Clara Wellhäußer, Europa-Universität Flensburg

Die geschlechtliche Selbstbestimmung in staatlichen Zwangseinrichtungen

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Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Dritten Option [1] bildet eine Zäsur für das Verständnis von Geschlecht im deutschen Recht. Das BVerfG stellt klar, dass die staatlich erzwungene Zuordnung aller Menschen als „männlich“ und „weiblich“ gegen das Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung jener Menschen verstoße, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen. Alle Menschen haben das Recht, vom Staat in ihrem geschlechtlichen So-Sein anerkannt zu werden.

In Umsetzung dieses Beschlusses folgte 2018 die Einführung der Dritten Option im Personenstandsgesetz. Seither ist es möglich den Geschlechtseintrag „divers“ zu führen. 2024 trat das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, wodurch die Änderung des Geschlechtseintrages mit einfacher Erklärung vor dem Standesamt für alle Personen möglich ist.

Obwohl das BVerfG bereits 2017 darauf hinwies, dass die Einführung einer Dritten Option weitere Gesetzesänderungen nach sich ziehen müsse[2], ist die Gesetzgebung bisher kaum aktiv geworden. Es bestehen bis heute viele Normen, die binäre Begriffe wie „männlich“ und „weiblich“ verwenden[3]. Diese Normen regeln den Umgang mit nicht-binären Personen nicht.

Von besonderem Interesse sind Situationen, in denen sich Menschen unfreiwillig befinden. Zwingt der Staat Personen in seine Obhut, stellen sich diese Situationen als besonders grundrechtsinvasiv dar. Aus juristischer Sicht stellen sich die Fragen des Grundrechtsregimes in diesen Verhältnissen sowie des Erfordernisses formell-rechtlicher Regelungen entsprechend der Wesentlichkeitstheorie.

Die zentralen Fragen meiner Promotion sollen deswegen sein, inwiefern es gerade in solchen staatlichen Zwangssituationen verfassungsrechtlich geboten ist, dass der Staat alle Menschen in ihrem geschlechtlichen So-Sein anerkennt, ob diese Anerkennung auch formell-gesetzlich geregelt sein muss und welche inhaltlichen Anforderungen sich für diese Regelungen ergeben.

Diese Forschungsfrage beantworte ich in meiner Arbeit mithilfe unterschiedlicher methodischer Zugriffe: Zwei Fallstudien zum Strafvollzug und zur Pflichtschule dienen mir zur vertieften Untersuchung dieser Regelungsbereiche. Als Vorarbeit und im Rahmen dieser Fallstudien arbeite ich klassisch (verfassungsrechts-)dogmatisch. Innerhalb jeder der beiden Fallstudien findet ein Binnenrechtsvergleich der 16 landesrechtlichen Regelungsregime statt. Am Ende der Forschungsarbeit steht ein Vergleich der beiden Fallstudien bezüglich ihrer Gemeinsamkeiten sowie Schlussfolgerungen, die sich daraus für alle staatlichen Zwangseinrichtungen und darüber hinaus ziehen lassen.


[1]: BVerfGE 147, 1 - 30.

[2]: BVerfGE 147, 1 - 30, Rn. 54.

[3]: Beispielhaft § 4 I JVollzGB I BW: „Frauen sind getrennt von Männern in besonderen Justizvollzugsanstalten für Frauen oder in getrennten Abteilungen in Justizvollzugsanstalten für Männer unterzubringen.“