Brasilien rückt näher an Chinas „Belt and Road“ Initiative - Warum jetzt?

Analyse

Noch wägt Brasilien die wirtschaftlichen Vorteile, seine Infrastrukturziele und den Einfluss auf die Region ab, doch schon bald könnte das Land der chinesischen Initiative beitreten.

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Foto: Xi Jinping und Luiz Inácio Lula da Silva schreiten eine Ehrengarde entlang. Chinesische Soldat*innen stehen in Reihen mit Gewehren und roten Fahnen im Hintergrund.
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Der chinesische Staatschef Xi Jinping und der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei einer Begrüßungszeremonie in Peking, April 2023. Während eines viertägigen brasilianischen Staatsbesuchs unterzeichneten die beiden Länder 15 Abkommen, aber keines erwähnte die Möglichkeit eines Beitritts Brasiliens zur Belt and Road Initiative.

Nach zehn Jahren Expansion der „Belt and Road“ Initiative, Chinas globalem Infrastrukturprojekt, ist es Peking möglicherweise gelungen, auch Brasilien als neues Mitglied zu gewinnen. 

Jüngste Äußerungen des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva haben Spekulationen verstärkt, dass das Land der Infrastrukturinitiative beitreten könnte. Was hat sich also geändert, und welche Auswirkungen hätte dies auf Brasilien, China, sowie die Politik und Wirtschaft der Region?

Die 2013 gestartete „Belt and Road“ Initiative (BRI) wurde vom chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping ins Leben gerufen, um ein modernes Handelsnetzwerk zu schaffen. Chinesische Unternehmen und Kreditinstitute konnten dadurch ihre globale Präsenz ausbauen, weshalb viele Beobachter die BRI als strategisches Vorhaben sehen, um Chinas globalen Einfluss zu stärken. Die chinesische Führung propagiert indessen ein anderes Narrativ: Ziel sei vor allem die Vertiefung wirtschaftlicher, politischer und kultureller Beziehungen unter den Mitgliedsländern.

Ursprünglich war die Initiative darauf ausgelegt, Asien und Europa durch Afrika und den Nahen Osten zu verbinden, doch bereits 2017 erfolgte die Erweiterung nach Lateinamerika. Im Rahmen von BRI hat China in nahezu 150 Länder investiert, darunter 22 in Lateinamerika und der Karibik. Im Jahr 2023 überschritten die Zusagen für Investitionen eine Billion US-Dollar. Diese Investitionen erfolgten bisher hauptsächlich in Form von Krediten und Kooperationen für große Infrastrukturprojekte wie Kraftwerke, Straßen, Flughäfen, Seehäfen und Staudämme.

Nach einer Phase der Zurückhaltung unter den Präsidenten Michel Temer (2016-2018) und Jair Bolsonaro (2019-2022) ist Brasilien – mit seinen ergiebigen Ressourcen und seiner wichtigen Rolle in Südamerika – erneut in den Mittelpunkt der Diskussionen über die BRI gerückt.

„Brasilien hat schon sehr lange verstanden, dass es ein Schlüsselpartner für China in Lateinamerika ist, unabhängig davon, ob es sich der Belt and Road Initiative anschließt oder nicht“, sagt Margaret Myers, Direktorin des Asien- und Lateinamerika-Programms beim Inter-American Dialogue. „Es war stets eine wichtige Destination, wenn nicht sogar das wichtigste Zielland für chinesische Investor*innen. Daran wird sich wahrscheinlich nichts ändern.“

„Gleichzeitig sieht Brasilien sich in vielerlei Hinsicht ebenfalls als eine aufstrebende Macht - ähnlich wie China“, fügt sie hinzu. „Ich weiß nicht, ob ein Beitritt zur BRI in gewisser Weise Brasiliens Selbstverständnis als Regionalmacht und den Blick auf die eigenen Interessen geschmälert hätte, aber das könnte eine Überlegung bei der bisherigen Zurückhaltung gegenüber BRI gewesen sein.“

Lulas Rückkehr ist der entscheidende Faktor

Obwohl brasilianische Diplomat*innen weiterhin skeptisch gegenüber den Vorteilen einer Mitgliedschaft in der BRI sind, haben Spekulationen, dass Brasilien ein Memorandum zum Beitritt unterzeichnen könnte, seit Lulas Rückkehr als Präsident Anfang 2023 stetig zugenommen.

Jüngste Besuche von Lula und seinem Vizepräsidenten Geraldo Alckmin in China verliefen ohne eine offizielle Ankündigung in Bezug auf die Belt and Road Initiative. Während einer Veranstaltung im Juli deutete Lula jedoch an, dass Brasilien möglicherweise beitreten könnte: 

„Da China daran interessiert ist, die Seidenstraße [d.h. BRI] zu diskutieren, müssen wir einen Vorschlag vorbereiten, um darzulegen, was wir uns von einem Beitritt versprechen. Welche Vorteile ergeben sich konkret? Welchen Einfluss wird Brasilien haben?“

Da Xi im November im Rahmen der G20-Konferenz in Rio de Janeiro einen Staatsbesuch in Brasilien plant und die beiden Präsidenten im selben Monat auch beim Gipfeltreffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) in Peru zusammentreffen, sind chinesische Beamte bestrebt, das Abkommen in diesem Jahr abzuschließen, dem 50-jährigen Jubiläum der brasilianisch-chinesischen Beziehungen.

„Zwischen dem inneren Kreis des Präsidenten und dem Außenministerium gibt es unterschiedliche Ansichten“, sagt Pablo Ibañez, Koordinator des „Observatory of Asian Studies“ an der Federal Rural University von Rio de Janeiro. „Lula weiß, wie wertvoll wachsende Kontakte zum globalen Süden sind, und er zieht es vor, Beziehungen außerhalb der Achse der USA und Europas zu pflegen.“

Das Außenministerium hingegen „ist besorgt über die möglichen Auswirkungen“, so Ibañez. „Was können wir daraus gewinnen? Könnte es zu Vergeltungsmaßnahmen der USA kommen? Die Belt and Road Initiative ist eine weitere Stufe in der Ausweitung der chinesischen globalen Macht. Sie ist gewaltig und für die chinesische Regierung von fundamentaler Bedeutung.“

Foto: Luiz Inácio Lula da Silva und Wang Yi geben sich die Hand. Im Hintergrund sind die Flaggen Brasiliens und Chinas.
Präsident Lula als Gastgeber eines Treffens mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi auf dem Luftwaffenstützpunkt Fortaleza im Nordosten Brasiliens. Expert*innen zufolge hofft Brasilien, die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern über den Rohstoffexport hinaus zu verstärken.

Laut weiteren befragten Expert*innen wägt Brasilien die potenziellen Vorteile eines Beitritts sorgfältig ab, um möglichst viel Verhandlungsspielraum gegenüber China zu gewinnen.

„Vor einigen Jahren hatte Brasilien meiner Meinung nach noch kein klares Verständnis der strategischen Gründe für einen Beitritt zur BRI“, sagt João Cumarú, Forscher bei der NGO Plataforma CIPÓ, die sich mit Klima- und Außenpolitik beschäftigt. „Jetzt beginnen jedoch einige Mitglieder*innen von Lulas Regierung strategisch zu überlegen, was Brasilien im Gegenzug für seine Teilnahme fordern sollte.“

Die genauen Details sind noch unklar, doch Expert*innen vermuten, dass Brasilien Unterstützung sucht, die über den Export von Rohstoffen nach China und den Import von fertiggestellten Endprodukten hinausgeht.

China ist seit 2009 Brasiliens größter Handelspartner, wobei der bilaterale Handel im ersten Halbjahr 2024 laut brasilianischen Außenhandelsdaten 80 Milliarden US-Dollar erreichte. Doch rund 80 Prozent der brasilianischen Exporte nach China bestehen aus nur drei Gütern: Erdöl, Eisenerz und Sojabohnen.

Im vergangenen Jahr unterzeichnete Lula während eines Besuchs in Peking 15 Abkommen, darunter solche zu Raumfahrttechnologie, erneuerbarer Energie, Klimakooperation, Elektromobilität und grüner Finanzierung.

Cumarú sieht drei Schlüsselbereiche, in denen Brasilien durch eine Mitgliedschaft in der BRI profitieren sollte:

„Kooperation in den Bereichen grüne Energie und Technologie, insbesondere im Kontext der Energiewende. Reindustrialisierung, die darauf abzielen, den Mehrwert unserer Rohstoffe zu erhöhen, indem wir chinesische Technologien zur Bodensanierung und für nachhaltige Praktiken nutzen. Und mit Infrastrukturprojekten möchte die Regierung eine bessere Vernetzung der Verkehrswege auf dem südamerikanischen Kontinent.“

Der Forscher fügte hinzu, dass während seiner Gespräche mit brasilianischen Regierungsvertreter*innen das Thema der Finanzierung durch China besonderes Interesse geweckt habe.

