Wie können demokratische Partizipation und Vertrauen in politische Prozesse gefördert werden? Diese Frage stand bei der diesjährigen Herbsttagung der Grünen Akademie im Mittelpunkt. Viel Hoffnung setzten die Teilnehmenden auf einen „neuen Republikanismus".
Die demokratische Stabilität ist derzeit in historischem Maße herausgefordert angesichts veränderter politischer Rahmenbedingungen, einer neuen geopolitischen Weltlage und schwindendem Vertrauen in Institutionen. Auf ihrer Frühjahrstagung 2025 hat die Grüne Akademie der Heinrich-Böll-Stiftung eine Debatte darüber initiiert, wie die liberale Demokratie in Deutschland gestärkt werden kann.
Diese Diskussion wurde auf der Herbsttagung fortgeführt. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie demokratische Partizipation und das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Prozesse gefördert werden können. Diese Aufgabe solle nicht als rein grünes Projekt verstanden werden, sondern alle Bürger*innen mitnehmen, so der Tenor. Für diesen gesamtgesellschaftlichen Aufbruch wurden drei zentrale Felder identifiziert: Erstens die Entwicklung eines „neuen Republikanismus“ mit einem sehr breit verstandenen und getragenen politischen Gemeinwesen. Zweitens die ökonomische, ökologische und politische Modernisierung des Landes. Drittens die zentrale Rolle eines handlungsfähigen Europas zur Stärkung der Republik.
Zwischen inidividueller Partizipation und gemeinsamer Verantwortung
Als Grundlage des Austauschs diente ein Impulspapier von Stefan Gosepath (FU Berlin & Beirat Grüne Akademie) und Peter Siller (BMWE & Grüne Akademie). Sie betonten den aktuellen Vertrauensverlust in der Zivilgesellschaft und dass mehr aktive Beteiligung ermöglicht werden müsse. Ziel sei nicht die Mitwirkung als „aktive*r Vollzeitbürger*in“. Vielmehr gehe es um eine Form der Partizipation, die sich in informierter Diskussionsbereitschaft und gemeinsamer Verantwortung äußere.
Franziska Brantner (Vorsitzende Bündnis 90/Die Grünen) kommentierte diese Impulse und skizzierte drei politische Handlungsfelder für ihre Partei: an einem funktionierenden Staat mitzuarbeiten, diskursive öffentliche Räume zu ermöglichen und Voraussetzungen für gesellschaftliche Teilhabe zu schaffen, etwa durch Bildung.
Im Anschluss vertieften die Mitglieder in drei parallelen Themenforen das Tagungsthema. Das erste Forum mit Ole Meinefeld (Grüne Akademie) und Felix Heidenreich (Universität Stuttgart) behandelte die praktische Umsetzung des neuen Republikanismus. Das zweite Forum widmete sich mit Anna Lührmann (MdB) und Michael Knoll (GASAG) den Herausforderungen einer zeitgemäßen Modernisierungspolitik. Im dritten Forum diskutierten Anton Hofreiter (MdB) und Janka Oertel (European Council on Foreign Relations) über die Anforderungen an ein handlungsfähiges Europa.
Suche nach Fortschrittsversprechen, das Menschen gewinnt
In der abschließenden gemeinsamen Debatte wurden die Themenstränge zusammengeführt. Rainer Forst (Goethe-Universität Frankfurt) erläuterte einleitend, wie sich ein neuer Republikanismus in die ideengeschichtliche Tradition einfügen könnte. Er stellte klar, dass dieser neue Republikanismus vor allem als Gegenstück zum Autoritarismus zu verstehen sei. Besonders intensiv wurde über das Verhältnis von Rechten und Pflichten der Staatsbürger*innen diskutiert. Anna Lührmann unterstrich, wie wichtig eine positive Modernisierungserzählung sei. Auch Anton Hofreiter betonte, dass ein Fortschrittsversprechen erforderlich sei, um die Menschen zu gewinnen.
In der Diskussion wurden zahlreiche Herausforderungen und Probleme benannt. Für dringende Modernisierungen wie den Klimaschutz fehlten Bündnispartner*innen, um tragfähige Mehrheiten zu bilden. Dafür müsse offen kommuniziert werden und die Bündnisse müssten im Praxistest überprüft werden bzw. müssten sich in der Praxis bewähren. Nur so könne dieses politische Vorhaben von Mehrheiten getragen und von überzeugten Akteur*innen umgesetzt werden.
Die Politik wiederum müsse dafür neue Prioritäten setzen und den vorpolitischen Raum gestalten wollen. Dies bedeute auch, in der örtlichen Community mitzuwirken und im Alltagsleben zu kommunizieren, um so eine politische Willensbildung zu fördern. Die große Frage sei: Kann aus Austausch und Alltagsbegegnungen die Basis für republikanisches Handeln erwachsen? Inwieweit müssen wir uns selbst Pflichten für die Republik auferlegen?
Der Staat zwischen Funktionsfähigkeit und Modernisierung
Eine weitere Herausforderung bestehe darin, den Modernisierungsrepublikanismus mit Leben zu erfüllen. Der Staat müsse weiterentwickelt werden, damit das Land funktioniere – und das angesichts verschiedener Spannungsfelder: der Diskrepanz zwischen Erwartungen an den Staat und der Funktionsfähigkeit öffentlicher Institutionen, der unvermeidlichen Zumutungen während der Modernisierung sowie des Zusammenspiels der verschiedenen föderalen Ebenen mit ihren jeweiligen Kompetenzen und finanziellen Mitteln. Und dazu gehörten nicht zuletzt auch die unterschiedlichen Perspektiven darauf, was das Gemeinsame in der Republik ausmache.
Würden die Ideen dieses neuen Republikanismus mit Leben und Beispielen gefüllt, liessen sie sich einfacher vermitteln und in den gesellschaftlichen Alltag übertragen. Die große Aufgabe bleibe: Der Ansatz müsse nicht nur gelebt werden. Es brauche auch Partner*innen – gerade solche aus anderen Milieus und mit anderen politischen Grundeinstellungen. Für ein funktionierendes Land könnten die Weichen für die Zukunft nur gemeinsam richtig gestellt werden.
Die Veranstaltung war der Einstieg in grundsätzliche Fragen zur Selbstverständigung für die grüne Strömung und das progressive Lager. Den Auftrag, einen Beitrag zur grundsätzlichen Orientierung zu leisten, wird die Grüne Akademie auch über die Herbsttagung hinaus verfolgen.