Für die Studie Strukturen des Fortschritts. Die grüne Regierungspolitik in der Ampel-Koalition hat der Politikwissenschaftler Arne Jungjohann Verfahren und Erfahrungen von Bündnis 90/Die Grünen untersucht. Wir sprachen mit ihm über seine Erwartungen und über den grünen Regierungsstil.

Die Studie Strukturen des Fortschritts ist die erste Studie, die sich mit dem Handeln der politischen Akteur*innen in der Ampel-Koalition beschäftigt. Welche Fragen haben Sie getrieben?
Mich hat interessiert, ob es eine grüne Handschrift des Regierens gibt. Als Bündnis 90/Die Grünen 1998 im Bund erstmals mitregierten, ging vieles durcheinander. Der Politikwissenschaftler Joachim Raschke schrieb damals ein Buch mit dem treffenden Titel „So kann man nicht regieren.“ Mich hat interessiert: Wie machen es die Grünen gut 20 Jahre später? Sind Lerneffekte sichtbar? Nachdem ich vor einigen Jahren mit dem Projekt Grün Regieren schon die grüne Regierungspraxis in den Ländern untersuchte, war mir klar, dass ich nun die Ampel auswerten wollte.
Wie sind Sie vorgegangen, mit wem haben Sie gesprochen?
Mir war wichtig, die Abläufe in der Koalition aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten: aus dem Regierungsapparat selbst, aber auch aus dem Bundestag, dem Bundesrat und der grünen Parteizentrale. Dabei wollte ich nicht nur mit dem politischen Spitzenpersonal sprechen, sondern auch mit leitenden Köpfen der Mitarbeiterebene. Am Ende interviewte ich 32 Personen, die an relevanten Stellen für die Grünen und in der Koalition tätig waren. Der Zugang zu diesen Protagonisten ermöglichte es, zum inneren Kern von Regierungshandeln, Koalitionsdynamik und Parteipolitik vorzudringen. Für die Interviews galt die Zusage, keine direkten Zitate zu verwenden und die Dinge so darzustellen, dass Sachverhalte nicht auf eine einzelne Person zurückverfolgt werden können. In der Studie finden sich deshalb keine Quellen für aus Interviews gewonnenen Information.
Womit haben Sie gerechnet?
Mir war vor dem Start des Projektes schon bewusst, dass der Regierungsalltag komplex ist und von Hektik geprägt ist. Wie aufwendig aber die internen Koordinierungs- und Abstimmungsprozesse sind, war mir nicht klar. Die Koalitionspartner betrieben einen enormen Aufwand, um sich abzustimmen und Kompromisse zu finden. Viele Verfahren bauten auf etablierten Formaten auf, die jede Koalition nutzt, wie zum Beispiel der Koalitionsausschuss. Die Ampel schneiderte sich ihr Koalitionsmanagement aber passgenau zurecht und legte eigene innovative Instrumente auf, wie das Vorhabenclearing und das Vorkabinett.
Können Sie die beiden zuletzt genannten Instrumente kurz erklären?
Das Vorhabenclearing war eine zusätzliche Schleife zwischen Kanzleramt, Wirtschafts- und Finanzministerium. Damit versuchten die Koalitionäre frühzeitig Einvernehmen über die grundsätzliche Ausrichtung eines Gesetzentwurfes innerhalb der Regierung herzustellen. Das gelang zwar oft, verhinderte aber nicht, dass sich die Koalitionsfraktionen später auf offener Bühne stritten. Die Vorgängerregierung nutzte mit der Frühkoordinierung ein ähnliches Instrument, gleichwohl dieses eher als Kontrollmechanismus des Bundeskanzleramtes aufgesetzt war. Das Vorkabinett der Ampel war dem formalen Kabinett am Mittwoch vorgeschaltet. Mitarbeitende hatten keinen Zugang. Es stellte einen Vertrauensraum dar, in dem sich der Bundeskanzler und seine Ministerinnen und Minister in vertraulicher Runde austauschen konnten.
Was hat Sie bei der Arbeit an der Studie überrascht?
Das vorzeitige Aus der Ampel. Es hat meine Jahresplanung gehörig durcheinandergewirbelt und den Redaktionsschluss um einige Monate nach vorn katapultiert. Überrascht hat mich auch, wie unterschiedlich mir Abläufe und Gremien in ihrer politischen Relevanz und Funktion beschrieben wurden.
Wie bewerten Sie das Vorgehen der Grünen in der Ampel?
Die Grünen haben die Regierungszeit in der Ampel-Koalition dafür genutzt, das Land zu modernisieren. Sie haben Deutschland in Rekordzeit unabhängig von russischen Pipelinegas gemacht, den Turbo für Wind- und Solarkraft gezündet, das Deutschlandticket eingeführt und die größte Naturschutzoffensive aufgelegt, die das Land je gesehen hat. All das haben die Grünen erreicht, weil sie ein professionelles Politikhandwerk betreiben, das zwar nicht perfekt, aber durchaus wirksam ist.
Gibt es so etwas wie "Grünes Regieren"? Was zeichnet es aus?
Die Grünen haben einen erkennbar eigenen Regierungsstil. Er ist geprägt von handwerklicher Solidität, einer breiten Führungsstruktur und einer hohen Lernbereitschaft. Mit dem Start der Ampel passten die Grünen ihre eigenen Strukturen an, zumindest die informellen. Dabei gingen sie pragmatisch vor. Klappte etwas nicht, wurde es wieder eingestampft. Das ist ein Beleg für Flexibilität und Ausdruck von Lernbereitschaft.
Welche Lerneffekte haben Sie noch ausgemacht?
Viele der Regeln, die Koalitionsregierungen nutzen, sind nirgends fixiert. Sie verändern sich ständig. Und die besten Vereinbarungen über Prozesse nutzen nichts ohne ein Mindestmaß an Vertrauen zwischen den Beteiligten. Denn es gibt keinen Schiedsrichter. Vertrauen und Zuverlässigkeit sind die Grundlage konstruktiver Zusammenarbeit. Das braucht es, um mit Differenzen umzugehen. Torpediert dein Koalitionspartner den zuvor schmerzhaft ausverhandelten Kompromiss am nächsten Tag, hilft dir das beste Koalitionsmanagement nicht.
Die Fragen stellte Vera Lorenz.