 „Sie haben sich genau angeschaut, ob die Chinesen einen Teil der neuen Programme der Regierung Lula zur Industrialisierung, ökologischen Transformation und Energiewende finanzieren könnten. Dann gab es erste Überlegungen, dass der Beitritt zum BRI eine Finanzierungsquelle für diese Projekte eröffnen könnte.“

Die „Belt and Road“ Initiative verändert sich 

Die BRI hat sich seit ihren Anfängen erheblich weiterentwickelt, und die chinesische Führung hat signalisiert, dass sie die Initiative in eine neue Richtung lenken will, mit einem Fokus auf kleinere beziehungsweise diversifizierte Investitionen in grüne oder innovative Sektoren, an Stelle der großen Infrastrukturprojekte, die das erste Jahrzehnt der BRI prägten.

China tut sich schwer damit, die BRI in dieser neuen Phase zu definieren“, sagt Myers. „Wir werden nicht das gleiche Ausmaß an groß angelegter Infrastrukturentwicklung erleben wie in der Vergangenheit.“

Auf brasilianischer Seite ist die Situation ebenfalls komplex. Potenzielle Investitionen Chinas in Elektrofahrzeuge in Brasilien haben beispielsweise Bedenken bei der heimischen Industrie ausgelöst, sagt Cumarú.

Dennoch wäre es voreilig, die Möglichkeit größerer Infrastrukturinvestitionen auszuschließen, die das Abkommen besiegeln könnten, meinen Expert*innen. Brasilien hat ein erhebliches Defizit an Infrastruktur. Ein Bericht der Weltbank schätzt, dass das Land 778 Milliarden US-Dollar investieren muss, um in diesem Bereich die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen fristgerecht bis zum Jahr 2030 zu erreichen.

Im vergangenen Jahr kündigte Präsident Lula ein neues Programm zur Beschleunigung des Wachstums (PAC) an, mit dem über vier Jahre 1,7 Billionen BRL (rund 300 Milliarden US-Dollar) in Infrastruktur, Energie und Verkehr investiert werden sollen.

„China versucht, die Verhandlungen auf eine neue Ebene zu heben“, sagt Ibañez. „Der chinesische Botschafter in Brasilien gab kürzlich ein Interview bei CNN Brasil, in dem er die Bedeutung von Investitionen in Brasilien und der Region hervorhob. Er erwähnte, dass China Brasilien beim PAC unterstützen könnte. Das zeigt, dass Brasiliens Beteiligung an der Belt and Road Initiative zunehmend Realität wird.“

Ein weiterer Gesichtspunkt ist der seit langem diskutierte Zentrale Bi-ozeanische Eisenbahn-Korridor, ein  3.750 Kilometer langer Schienenweg, der den Pazifik mit dem Atlantik durch Peru, Bolivien und Brasilien verbinden würde. „Ich habe kürzlich gehört, dass dieses Projekt immer noch in Betracht gezogen, und im Zusammenhang mit der Entwicklung des Hafens von Chancay diskutiert wird.“, sagt Myers. Der Hafen von Chancay in Peru ist eine der größten Investitionen, die im Rahmen der BRI in Lateinamerika getätigt wurden, und soll im November eingeweiht werden, wahrscheinlich in Anwesenheit des Chinesischen und des Brasilianischen Präsidenten.

Eine chinesische Finanzierung der vorgeschlagenen Eisenbahn würde gut zu Lulas Ziel einer stärkeren Integration der südamerikanischen Länder unter Führung Brasiliens passen. Im vergangenen Jahr startete er die Initiative „Fünf Routen“, um Brasilien besser mit seinen Nachbarn zu verbinden und so den Handel innerhalb des Kontinents zu fördern.

„Warum gerade jetzt, ist eine gute Frage“, sagt Myers. „Ich weiß nicht, ob es aktuell ein bestimmtes Projekt gibt, für das Brasilien unbedingt Chinas Unterstützung haben möchte. Brasilien ist Gastgeber des G20-Gipfels. Vielleicht ist dies der Moment, in dem beide Länder eine starke Beziehung demonstrieren wollen.“

Gleichzeitig besteht die Gefahr, die Symbolkraft einer solchen Ankündigung überzubewerten, so Myers. „Meiner Ansicht nach ist [der Beitritt zur BRI] in erster Linie symbolischer Natur und zeigt eine gewisse Unterstützung für Chinas globale Agenda und seine wachsende globale Rolle und Vision.“

„Manchmal werden bei einem Beitritt zur Initiative gleichzeitig Abkommen verkündet. Aber diese sind in der Regel einmalige Vereinbarungen“, fügt Myers hinzu. „Es ist nicht so, dass wir vor oder nach der Entscheidung, der BRI beizutreten, eine Explosion wirtschaftlicher Aktivitäten beobachten. In der Regel gibt es keinen großen Unterschied in der Gesamtdynamik vor und nach der BRI-Mitgliedschaft.“