Rama 4.0: Pro Europa - pro Demokratie?

Analyse

Die Hoffnung wird knapper in Albanien. Die Emigration setzt sich ununterbrochen fort. Aber den Wunsch, dass ihr Land endlich in Europa ankommt, das wollten sich die Albaner*innen bei den Parlamentswahlen am 11. Mai nicht nehmen lassen. 

Eine Albanien-Flagge, die auf einer Burg auf einem Berg weht, Stadt im Hintergrund.

Neun Tage nach den Parlamentswahlen am 11. Mai 2025 war in Albanien die Auszählung der Stimmen – einschließlich der Diaspora – offiziell abgeschlossen. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: Die sozialistische Partei (Partia Socialiste, PS) unter der Führung von Edi Rama ist die klare Siegerin. Sie konnte ihre Position nicht nur behaupten, sondern noch weiter ausbauen und steigerte ihren Stimmenanteil signifikant von 48,5 Prozent auf über 52 Prozent und die Zahl ihrer Abgeordneten in der Volksvertretung mit insgesamt 140 Sitzen von 74 auf 83. Damit steht eine vierte Amtszeit für Premier Edi Rama fest, der seit 2013 das Land regiert.

Die Schwäche der Opposition und die Instrumentalisierung der Macht

Ramas Erfolg basierte zu einem guten Teil auf der Schwäche und Zersplitterung der Opposition. Die größte Oppositionspartei (Demokratische Partei, DP), die sich kurz nach den Parlamentswahlen von 2021 in eine tiefe innerparteiliche Krise stürzte und in verfeindete Fraktionen zerfiel, trat zur Wahl unter der erneuten Führung von Ex-Premierminister und -Präsident Sali Berisha an und erlitt eine schwere Niederlage. Sie konnte lediglich 34 Prozent der Stimmen – statt wie damals noch knapp 40 Prozent –  auf sich vereinen und errang nur noch 50 statt 59 der Parlamentssitze. Damit zeigten sich die Grenzen der Boykottpolitik und des zunehmend nationalistischen und rechtpopulistischen Diskurses von Berisha, der in der Hoffnung auf einen Wahlsieg unter der Beratung von Donald Trumps Wahlkampfmanager auf eine „Great Albania“-Politik umschwenkte.

Auch die neu formierten kleinen Parteien blieben deutlich hinter den Erwartungen zurück. Zwar traten sie mit frischen Gesichtern, lokalen Themen und dem Anspruch an, eine Alternative zur etablierten Politik zu bieten – doch konnten sie sich nicht von dem bereits tradierten Muster der albanischen Politik distanzieren: der Instrumentalisierung zivilgesellschaftlichen Engagements zur individuellen politischen Profilbildung. Ihnen fehlte es an einem breiteren programmatischen Fundament und an stabilen innerparteilichen Strukturen. Es gelang ihnen nicht, die Wähler*innen davon zu überzeugen, dass sie für mehr stehen als dafür, dass gut ausgebildete, engagierte Persönlichkeiten ihre Tätigkeit in der Zivilgesellschaft als Sprungbrett in die formale Politik nutzen – mit dem wahrscheinlichen Ergebnis der Anpassung an bestehende Machtstrukturen, wodurch der Status quo eher gestützt als in Frage gestellt wird.

Wie die internationalen Wahlbeobachter unter Führung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierten, spielte auch der „Missbrauch öffentlicher Ressourcen und institutioneller Macht durch die Regierungspartei“ eine Rolle im Wahlkampf zum Vorteil Edi Ramas.

Europa als Wahlversprechen

Der entscheidende Faktor hinter diesem trotzdem ansehnlichen Erfolg Ramas war jedoch sein politisches Gespür für den stärksten politischen Wunsch der Albaner*innen im Land und in der Diaspora, nach dem Beitritt in die EU. Tatsächlich befürworten über 90 Prozent der Bevölkerung einen Beitritt ihres Landes in die EU – ein so hoher Anteil wie in keinem anderen Land des Westbalkans. Vor diesem Hintergrund setzte Edi Rama seine ganze Energie im Wahlkampf auf eine pro-europäische Ausrichtung Albaniens. In einer politischen Landschaft, die oft von Skepsis und Lagerdenken geprägt ist, gelang es ihm, eine breite bürgerliche Mehrheit hinter sich zu versammeln – jenseits klassischer Parteipräferenzen. Er stilisierte die Wahl zu einer Schicksalsentscheidung, um gleichberechtigte Bürger Europas zu werden, und versprach nichts weniger als den EU-Beitritt Albaniens bis 2030 herbeizuführen - also in knapp fünf Jahren.

