Bericht zur Veranstaltung „Peacekeeping in Afrika“
Viereinhalb Millionen Menschenleben hat der Krieg im Kongo gekostet, Hunderttausende wurden in Darfur Opfer der Gewalt. Somalia findet seit fast zwei Jahrzehnten keinen Frieden. Ist das Afrikas Problem oder eines der internationalen Gemeinschaft?
Über diese Frage wurde zum Auftakt der Konferenz über Peacekeeping in Afrika einen Abend lang kontrovers diskutiert. Veranstalter war die Heinrich-Böll-Stiftung mit der Stiftung Wissenschaft und Politik. Eingeladen als Referentin war zum einen Monica Juma, die Forschungsdirektorin des Africa Institute of South Africa in Pretoria. Die Kenianerin ist außerdem Mitglied des achtköpfigen Expertengremiums der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen für Friedenseinsätze. Ihren Vortrag kommentierte Gérard Prunier, der am Centre d’Études des Mondes Africaines in Paris arbeitet und zahlreiche Bücher und Artikel über den Kontinent veröffentlicht hat, zuletzt über Darfur und die Demokratische Republik Kongo. „Ich bin Historiker, sie sind Politikwissenschaftlerin“ begründete er seine Sichtweise, die sich deutlich von der Monica Jumas unterschied.
Schwache Akteure, mangelhafte Koordination
Derzeit gelingt es nicht, die Konflikte in Afrika zu bewältigen. Die Akteure sind zu schwach, ihre Koordination mangelhaft. Die Herausforderungen sind gewaltig. Kirsten Maas-Albert, die Afrika-Referentin der Heinrich-Böll-Stiftung erläuterte zu Beginn, dass in den vergangenen Jahren vor allem versucht wurde, gewaltsame Konflikte in Afrika mit militärischen Mitteln zu bekämpfen. Die Afrikanische Union (AU) hat seit 2005 drei Militäreinsätze organisiert, wobei sich die Mechanismen einer afrikanischen Sicherheitsarchitektur erst langsam herausbilden. Aber auch die Zahl der Uno-Blauhelme auf dem Kontinent hat sich erhöht. Erfolge haben sie wenige vorzuweisen.
Sie werde darüber sprechen, wie man Konflikte verhindere, begrenze, löse und wie man den Wiederaufbau bewältigen müsse, sagte Juma. Zwischen diesen Aufgaben gebe es mehrere deutliche Lücken, sie seien nicht gut verzahnt. Man müsse fragen, ob eine primär militärische Herangehensweise der effektivste Weg sei. Die Uno-Blauhelm-Missionen haben bisher sieben Milliarden Dollar gekostet, „aber nicht das gewünschte Resultat erbracht“. Dabei könnte die internationale Gemeinschaft auf „eine große Zahl von Werkzeugen“ zurückgreifen. Die Herausforderung sei es, die richtigen zu finden und aufeinander abzustimmen. Dazu brauche es „eine gemeinsame Vision und eine gemeinsame Entschlossenheit“. Sie sei durchaus für robustes Eingreifen im Krisenfall, aber der Einsatz von Militär müsse stets von weiteren Maßnahmen begleitet werden, und er dürfe erst dann erfolgen, wenn wirklich alle Mittel der „soft power“ versagt haben.
