Als am 22. Juni 2025 amerikanische Bomben auf die iranischen Atomanlagen in Fordow, Natanz und Isfahan fielen, rückte das schwierige Thema nukleare Bewaffnung und Proliferation für einen kurzen Moment wieder in die öffentliche Debatte in Deutschland. In Ost-Asien hingegen ist die Diskussion über die Bombe ein Dauerbrenner.

Südkorea und Japan, zwei Länder, die genau wie Deutschland in einer Nachkriegsordnung unter dem nuklearen Schutzschirm der Pax Americana zu wirtschaftlichen Schwergewichten heranreifen konnten, sind Länder, in denen sich traditionell die Frage nach nuklearer Bewaffnung verboten hat. Zwar wurde das Thema immer mal wieder von Nationalisten aufgegriffen und in Korea durchaus auch mal mit konkreteren Schritten unterlegt, aber grundsätzlich galt: Wir vertrauen auf Washington! Japan mit seiner pazifistischen Verfassung, hatte sich dazu seit 1967 den drei nicht-nuklearen Grundprinzipien (auf Grundlage einer Parlamentsentscheidung, keines Gesetzes) - kein Besitz, keine Produktion und keine Stationierung von Nuklearwaffen – verschrieben. Zumindest Letzteres ist etwas, was einige Experten durchaus gern zur Disposition gestellt sähen.
Bröckelnde Sicherheitszusagen seitens der USA
Nun sind bekanntlich amerikanische Sicherheitszusagen nicht mehr das, was sie vielleicht mal waren. Und schon in besseren Zeiten formulierte man das nukleare Dilemma, das Atom-Waffen, die ein fremder Staat zum Schutz fremden Territoriums einsetzen muss, nicht den gleichen Grad an Sicherheit bieten, wie eine eigene Bewaffnung. Würde ein US-Präsident im Ernstfall wirklich einen Nuklearschlag auf Chicago riskieren, um einen Angriff auf Seoul zu rächen? In einer Trump-Welt aber, in der der US-Präsident Allianzen im schlechtesten Fall als lästige Bindung amerikanischer Macht, im besten Fall noch als eine Bietergemeinschaft für den höchsten amerikanischen Profit zu sehen scheint, ist daher in Ost-Asien, genau wie in Europa, die Frage nach der eventuellen Notwendigkeit eigener nuklearer Bewaffnung wieder auf der Tagesordnung.
Anders als Südkorea, zählt Japan dabei sogar zu den nuklearen Schwellenländern, also Ländern, die theoretisch über sogenannte nukleare Latenz, d.h. das Wissen und die Technik verfügen, die jederzeit den Bau einer Waffe ermöglichen würden.
Beide Länder sind starke Befürworter und Exporteure der zivilen Nutzung von Nukleartechnologie. Anders als Südkorea, zählt Japan dabei sogar zu den nuklearen Schwellenländern, also Ländern, die theoretisch über sogenannte nukleare Latenz, d.h. das Wissen und die Technik verfügen, die jederzeit den Bau einer Waffe ermöglichen würden. Dies beinhaltet die Anreicherung waffenfähigen Urans. Südkorea ist hingegen durch ein sogenanntes bilaterales 123-Abkommen mit den USA vertraglich daran gebunden, ohne Zustimmung keine Urananreicherung über 20 Prozent oder eine Wideraufbereitung von Plutonium vorzunehmen. Eine Ungleichbehandlung zu Japan, die seit längerer Zeit von Seite südkoreanischer Konservativer beklagt wird. Hier gleichzuziehen, würde nicht den Nuklearwaffensperrvertrag (NPT) verletzen und Seoul gleichzeitig erlauben, in Zeiten, in denen amerikanische Sicherheitsgarantien brüchig geworden sind, eine zusätzliche Form der Abschreckung in der Hinterhand zu halten. Die sogenannte Breakout-Time wird für Japan auf nur wenige Monate geschätzt, für Korea aber auf zwei bis drei Jahre. Gleichzeitig stiege allerdings das Risiko, dass Russland oder Nordkorea im Versuch Südkorea von der Entwicklung der Bombe abzubringen zu einem Präventivschlag, ähnlich dem im Iran, bereit sein könnten.
