Benita Kawalla, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Zwischen Familienliebe und Formalitäten – Über die intrafamiliären Aushandlungen von Staatsbürgerschaftskonstruktionen, Zugehörigkeiten und acts of citizenship von mixed-status Familien im Libanon

Lesedauer: 3 Minuten

In einer Region, deren mediale Präsenz vor allem durch Krisen- und Kriegsberichterstattung geprägt ist, richtet sich die öffentliche und auch wissenschaftliche Aufmerksamkeit selten auf langfristige gesellschaftliche Entwicklungen abseits der akuten Krisen. Der Fall des libanesischen Staatsbürgerschaftsrechts zeigt allerdings eindrucksvoll, welche langfristigen Folgen konkrete (geo-)politische Umbrüche wie die Vertreibung von Palästinenser*innen 1948 und der Krieg in Syrien seit 2011 haben: Durch die hohen Einwanderungsbewegungen infolge dieser beiden Konflikte in den Libanon und durch die Tatsache, dass Frauen im Libanon ihre Staatsbürgerschaft nicht an ihre Kinder und ausländischen Ehemänner weitergeben können, sind ungefähr 35% aller verheirateten Frauen im Land die einzigen Mitglieder ihrer Familie mit libanesischer Staatsbürgerschaft. 

In einem Land, in dem der Besuch öffentlicher Schulen, der Zugang zum Gesundheitssystem und zu verschiedenen Jobs vom libanesischen Pass abhängt, hat dieses, 1925 von der französischen Kolonialmacht eingeführte, patrilinear-vererbte Staatsbürgerschaftsrecht bis heute gravierende Auswirkungen auf das Familienleben von diesen mixed-status Familien – zwischen Familienliebe und Formalitäten.

In der Migrationsforschung sowie in den Citizenship Studies gewinnt seit Anfang der 2000er Jahre die Einheit der Familie für die Analyse von Migrationsbewegungen an Bedeutung. Migrationsbewegungen innerhalb des Globalen Südens und damit auch postkoloniale Migrations- und Einbürgerungsregime dieser Länder bleiben dabei in den meisten Forschungen unberücksichtigt. Vor diesem Hintergrund beleuchte ich in meiner Dissertation Migrations- und Einbürgerungskonfigurationen für Familien in einem postkolonialen Kontext am Beispiel des Libanons. Ich konzentriere mich dabei auf heterosexuelle mixed-status Familien, in denen die Mütter die libanesische Staatsbürgerschaft besitzen, diese aber auf Grund des restriktiven libanesischen Staatsbürgerschaftsrechts nicht an ihre ausländischen oder staatenlosen Ehemänner und ihre Kinder weitergeben können. Den Kern der Untersuchung bilden biografisch-narrative Familien- und individuelle Interviews, die mithilfe biografischer Fallrekonstruktion und biografischer Evaluierung von Politiken ausgewertet werden sollen.

Im Mittelpunkt meiner Forschung steht die Frage, welche intrafamiliären Praktiken und Aushandlungsprozesse die Lebenswelt dieser Familien prägen. Hierbei betrachte ich sowohl affektive Fragen nach Zugehörigkeit, im und zum libanesischen Staat, als auch den Umgang der Familien mit den Herausforderungen, die mit der fehlenden libanesischen Staatsbürgerschaft für die Angehörigen der Frauen einhergehen, sowie ihre Handlungen, die darauf abzielen, auf diese Herausforderungen zu reagieren. Dabei beantworte ich folgende Forschungsfragen:

Wie konstruieren Mitglieder von mixed-status Familien im Libanon in der Erzählung ihrer Lebensgeschichte ihre Familie in Beziehung zum libanesischen Staat?

Wie werden unterschiedliche Migrationserfahrungen und Staatsbürgerschaftsstatus und deren Auswirkungen intrafamiliär verhandelt?

Welche Rollen spielen dabei soziale Positionierungen wie Klasse, Geschlecht, Religion, Staatsangehörigkeit und ethnische Zugehörigkeit?