Ein neuer Sicherheitsbegriff
Als die 2002 gegründete Afrikanische Union (die die Organisation für Afrikanische Einheit ablöste) ihre Arbeit aufnahm, gab es mehrere bedeutende militärische Konflikte auf dem Kontinent: Den Krieg in der DR Kongo, an dem mindestens ein halbes Dutzend Staaten und 21 verschiedene Milizen beteiligt waren; den Grenzkonflikt zwischen Äthiopien und Eritrea; Bürgerkriege in Sierra Leone und Côte d’Ivoire und bald dann auch in Somalia. All diese Konflikte bedrohten die Zivilbevölkerung, aber auch die staatlichen Strukturen, auf die jedes internationale Engagement angewiesen ist. Die Einsicht wuchs, dass unter diesen Bedingungen der Begriff „Sicherheit“ seinen Inhalt verliert, er musste neu und breiter definiert werden. Sicherheit, Frieden und gute Regierungsführung wurden zu Prioritäten in der Agenda der AU, denn sie sind Voraussetzung für Entwicklung. Das Prinzip des Nichtwegschauens („non-indifference“) erhielt Vorrang vor der staatlichen Souveränität, wenn es um Kriegsverbrechen, Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht.
Seit 2004 gibt es bei der AU einen Rat für Frieden und Sicherheit, bis 2010 soll eine Afrikanische Einsatztruppe („African Standby Force“) für Friedenseinsätze bereitstehen. Sie soll fünf Brigaden mit jeweils 3000 bis 5000 Mann umfassen. Afrika habe sichtbare Fortschritte bei der Verständigung über Normen und Strukturen eines „nachhaltigen Friedensmechanismus“ gemacht, sagte Juma. Doch zwischen politischer Absicht und der Praxis sei nach wie vor eine klaffende Lücke sichtbar, und zu oft gelte der Einsatz von Soldaten als das einzige Mittel.
Juma ist durch ihre Mitgliedschaft im gemeinsamen Expertengremium von AU und Uno eng vertraut mit den Bemühungen, den Dialog zwischen beiden Organisationen zu führen. Es gebe zwei Stränge: den politischen Dialog der AU mit ihren Mitgliedsländern über neue Wege der Kooperation, und einen sehr technischen, von engen finanziellen Grenzen geprägten Dialog bei der Uno. Zwischen beiden Strängen gibt es wenige Verbindungen.
Wer setzt die schönen Prinzipien durch?
Die Herausforderungen seien groß, sagte Juma. Mit der Demokratisierung Afrikas wuchs bei der politischen Führung des Kontinents die Einsicht, dass man mehr leisten müsse, als die OAU-Beobachtermissionen seit den 80er-Jahren geleistet hatten. 1993 wurde dann der „Mechanismus zur Konfliktverhinderung, -bewältigung und -lösung“ eingeführt. Er führte zu mehreren Einsätzen, die aber stets an die engen Grenzen stießen, die das Prinzip der Nichteinmischung setzte. Später folgte das „Protokoll über Frieden und Sicherheit“ und der AU-Rat für Frieden und Sicherheit. Er soll zunächst Konflikte verhindern, indem er deren strukturelle Ursachen aufzeigt und nach Wegen zu deren Beseitigung sucht. So gibt es eine Charta der AU über Wahlen, Demokratie und Regierungsführung, die aber immer wieder verletzt wird, weil Regierungen doch Wahlvorgänge manipulieren - so mit dramatischen Folgen Ende 2007 in Kenia. Es fehlen in solchen Fällen Sanktionsmöglichkeiten. Noch schwieriger ist eine Verhinderung von Konflikten in instabilen Situationen - ein bislang zu vager Begriff. Zwar wurde für solche Fälle vorgesehen, einen „Rat der Weisen“ anzurufen, es gibt einen Frühwarnmechanismus und die Befugnis des AU-Vorsitzenden, Berichterstatter einzusetzen, aber all diese Mittel müssen ihre Tauglichkeit in der Praxis erst noch beweisen. Auch für Einsätze der African Standby Force fehlen noch viele Voraussetzungen: Ihr Management, ihre Unterstützung im Einsatz und beim Transport seien weitgehend ungeklärt.
Wichtiger sei aber, friedliche Mittel zur Konfliktbewältigung zu entwickeln. Im afrikanischen Kontext gebe es umfangreiche Erfahrungen bei Verhandlung und Vermittlung, mal außerhalb staatlicher Strukturen, mal im Auftrag und mit Mandat des Vorsitzenden der AU. Doch diese Erfahrungen werden nicht gesammelt, damit aus ihnen gelernt werden kann - wie es die Uno erfolgreich mit ihrem Department of Political Affairs vormache. Zu oft würden einfach frühere Staatschefs zu Unterhändlern ernannt, beklagte Juma, auch wenn sie sich nicht durch gute Regierungsführung ausgezeichnet hätten.
Ein Mangel an staatlichen Strukturen
Es gebe ein sehr gut abgefasstes Konzept der AU zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau nach Konflikten, ebenso eines zur Partnerschaft zwischen Gebern und Empfängern von Aufbauhilfe. Sie setzen allerdings stets staatliche Strukturen voraus, um funktionieren zu können. Oft jedoch haben die den Konflikt nicht überlebt - dann greifen die schönen Konzepte ins Leere.
Seit der „Agenda für den Frieden“ des früheren Uno-Generalsekretärs Boutros-Boutros-Ghali ist die Zahl internationaler Blauhelm-Einsätze stark gestiegen. Waren sie effektiv? Darüber „fällt das Urteil vernichtend aus“, sagte Juma - nicht nur in Somalia, sondern auch in Darfur. Die AU vermochte trotz einer wachsenden Zahl von Einsätzen bislang nicht, auf dem eigenen Kontinent dieses Versagen aufzufangen. „Es ist, als ob die Welt Peacekeeping auf dem billigsten Weg durchführen wolle.“ Andere Kritiker befürchteten gar eine Art Apartheid beim Peacekeeping, sagte sie - die Armen vergössen ihr Blut und die Reichen trügen lediglich die finanziellen Kosten.
Das Expertengremium, dem Juma angehörte, kam zu dem Schluss, dass es sich zwar nur mit den eher technischen Bedingungen von Friedenseinsätzen befassen sollte, dass es sich aber um eine politische Frage handele. Wer soll letztlich die Verantwortung für die Bewahrung des Friedens tragen? Diese Frage sei nicht geklärt. Sind regionale Organisationen der Uno gleichgestellt oder ihr untergeordnet? Die internationale Gemeinschaft drücke sich um ihre Verantwortung, wenn sie schlecht bezahlte und ausgestattete Truppen mit aussichtslosen Missionen betraue.
„Peacekeeping ist sinnlos“
Gérard Prunier bekannte gleich zum Auftakt, dass er sich nicht, wie Monica Juma, damit befassen wolle, was sein soll, sondern mit dem, was ist. Peacekeeping sei nicht so wichtig, man behandle damit nur die Symptome einer Krankheit. Es solle nur als letztes Mittel, wenn überhaupt, zum Einsatz kommen, meinte Prunier. Bislang seien die Blauhelmeinsätze wirkungslos geblieben, mit Ausnahme der MONUC im Kongo. Das beste Konfliktmanagement hätten Frederik de Klerk und Nelson Mandela am Ende der Apartheid-Ära in Südafrika bewiesen - ganz ohne Hilfe der Uno.
Afrika werde von Konflikten erschüttert, die anderswo durch Staaten ausgelöst würden. Ein Paradox, denn nahezu alle Staaten auf dem Kontinent seien schwach. „Vor Ort existieren afrikanische Staatsapparate eigentlich nicht“. In der DR Kongo gibt es keinen Staat, die lokale Verwaltung wird nicht von ihm bezahlt. Das führt zu unglaublicher Korruption, zu einem aufgeblähten überbürokratischen Verwaltungsapparat. Diese schwachen Staaten seien nicht in der Lage, Kriege zu führen, Konflikte drücken sich in ausufernder Gewalt mit extrem hohen Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung aus. „In einem afrikanischen Bürgerkrieg sind die Streitkräfte der sicherste Ort. Als Soldat überlebt man eher, als als Zivilist“. Diese schwachen Staaten seien auch nicht in der Lage, Steuern zu kassieren und sich damit ein finanzielles Fundament zu verschaffen. Botswana und Südafrika seien die Ausnahme, Kenia sei bedroht, Zimbabwe im Prozess des Verschwindens. In Somalia gebe es schon keinen Staat mehr. Kein Land könne einen Industriesektor aufbauen. Eine Volkswirtschaft lasse sich jedoch nicht auf der Basis einer bäuerlichen Ökonomie zum Wachstum führen.
