Die Begründung der Jury: Anne-Klein-Frauenpreis 2025

Ehrung

Die belarusischen Feministinnen und Frauenrechtsverteidigerinnen Darya Afanasyeva, Irina Alkhovka und Julia Mickiewicz erhalten den Anne-Klein-Frauenpreis 2025.

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Die belarusischen Feministinnen und Frauenrechtsverteidigerinnen Darya Afanasyeva, Irina Alkhovka und Julia Mickiewicz erhalten den Anne-Klein-Frauenpreis 2025. Die Frauen- und Menschenrechtsverteidigerin Irina Alkhovka, die feministische Bloggerin Darya Afanasyeva und die feministische Aktivistin und Politikerin Julia Mickiewicz – sie alle sind Opfer staatlicher Verfolgung und Repressionen und aktuell gezwungen, ihre geschlechterdemokratischen Aktivitäten aus dem europäischen Exil heraus fortzuführen.

Begründung der Jury

Die studierte Journalistin Julia Mickiewicz ist seit 25 Jahren feministisch, politisch und zivilgesellschaftlich engagiert. Nach dem Wahlbetrug von Lukaschenko 2020 gründete sie die FemGroup, um feministische Perspektiven im Koordinationsrat einzubringen, der verschiedene Kräfte der demokratischen Opposition in Belarus vereint. Sie wollte damit die politische Beteiligung von Frauen auf allen Ebenen ermöglichen und sichern und erreichte gemeinsam mit ihren Kolleg*innen trotz großer Widerstände eine Frauenquote für die ersten Wahlen zum Koordinationsrat im Jahr 2024. Heute ist die FemGroup eine innovative NGO (Non-Governmental Organization). Julia ist auch Mitglied der Kontaktgruppe des Europarats für Belarus, die als Alternative zur belarusischen Staatsvertretung im Europarat eingerichtet wurde, und ist dort für Gleichstellung und Gender-Mainstreaming zuständig.

Irina Alkhovka gehörte 1996 zu den ersten Absolvent*innen des neu gegründeten Studiengangs Gender Studies im Fachbereich Soziologie der staatlichen Universität in Minsk. Im selben Jahr wurde sie zur Vorstandsvorsitzenden der NGO Young Women’s Christian Association (YWCA) in Belarus gewählt und begann, sich gegen Frauenhandel aus Belarus nach Westeuropa zu engagieren. 2002 gründete sie in Zusammenarbeit mit La Strada, dem europäischen Netzwerk gegen Menschenhandel, die NGO La Strada Belarus. Als deren Leiterin setzte sich Irina im autokratisch regierten Belarus für den Aufbau von umfangreichen Präventionsprogrammen und Schutzstrukturen für Betroffene ein. Darüber hinaus initiierte sie Runde Tische mit Behörden und Frauenrechtsverteidiger*innen, um Menschenhandel in Belarus zu bekämpfen und die Rechte Betroffener zu stärken. 2010 gründete Irina zusätzlich die belarusische NGO Gender Perspectives. Es ging ihr darum, Geschlechterdemokratie in Belarus zu fördern und Programme zu entwickeln, die Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt unterstützen. Beide NGOs sind mittlerweile in Belarus verboten.

Darya Afanasyeva ist eine der wenigen feministischen Bloggerinnen mit einer für Belarus enormen Reichweite von mehr als 10.000 Follower*innen. Unter dem Namen Dafne bloggt sie zu Themen wie Sexismus und feministischer Literatur und erklärt feministische Theorien einer breiten belarusischen Öffentlichkeit. In Folge der Proteste gegen den Wahlbetrug und der zunehmenden Repressionen gegen demokratische Kräfte wurde Darya wegen Verletzung öffentlicher Ordnung zu 2,5 Jahren Straflager und Zwangsarbeit verurteilt. Sie wurde in der berüchtigten Frauenstrafkolonie Nr. 4 in Gomel eingesperrt, in der auch die Bürgerrechtlerin Maryia Kalesnikava in Isolationshaft festgehalten wird. Im März 2024 wurde Darya aus der Haft entlassen. Es gelang ihr, unmittelbar danach nach Polen zu fliehen. Sie bloggt weiter zu feministischen Themen, aktuell zur Situation von Frauen in Straflagern in Belarus.

Julias, Irinas und Daryas feministischer Aktivismus sowie ihre Entschlossenheit und Resilienz gegenüber brutaler staatlicher Verfolgung und Gewalt stehen beispielhaft für die universellen Erfahrungen und Widerstände von Frauen* in autokratischen Regimen.

Als Feministinnen, Aktivistinnen und als Bloggerin sprechen Darya, Irina und Julia über geschlechtsspezifische Themen wie Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen*, auch wenn sie dadurch zur Zielscheibe transnationaler Repressionen werden und nach wie vor großen Risiken ausgesetzt sind. Das Regime in Belarus unterdrückt und bedroht auch ins Exil geflohene Dissident*innen und solche, die bereits in der Diaspora leben.

Julia, Irina und Darya repräsentieren und vereinen durch ihre unterschiedlichen Formen des politischen Engagements verschiedene Generationen von frauenpolitischem Aktivismus. Sie nutzen digitale Aktions- und Organisationsformen, bauen geschützte Räume für gewaltbetroffene Frauen auf und setzen sich für politische Beteiligung und Mitsprache von Frauen ein. So führen sie das Engagement der Namensgeberin des Preises, Anne Klein, fort und entwickeln neue Formen.

Darya, Irina und Julia stehen für den besonderen Geist des feministischen Engagements der Demokratiebewegung rund um die Präsidentschaftswahlen in Belarus 2020. Nach dem Wahlbetrug Lukaschenkos führten Frauen die Freiheits- und Demokratiedemonstrationen im Sommer 2020 in Belarus an, die fast eine Millionen Bürger*innen (bei neun Millionen Einwohner*innen) mobilisierten. Hunderte Menschen sitzen immer noch teils drakonische politische Haftstrafen unter unmenschlichen Bedingungen ab. Darya, Irina und Julia liefen bei diesen Protesten nicht in der ersten Reihe mit und konnten dennoch den Repressalien und der Gewalt, die darauf folgten, nur durch das Exil entkommen. Darya Afanasieva gelang dies erst nach einer mehr als zweijährigen Lagerhaft.

Im Januar 2025 wird das Regime eine neue Präsidentschaftswahl in Belarus inszenieren. Keinerlei Opposition wird hier zugelassen sein. Unabhängige Medien und Zivilgesellschaft gibt es nicht mehr. Es wird auch von der Reaktion der deutschen und europäischen Öffentlichkeit und Politik abhängen, ob diese „Wahl“ zu einer Quelle neuer Legitimität Lukaschenkos genutzt werden kann. Die Verleihung des Anne-Klein-Frauenpreises 2025 will hier ein Zeichen setzen, Solidarität mit den verfolgten Freiheitskämpfer*innen aus Belarus zu zeigen und Respekt für die Fortsetzung des Engagements der drei Preisträgerinnen für ein freies und geschlechtergerechtes Belarus in einem demokratischen Europa ausdrücken. 



Kontakt 

Ulrike Cichon
E-Mail: cichon@boell.de
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