Internationale Isolation als Preis nuklearer Bewaffnung?
Während in Japan, schon aufgrund der gemachten Erfahrung aus Hiroshima und Nagasaki, ein Großteil der Bevölkerung jegliche nukleare Bewaffnung ablehnt, bekennen sich in koreanischen Umfragen regelmäßig bis zu 75 Prozent der Befragten zu einer solchen Option. Auch wenn das Thema in den Debatten immer wieder auftaucht, so war bisher klar, dass Korea, welches militärisch noch mehr von den USA abhängig ist, als Deutschland, den Schritt hin zu einer atomaren Bewaffnung nicht vollziehen würde. Experten glauben, dass die hohe Zustimmung in der Bevölkerung vor allem aus einer Verkennung der Konsequenzen herrühre: Koreas Ausstieg aus dem NPT würde das Land auf einen Schlag zum Paria machen, Sanktionen der USA und der EU könnten die Folge sein. Gleichzeitig würde das vitale Verteidigungsbündnis mit den USA Schaden nehmen. Wenn man der Öffentlichkeit diese Konsequenzen vor Augen führte, dass der Preis nuklearer Bewaffnung internationale Isolation wäre, würden sich, so glauben die Wissenschaftler, die meisten dagegen entscheiden. Nur: in Zeiten der Trumpschen Brechstangen-Diplomatie ist der Automatismus solcher Folgen möglicherweise gar nicht mehr ausgemacht. Washington könnte mittelfristig durchaus ein Interesse daran haben, dass sich die nukleare Abschreckung der beiden Verbündeten vis a vis China erhöht.
Anders als in Europa, scheinen die USA daran – ganz unabhängig von der Nuklearfrage – bisher weder in Korea und Japan verstärktes Interesse zu haben.
Dazu kommt für Seoul die Tatsache, dass die USA wenig Zweifel daran lassen, dass im Fall eines Regionalkonflikts mit China, die Einhegung Nordkoreas nicht die Priorität für amerikanische Truppen in Korea (USFK) sein wird. Für Seoul hingegen, dessen neue Regierung immer noch versucht zwischen den USA und China zu lavieren, bleibt Nordkorea die primäre Bedrohung. Vielleicht wäre es da doch gut, etwas mehr Eigenständigkeit in Verteidigungsfragen zu gewinnen? Anders als in Europa, scheinen die USA daran – ganz unabhängig von der Nuklearfrage – bisher weder in Korea noch in Japan verstärktes Interesse zu haben. Zwar hat der neugewählte südkoreanische Präsident Lee versprochen, eine höhere Autonomie des koreanischen Militärs von den USA anzustreben, noch immer aber liegt im Verteidigungsfall der Oberbefehl (Operational Control - OPCON) über koreanische Truppen beim amerikanischen Befehlshaber in Korea. Wie realistisch die Umsetzung dieses langgehegten Autonomiewunsches der koreanischen Linken ist, ist ungewiss. In den letzten Wochen hat die neugewählte koreanische Regierung das Thema jedoch wiederholt mit der Frage nach mehr nuklearer Beinfreiheit verknüpft, u.a. könnte es hier um Uran für den Bau von Atom-U-Booten gehen. Angesichts der globalen Verknüpfungen der südkoreanischen Wirtschaft mit den USA und der EU, immerhin nach Taiwan der zweitwichtigste Hersteller von Halbleitern, ist auch die Frage, wie hart eventuelle Sanktionen überhaupt ausfallen würden.
