Werkausgabe Heinrich Böll: Ein editorisches Großprojekt

Im Jahr 2010 hat der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch das sein bis dahin aufwändigstes Verlagsprojekt vollendet: die 27-bändige kommentierte Werkausgabe des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll.

Seit 2002 wurden pro Jahr jeweils drei Bände mit sämtlichen zu Lebzeiten Heinrich Bölls publizierten Texten veröffentlicht. Und dies in gattungsübergreifender, der Chronologie ihrer Veröffentlichung entsprechender Reihenfolge. Die aus dem Nachlass erstmals veröffentlichten Texte wurden gemäß ihrer Entstehungszeit aufgenommen. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat dieses editorische Großleistung maßgeblich unterstützt.

Jeder Band enthält einen editorischen Anhang mit Informationen zur Textentstehung, zum zeitgeschichtlichen und biographischen Hintergrund sowie einen ausführlichen Stellenkommentar, der die zeitgeschichtlichen Verweise erläutert. Ein Personen- und Titelregister sowie ein Literaturverzeichnis schließen jeden Band ab.

Das Projekt einer kommentierten Werkausgabe Heinrich Bölls war von Anfang an auch ein Projekt der Heinrich-Böll-Stiftung. Schon vor dem eigentlichen Start zu der nun vorliegenden Ausgabe initiierte sie im Mai 1995 ein editionswissenschaftliches Kolloquium. An dieser Kölner Konferenz, die ohne die Unterstützung der Erbengemeinschaft Heinrich Bölls sowie des Heinrich-Böll-Archivs der Stadt Köln, namentlich ihres damaligen Leiters Viktor Böll, nicht zustande gekommen wäre, diskutierten die Herausgeber namhafter Großeditionen wie u.a. der Brecht-Ausgabe, der Ausgabe der Werke Heinrich von Kleists, die Herausgeber der Editionen von Günter Grass und Uwe Johnson die Anforderungen, denen eine Werkausgabe Heinrich Bölls gerecht werden müsste.

 Den nächsten Schritt und gleichsam den Auftakt zur Kölner Ausgabe in der nunmehr vorliegenden Form unternahm die Stiftung 1998 mit der Publikation der Broschüre Einem Autor folgen… Die in Kooperation mit der Erbengemeinschaft entstandene und im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienene Einführung zur Kölner Ausgabe präsentiert die Editionsprinzipen und demonstriert am Beispiel von zwei Probetexten den Aufbau des wissenschaftlichen Anhangs.

 Im Jahr 2001 folgten dann die maßgeblichen Schritte zur technischen Realisation der Ausgabe. Von der Herstellungsleitung des Verlags angestoßen und weitergeführt von zwei Informatikern der Universität Siegen, wurde eine spezielle Software entwickelt, die es ermöglicht, das gesamte erschlossene Korpus in einer umfangreichen digitalen Datenbank zu sichern und zur Grundlage für alle zukünftigen Ausgaben zu machen. Zudem stellte die an der Siegener Universität eingerichtete Arbeitsstelle eine zentrale digitale Arbeitsplattform zur Verfügung, die die Kommunikation zwischen den über verschiedene Länder verteilten Herausgebern erleichterte.

 Parallel dazu wurden von der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit dem Heinrich-Böll-Archiv der StadtBibliothek Köln, der Erbengemeinschaft und der Universität Siegen regelmäßig Editionskonferenzen veranstaltet, die speziell der Vorbereitung der jeweils vom Editionsplan vorgesehenen Bände galten. Neben der Besprechung von editorischen Einzelfragen, die sich für jeden Band neu stellten, widmeten sich vor allem die ersten Konferenzen der Sichtung und Auswertung des von Annemarie und René Böll zur Verfügung gestellten und bis zur Übergabe an das Historische Archiv der Stadt Köln 2009 im Besitz der Erbengemeinschaft befindlichen Privatnachlasses. Im Gespräch von Herausgebern und Erbengemeinschaft konnte so aus dem in diesem Nachlass überlieferten Fundus von Texten eine repräsentative Auswahl geschaffen werden, die Heinrich Bölls Schreibanfänge in den 1930er Jahren dokumentiert.

 Im November 2002 erschienen die ersten drei Bände der Ausgabe. Im festlichen Rahmen wurden sie vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder in den Räumen des Wallraf-Richartz-Museums vorgestellt. Seitdem erschienen in sieben weiteren Folgen jährlich zur Buchmesse drei weitere Bände. Mit der Präsentation der neunten Lieferung im November 2010 fand die Ausgabe im Beisein von Staatsminister Bernd Neumann als Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien in einem festlichen Akt in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin ihren Abschluss.

 Das Editionsprojekt der Kölner Ausgabe hat vielfache Förderung erfahren. Neben der Erbengemeinschaft Heinrich Böll, der Stadt Köln und dem Heinrich-Böll-Archiv der StadtBibliothek Köln sowie der Universität Siegen vor allem durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Kunststiftung NRW sowie der Sparkasse KölnBonn. Unterstützt wurde die Kölner Ausgabe auch und maßgeblich von  René Böll. Nicht nur als Vertreter der Erbengemeinschaft, sondern auch als begleitender Leser des Kommentars und stets hilfsbereiter Ansprechpartner, dessen Hinweise und Anregungen in vielen Einzelfragen zu Klärung und besserem Verständnis beitrugen, hat er das Gelingen dieser im wahrsten Sinne des Wortes großen Ausgabe entscheidend mit befördert.