Der deutliche Wahlausgang zeigt, wie sehr das europäische Projekt für viele Albaner*innen zur nationalen Priorität geworden ist. Die Wahl war weniger ein Votum für eine Partei als für ein Ziel: den Kurs Richtung Europa nicht zu verlassen. Ramas Erfolg ist damit vor allem Ausdruck eines kollektiven politischen Willens, Albanien fest im europäischen Zukunftsversprechen zu verankern.

Albanien kann sich in diesem Kontext als ein Vorreiter der EU-Integration in der Region Westbalkan etablieren und genießt als verlässliches Nato-Mitglied zunehmend mehr internationale Anerkennung.

Ramas Strategie, sich als visionären Politiker der euro-atlantischen Integration Albaniens zu inszenieren, steht dabei außenpolitisch nicht im luftleeren Raum. Seine Unterstützung für den außenpolitischen Kurs der EU wird vor dem Hintergrund der geo- und sicherheitspolitischen Lage seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch von Seiten der EU regelrecht zelebriert. Die langersehnten Beitrittsgespräche der EU mit Albanien haben Mitte 2022 offiziell begonnen. Albanien kann sich in diesem Kontext als ein Vorreiter der EU-Integration in der Region Westbalkan etablieren und genießt als verlässliches Nato-Mitglied zunehmend mehr internationale Anerkennung.

Die verschlafene Hauptstadt Tirana ist zur Bühne hochrangiger internationalen Foren – von EU-Westbalkan-Gipfeln über Treffen im Rahmen des Berlin-Prozesses bis hin zum Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft – und bilateraler Spitzenbegegnungen geworden. Auf der diesjährigen Internationalen Tourismusbörse in Berlin war Albanien offizielles Gastland und beeindruckte die Besucher mit seiner Vielfalt. Dass beide Seiten tatkräftig an einem Imagewandel Albaniens arbeiten, ist sehr zu begrüßen und ist zweifellos ein notwendiger Schritt für das Zusammenwachsen Europas. Doch trotz des derzeit positiven Anscheins der EU-Integration Albaniens bleibt die Frage bestehen, ob es sich dabei nicht um eine scheinheilige Entwicklung handelt.

Europäisierung Albaniens: Eine scheinheilige Entwicklung?

Die größten Probleme der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Albaniens rühren daher, dass die Strukturen immer noch durch einen schwachen Staat und eine schwache (Zivil-)Gesellschaft gekennzeichnet sind. Gesellschaftlich leidet das Land an einem starken Mangel an Humankapital durch die Auswanderung und Überalterung der Bevölkerung – eine Tendenz, die sich innerhalb der bisherigen Regierungszeit Ramas seit 2013 erheblich verstärkt hat. Seine autoritäre Politik schränkt die demokratischen gesellschaftlichen und politischen Entfaltungsräume ein, während sie sich wirtschaftlich im Wesentlichen auf den Immobilienboom konzentriert. Dies führt zur Schrumpfung von produktiven Sektoren, wie Industrie und Landwirtschaft. Auf der Seite des Staates fehlen auf allen Ebenen adäquate Kapazitäten in der öffentlichen Verwaltung und es mangelt an öffentlicher Infrastruktur, vor allem im Bereich der Gesundheit, Bildung, Verkehr, Wohnen, Familie, Soziales und Kultur, –  eine Herausforderung, die im Kontext des fehlenden Humankapitals immer schwieriger zu begegnen ist.

Vor diesem Hintergrund hat die EU-Annäherung in Albanien die Tendenz, zu einem Boom von umstrittenen Infrastruktur- und touristischen Projekten (z.B. das Flughafenprojekt innerhalb des Naturschutzgebiets Vjosa-Narta) und bilateralen Deals (z.B. die Vereinbarung über exterritoriale italienische Aufnahmezentren für Migranten auf albanischem Boden) zu verkümmern, die ohne Einbeziehung der lokalen Bevölkerung beschlossen werden. Diese schränken nicht nur die Bevölkerung in ihren Grundrechten und natürlichen Lebensräumen ein, sondern bedrohen direkt Naturschutzgebiete und die große biologische Vielfalt, die Albanien kennzeichnet und eine der größten Ressourcen des Landes ist.

Hybride Demokratie als Risiko

Für die EU sollte klar sein: der Integrationsprozess des Landes in die EU sollte entschieden unterstützt werden. Damit darf aber keine Inkaufnahme eines hybriden, halb-demokratischen Regimes verbunden sein, das formale demokratische Institutionen mit autoritären Praktiken verbindet. Ein solches Regime stellt für Albanien selbst, für die regionale Stabilität und für die EU ein erhebliches Risiko dar.

Zum Warenkorb hinzugefügt: