Die Begründung der Jury: Anne-Klein-Frauenpreis 2026

Ehrung

Die senegalesische Frauenrechtsaktivistin Awa Fall-Diop wird mit dem Anne-Klein-Frauenpreis 2026 ausgezeichnet. Als panafrikanische Feministin setzt sie sich seit Jahrzehnten für Geschlechtergerechtigkeit ein, oft geschah dies auch auf Kosten ihrer persönlichen Freiheit. Ob als Lehrerin, Gewerkschafterin, Mitgründerin zahlreicher Frauenrechtsorganisationen oder als Ministerin – ihr Feminismus gilt den Benachteiligten und baut Brücken zu den jungen Feministinnen Afrikas.

Awa Fall-Diop

Begründung der Jury

Awa Fall-Diops Lebensweg steht für den langen Aufbruch der Frauen Senegals zu Freiheit und Selbstbestimmung. Geboren noch vor der Unabhängigkeit 1956, wuchs sie in einem Arbeiterviertel Dakars auf – geprägt von Solidarität, aber auch von tief verwurzelten patriarchalen Strukturen. Sie erlebte früh geschlechtsspezifische Gewalt und Ausgrenzung und sah, wie ihre Mutter als Witwe verstoßen wurde – und es dennoch schaffte, als erste Frau ihres Viertels einen eigenen Haushalt zu führen. Dieses Aufwachsen mit Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen, prägte Awa Fall-Diops von klein auf.

Als junge Lehrerin engagierte sie sich früh in progressiven Bewegungen und initiierte eine Petition, die die Gleichstellung von Frauen im Sozialversicherungssystem forderte, damit auch Frauen und ihre Kinder den gleichen Schutz genießen wie männliche Arbeitnehmer. Die Kampagne gewann landesweit schnell an Dynamik, wurde von den Gewerkschaften übernommen und führte 1993 zu einer Reform des Sozialversicherungsgesetzes – ein historischer Schritt, begründet durch die unermüdliche Arbeit auch von Awa Fall-Diop.

Doch bald schon erkannte sie, dass Gesetze im Senegal allein noch keine wirkliche Gleichstellung schaffen und ging einen Schritt weiter. Ihr war aufgefallen, dass die Frauen in ihren Schulbüchern systematisch nur als Reinigungskräfte, Köchinnen, Mütter oder Tänzerinnen dargestellt wurden, während Männer als Schulleiter und Fachleute auftraten. So beschloss sie, das Bildungssystem von Stereotypen zu befreien. Sie gründete das Observatoire des Relations de Genre au Sénégal (ORGENS) und entwickelte geschlechtersensible Lehrpläne und Schulbücher, die vielfältige Rollenbilder vermitteln. Durch landesweite Schulungen zu Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit im Bildungswesen unterstützte sie Lehrkräfte dabei, Diskriminierung und Stereotype im Unterricht frühzeitig zu erkennen, zu hinterfragen und abzubauen. 1996 erhielt sie dafür den Ashoka Changemaker Award.

Neben ihrem Einsatz für Frauen im senegalesischen Bildungssystem wurde Awa Fall-Diop über die Jahre auch zu einer prägenden Stimme feministischer Bewegungen Westafrikas. Sie spielte eine wichtige Rolle bei der Gestaltung nationaler Strategien für Geschlechtergerechtigkeit und war maßgeblich an der Verabschiedung wegweisender Gesetze beteiligt – zur Geschlechterparität im Jahr 2010 sowie zur Strafbarkeit von Vergewaltigung und Pädophilie im Jahr 2020. Ihr Einfluss reicht auch über den Senegal hinaus: Über nationale Frauenrechtsnetzwerke wirkte sie an der Ausarbeitung des Maputo-Protokolls, der historischen Afrikanischen Charta der Rechte der Frau, mit.

Ihr jahrelanger Kampf für Emanzipation und Mitbestimmung hatte aber auch seinen Preis. Ihre öffentliche Forderung nach dem Rücktritt des Präsidenten Abdou Diouf brachten ihr eine zweimalige Haft, öffentliche Demütigungen und beinahe die Entlassung aus dem Staatsdienst ein. Ihre Ernennung zur Ministerin nach dem Wahlsieg des Oppositionsführers Abdoulaye Wade im Jahr 2005 war eine späte Anerkennung ihres Engagements. 

Heute gilt Awa Fall-Diop als eine renommierte Gender-Expertin des frankophonen Afrikas. Unerschrocken spricht sie Themen an, die weh tun, schockieren und bricht damit gesellschaftliche Tabus. Dabei gelingt es ihr, eine Brücke besonders zu jungen Feministinnen zu schlagen. Sie ermutigt die Jugend, den Feminismus aus der eigenen afrikanischen Geschichte der Befreiung zu erzählen. Für sie ist Afrika erst dann wirklich dekolonisiert, wenn auch Geschlechtergerechtigkeit auf dem Kontinent verwirklicht wird. Feminismus ist für Awa Fall-Diop keine Ideologie, sondern ein Mittel gegen Unterdrückung.

Die Jury des Anne-Klein-Frauenpreises ist tief beeindruckt von Awa Fall-Diops lebenslangem Mut in Institutionen, in der Politik und in gesellschaftlichen Bewegungen, um den Realitäten von Frauen und marginalisierten Gruppen Gehör zu verschaffen und überkommene Strukturen offen in Frage zu stellen. In einer Gesellschaft, in der die Feindseligkeit gegenüber Frauen zunimmt und konservative Normen neuen Zuspruch finden, bleibt Awa Fall-Diop kompromisslos feministisch. Sie stellt tief verankerte Narrative in Frage und fordert gesellschaftlichen Wandel – unbeirrt und trotz aller Widerstände.

Die Jury würdigt mit der Vergabe des 15. Anne-Klein-Frauenpreises an Awa Fall-Diop nicht nur die feministischen Kämpfe im Senegal und in ganz Westafrika, sondern bekräftigt, dass diese Bewegungen weder isoliert noch vergessen sind und dass ihr Kampf für Gerechtigkeit über die nationalen Grenzen hinaus, auch in Deutschland, Resonanz findet.

Der Jury des Anne-Klein-Frauenpreises gehören an: 

Dr. Imme Scholz, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung, Juryvorsitzende

Renate Künast, Bündnis90/Die Grünen

Sylvia Löhrmann, Staatsministerin a.D.

Prof. Dr. Michaele Schreyer, ehem. Vize-Präsidentin des Netzwerks Europäische Bewegung Deutschland, ehem. EU-Kommissarin

Jutta Wagner, Rechtsanwältin, ehemalige Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes

Berlin, den 08.12.2025


Kontakt 

Ulrike Cichon
E-Mail: cichon@boell.de
Fon: (030) 285 34-112

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