Agroforstsysteme als soziale Innovation: Koproduktion eines strukturellen Verständnisses von Erfolgsbedingungen für sozialökologische Transformation im ländlichen Raum am Beispiel der Agroforstwirtschaft
Zunehmend zeichnet sich ab, dass sich ein Großteil der derzeitigen Agrarökosysteme Mitteleuropas in einem ökologisch fragilen Zustand befindet und sich gegenüber bereits starker Klimaveränderungen und drastischer Biodiversitätsverluste langfristig nicht behaupten wird. Die Notwendigkeit eines (u.a. vom WGBU 2011 geforderten) grundlegenden sozialökologischen Wandels erfordert zukunftsgerichtete Systeminnovationen, die den langfristigen und multiplen Herausforderungen sowohl durch Bekämpfungs- als auch Anpassungsmechanismen begegnen. Ein mögliches Modellsystem ist die moderne Agroforstwirtschaft (AFW): die Integration von Gehölzen in landwirtschaftliche Produktionssysteme.
Viele Studien haben ihr Innovationspotenzial für Landwirtschaft und Naturschutz bereits belegt. Auch ihre Berücksichtigung im Förderrecht der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ab 2023 bezeugt einen ersten Paradigmenwechsel hin zu mehr Gehölzstrukturen in den Agrarlandschaften. Dennoch bleibt der weiträumige Einzug der AFW in diese bisher aus. So wurden die Flächenziele für die Ökoregelung 3 „Agroforst“ deutlich verfehlt (BMEL, 2023). Da die variierende Rentabilität der AFW nicht als alleiniges Hemmnis die fehlende Umsetzung erklären kann, stellt dieses Promotionsvorhaben die Frage nach weiteren, entscheidungsprägenden Gelingensbedingungen für Lösungen in der AFW.
Zu diesem Zweck betrachtet das Promotionsvorhaben die weiträumige Etablierung von Agroforstsystemen als soziale Innovationen, die als Lösungen verstanden werden, die ein soziales oder ökologisches Problem lösen, indem sie neue Arten der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen sozialen Akteur*innen schaffen (Milley et al., 2018). Soziale Innovationen spielen hier eine Schlüsselrolle und können im Hinblick auf die Zivilgesellschaft interpretiert werden, etwa als neue Verhaltens- und Konsummuster (Howaldt, Kopp & Schwarz 2014), sowie als Organisation von Nischeninteressen (Geels, 2011) und politisch (d. h. Governance-Strukturen) durch neue Organisationsformen und neue Vorschriften (Zapf, 1994). Zivilgesellschaftliche und institutionelle Akteur*innen können als relevante Schlüsselakteur*innen interpretiert werden, die durch ihre Schlüsselrolle sozialen Wandel beeinflussen können (Kristof, 2010).
Aus der Perspektive der sozialen Innovation und unter Berücksichtigung der Analyse sozialer Netzwerke soll dieses Promotionsvorhaben klären, wie Agroforstwirtschaft als soziale Innovation verstanden werden kann, welche Akteur*innen den Innovationsprozess vorantreiben, indem sie welche Rollen übernehmen, und welche strukturellen Gelingensbedingungen sozialer Netzwerke die Entwicklung sozialer Innovationen am Beispiel der Agroforstwirtschaft fördern oder behindern. Konkret soll ein innovativer Beitrag geleistet werden, um (a) die subjektiven Perspektiven der Schlüsselakteur*innen auf die Umsetzung der Agroforstwirtschaft in Nordrhein-Westfalen (WP1 und 3) besser zu verstehen; (b) auch Citizen Scientists zu ermöglichen, relevante Schlüsselakteur*innen für ihren eigenen sozialen Innovationsprozess von „bottom-up“ zu identifizieren, indem eine umfassende Methoden-Toolbox erprobt und veröffentlicht wird (WP2); und (c) Schlüsselaspekte auf GovernanceEbene für die weiträumige Umsetzung von Agroforstsystemen in den Bundesländern von Deutschland zu untersuchen (WP4). Dieses Projekt wird von der übergreifenden Frage geleitet: „Wer und was wird benötigt, um Agroforstwirtschaft als soziale Innovation in Deutschland weiträumig umzusetzen?“
Quellen
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (2023). Neue GAP: Förderung gut angenommen, Zurückhaltung bei Ökoregelungen. Abgerufen am 05.01.2025 von https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/072-gapoekoregelungen.html
Geels, Frank W. (2011). The role of cities in technological transitions, Analytical clarifications and historical examples. In Cities and Low Carbon Transitions, Hrsg. H. Bulkeley, V. Castán Broto, M. Hodson und S. Marvin, 13–28. Oxon: Routledge.
Howaldt, Jürgen, R. Kopp, und M. Schwarz. (2014). Zur Theorie sozialer Innovationen – Tardes vernachlässigter Beitrag zur Entwicklung einer soziologischen Innovationstheorie. Weinheim, Basel: Beltz Verlag.
Kristof, K.. 2010. Models of Change. Einführung und Verbreitung sozialer Innovationen und gesellschaftlicher Veränderungen in transdisziplinärer Perspektive. Zürich: vdf Hochschulverlag AG.
Milley, P., Szijarto, B., Svensson, K., & Cousins, J. B. (2018). The evaluation of social innovation: A review and integration of the current empirical knowledge base. Evaluation, 24(2), 237-258.
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umwelt (WBGU) (2011). Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation: Zusammenfassung für Entscheidungsträger. ETH Zurich.
Zapf, W. (1994). Modernisierung, Wohlfahrtsentwicklung und Transformation: soziologische Aufsätze 1987 bis 1994. Berlin: edition sigma.