgebiete von Nützlingen und fördern die Ausbreitung von Schädlingen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit sind sich einig, dass die Landwirtschaft der Faktor Nr. 1 ist, bei der Zerstörung der Lebensräume von Insekten. Die Tiere können nicht in monotonen Agrarwüsten leben, die keine Unterschlüpfe, keine Futterpflanzen bieten. Fehlende Ackerrandstreifen, keine Vielfalt auf den Feldern und Feldgrößen, die sie nicht überfliegen können. All das ist lebensfeindlich für Insekten. Insekten lieben Vielfalt.
5. Die Agrar- und Chemieindustrie gewinnt, die Insekten verlieren
Hinzu kommt die wachsende Nutzung von synthetischem Dünger und Pestiziden. Sie gelten als einer der Hauptverursacher des Insektensterbens weltweit und machen gleichzeitig die industrielle Landwirtschaft überhaupt erst möglich. Weltweit ist der Einsatz von Pestiziden seit 1950 um das 50-fache gestiegen. Allein seit 1990 hat sich der Einsatz noch einmal fast verdoppelt. Vier Chemiekonzerne teilen sich zwei Drittel des globalen Marktes. Weltmarktführer ist Bayer mit 11,2 Mrd US$ Umsatz, gefolgt von Syngenta, BASF und Dow DuPont. Am stärksten wächst der Markt für Pestizide in Asien – genaugenommen in China. Aber auch Lateinamerika ist einer der vielversprechendsten Pestizidmärkte der Zukunft und das liegt nicht zuletzt daran, dass der weltweite Hunger auf billiges Fleisch eine Kettenreaktion von Rodungen, Monokulturen und Chemieeinsatz auslöst.
6. Billiges Fleisch zerstört die Vielfalt
Um es ganz simpel zu sagen: Derzeit opfern wir Flächen in Brasilien, dem wohl artenreichsten Land der Welt dafür, Soja zu produzieren, um billiges Fleisch von Tieren aus Massentierhaltung zu bekommen. Von den weltweit bald eine Million klassifizierten Insektenarten beheimatet Brasilien etwa neun Prozent, gleichzeitig ist es seit 2018 größter Sojaproduzenten der Welt und baut Soja auf 36 Millionen Hektar an.
Zum Vergleich: die Gesamtfläche Deutschlands liegt bei knapp über 35 Millionen Hektar. Die schiere Menge an Wirkstoffen, die in Brasilien genutzt wird, liegt bei über 200 Millionen Litern. Pro Hektar hat sich der Einsatz seit 1990 um das Sechsfache erhöht. Abgesehen davon, dass das in Brasilien im Sojaanbau beliebte Totalherbizid Glyphosat alle Futterpflanzen der Insekten tötet, sind mehr als 33 Prozent der in Brasilien eingesetzten Pestizide hochtoxisch für Bienen. Im Vergleich: In den Niederlanden sind es 15 Prozent.
Die Politik muss umsteuern: Pestizide, die in Europa aufgrund ihrer gesundheitsschädlichen oder gravierenden ökologischen Wirkung nicht mehr zugelassen sind, dürfen von deutschen Konzernen auch nicht länger in anderen Ländern vertrieben werden.
7. Wir müssen insektenfreundlicher werden
Im Januar 2020 haben mehr als 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Appell veröffentlicht, der die Staaten zu dringendem Handeln für den Insektenschutz auffordert. Neben einer größeren Vielfalt der Agrarsysteme fordern die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen schrittweise auf Pestizide zu verzichten und mehr in Forschung rund um Insektenschutz zu investieren.
Die Bundesregierung hat im Herbst 2019 ein Aktionsprogramm Insektenschutz beschlossen. Heinrich-Böll-Stiftung und BUND sind sich einig, dass die Richtung des Programms zwar gut ist, die bislang beschriebenen Maßnahmen aber bei weitem nicht ausreichen, um das Insektensterben zu beenden.
8. Die Agrarpolitik muss sich ändern
Wichtig ist, dass landwirtschaftliche Betriebe finanziell dafür entlohnt werden, mehr Insektenschutz zu betreiben. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern seit Jahren, dass die EU Agrarpolitik (GAP) grundlegend überarbeitet und verändert wird. Jährlich wird die Landwirtschaft über die GAP mit fast 60 Milliarden Euro unterstützt. Dieses Geld darf nicht länger pro Hektar an diejenigen gezahlt werden, die das meiste Land besitzen, sondern muss an Umweltziele gekoppelt werden, um die landwirtschaftlichen Betriebe für Arten-, Klima- und Tierschutz zu entlohnen. Leider ist der von der EU-Kommission vorgelegte Reformvorschlag unzureichend, sowohl beim Insektenschutz als auch beim allgemeinen Umweltschutz.
Ohne einen Umbau der Landwirtschaft ist das Sterben von Schmetterlingen, Hummeln und Käfern nicht zu stoppen. Dabei zeigt der ökologische Landbau schon jetzt, wie es gehen könnte. Verglichen mit der konventionellen Landwirtschaft bietet der ökologische Landbau den Insekten und der Biodiversität deutliche Vorteile. Eine in Deutschland erstellte Metastudie aus vielen Einzeluntersuchungen weist nach, dass auf ökologisch bewirtschafteten Flächen 23 Prozent mehr blütenbesuchende Insektenarten vorkommen als auf konventionellen Flächen. Es gibt im Mittel 30 Prozent mehr Wildbienen- und 18 Prozent mehr Tagfalterarten. Nicht nur die Vielfalt der Insekten ist beim ökologischen Landbau besser, auch ihre Anzahl erhöht sich: Im Durchschnitt sind 26 Prozent mehr Blütenbesucher auf den Bioflächen vorhanden, und die Anzahl der Tagfalter ist sogar um fast 60 Prozent erhöht.
Mehr Infos zu Insekten findest Du im Insektenatlas hier.
© Heinrich-Böll-Stiftung e.V.
Schumannstraße 8
10117 Berlin
T +49 (30) 285 34-0
F +49 (30) 285 34-109
www.boell.de
info@boell.de