Afrika - Kontinent ohne Industrie
Seit den 90er-Jahren habe sich die Lage auf dem Kontinent verschlimmert. Er warnte dabei vor dem Trugschluss, sich eine feste Vorstellung von dem Begriff „Afrika“ zu machen. Im Sudan werde schon jemand aus der nächsten Provinz als fremd, als ausländisch gesehen. Die Geschichte zeige, dass Konflikte nur durch einen Kompromiss oder mit Gewalt gelöst worden seien, aber nicht durch Eingreifen von außen. Ausländer könnten punktuell helfen, aber nie an die Stelle der betroffenen Bevölkerung treten, sagte Prunier abschließend und klang damit schon etwas weniger kategorisch als zu Beginn seines Vortrags.
Monica Juma ging noch einmal auf den Sonderweg Südafrikas ein. Das übrige Afrika trage das Erbe des Kolonialismus und sei auch heute, etwa beim Welthandel, negativen externen Einflüssen ausgesetzt. Südafrika sei davon isoliert gewesen, es konnte unbeeinflusst von solchen Einflüssen und geschützt von einer Solidaritätsbewegung nach dem Scheitern der Apartheid-Politik einen „Gesellschaftsvertrag“ formulieren, es verfügte auch über die Mittel, ihn umzusetzen. „Aber die DR Kongo oder Sudan sind nicht Afrikas Probleme allein “. Afrika habe gar nicht den Spielraum, die Krisen des Kontinents zu bewältigen.
„Das Problem ist der politische Wille“
Man müsse sich bewusst machen, wie Europa von den Rohstoffen Afrikas profitiere, wand in der sich anschließenden Debatte die Botschafterin Malis, Fatoumata Sire Diakité, in einem engagierten Beitrag ein. Afrika sei vielgestaltig, und dank einer neuen Generation von Männern und Frauen mache der Kontinent unaufhaltsam Fortschritte. Der Sudan-Aktivist Hafiz Muhammad beklagte, dass zu viele Regierungen ihrer Pflicht zu guter Regierungsführung nicht nachkämen - etwa indem sie Sudans in Den Haag angeklagten Staatschef Baschir weiter stützen. Ahmed Samatar ergänzte, dass große und kleine Unternehmen weltweit durch Waffenverkäufe von den Konflikten profitieren.
Mehrere Beiträge gingen auf die faktischen Begrenzungen für afrikanische Friedenseinsätze ein sowie auf die mangelnde Bereitschaft der Europäer, schnell und entschlossen zu reagieren, wenn eine Krise wie während der Kämpfe im Ostkongo Ende 2008 dies erfordert. Gérard Prunier sagte knapp „Das Problem ist der politische Wille“. Er wurde gefragt, ob seine Forderung nach einem Abzug von Blauhelmen nicht genau dazu führe, was er kritisiere - nämlich dass den Europäern Afrika eigentlich gleichgültig sei. Er antwortete, man müsse, wenn man eingreifen wolle, die lokalen Kräfte stärken und unterstützen, die als einzige eine Lösung herbeiführen könnten. Monica Juma hingegen war es wichtiger, dass das Mandat für einen Einsatz auch mit ausreichenden Mitteln einhergeht, um es zu erfüllen. Noch besser wäre es, sagte sie zum Abschluss, wenn es in mehr Staaten Afrikas einen belastbaren Gesellschaftsvertrag zwischen der Bevölkerung und der Führung gebe.
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