Für Pjöngjang hingegen dürften die Lehren aus dem Angriff auf den Iran klar sein – besonders nachdem amerikanische und israelische Stimmen die Schläge kurzfristig auch mit einem möglichen (wenn auch nicht-realistischen) Regime Change in Verbindung gebracht hatten: Nur nukleare Bewaffnung schützt vor dem Fall des Regimes durch amerikanische Intervention. Einerseits haben die USA durch den Schlag auf den Iran klargemacht, dass sie ggf. zu militärischen Schlägen bereit sind. Andererseits ist weiterhin unklar, ob selbst der massive US-Angriff ausreichend war, um das iranische Atom-Programm, um mehr als ein paar Monate zurückzuwerfen. Die nordkoreanischen Untergrundanlagen, bei deren Bau die iranischen angeblich Pate gestanden haben sollen, hätten im Falle einer Eskalation dann gar nicht so viel zu befürchten.
Atom-Verhandlungen mit Nordkorea: Trumps nächster Streich?
Während man sich in Pjöngjang also relativ entspannt zurücklehnen kann in Sachen Atomwaffen, ist die Nervosität in Seoul stärker. Man fürchtet, dass Trumps Geltungssucht, die ihn nach einem Friedensnobelpreis streben lässt, jetzt wo ein Frieden in der Ukraine unrealistisch erscheint und ein Abkommen mit dem Iran zumindest schwierig zu erreichen, ihn ggf. zu Verhandlungen mit Nordkorea führen wird. Das Regime in Gestalt von Kim Jong Uns Schwester hatte dazu zuletzt Offenheit signalisiert. Bedingung aber wäre, dass die USA Nordkorea als Atommacht anerkennen. Die Verhandlungen zu Trumps letzter Amtszeit waren sowohl an der amerikanischen Forderung nach einer vollständigen De-Nuklearisierung des Regimes, als auch an zu erwartendem Widerstand im Kongress gescheitert. Den Kongress hat Trump bekanntlich dieses Mal besser unter Kontrolle, trotzdem ist unklar, ob die USA zu einem solchen Deal bereit wären, gerade wenn dieser am Ende Trump schwach aussehen lassen könnte. Denn so ein Deal dürfte jetzt wesentlich schwieriger zu erreichen sein, als noch in Trumps erster Amtszeit. Der Druck auf das Regime hat durch die verstärkte Zusammenarbeit mit Moskau stark abgenommen – was kann Washington Mr. Kim anbieten, was das Regime nicht auch von den wiederentdeckten Freunden in Russland bekommen kann?
Für die USA würde allerdings weiterhin die Frage bestehen bleiben, wie Nordkorea an anderen Fronten agieren wird.
Trotzdem sieht man in Südkorea die Gefahr, dass Trump mit seinem „America First“-Ansatz zu Kompromissen bereit sein könnte. Ihn interessiert möglicherweise nicht so sehr, dass Nordkorea Atomwaffen besitzt, mit denen es Südkorea bedrohen kann, als viel mehr, ob es über die Trägersysteme verfügt, die die USA erreichen können. Trump könnte es daher schon als ausreichenden Verhandlungserfolg sehen, wenn der Norden einfach auf Interkontinentalraketen verzichtet. Die nordkoreanischen Atomwaffen wären dann v.a. ein Problem für Seoul und Tokyo, auch wenn sie weiterhin auch US-Basen in der Region bedrohen könnten. Für die USA würde allerdings weiterhin die Frage bestehen bleiben, wie Nordkorea an anderen Fronten agieren wird. Die fortgesetzte Entsendung von Truppen nach Russland spielt für Trump vielleicht keine so große Rolle, aber als möglicher Eskalations-Joker in einem Regionalkonflikt mit China bliebe auch ein post-Deal Nordkorea ein Risiko für die USA.
Die Diskussionen in Südkorea und Japan werden daher in der ein oder anderen Form weitergehen. Die Parallelen zur EU sind dabei unverkennbar. Einerseits braucht man mehr strategische Unabhängigkeit, andererseits bleibt eine völlige Unabhängigkeit von den USA, schon wegen konventioneller, aber umso mehr wegen atomarer Bewaffnung eine Illusion. Als notdürftige Alternativen bleibt nur das Verstärken der regionalen Zusammenarbeit (etwa zwischen Südkorea und Japan, aber auch mit Australien), als auch die Stärkung der internationalen Ordnung im Zusammenspiel mit den Europäern. Bei beiden diesen Strategien verbleibt erhebliche Luft nach oben.