Bei diesem Land ist alles strittig, selbst der Name. Nur wenige wollen den Begriff verwenden, mit dem das Militärregime den südostasiatischen Staat bezeichnet: Myanmar. Sie sprechen von Burma, oder, wie die deutschen Medien es vorziehen, Birma. Seit 1962 herrschen die Militärs dort mit harter Hand und verhindern, dass die reiche buddhistisch geprägte Kultur Birmas sich entfalten oder eine politische Opposition sich artikulieren kann.
Im August und September schlugen die Militärs mit roher Gewalt Proteste nieder, die sich an der Verdopplung der Treibstoffpreise entzündet hatten. Buddhistische Mönche initiierten Protestmärsche, die schnell zu Massendemonstrationen wurden, und standen im Zentrum der folgenden Repression. Tausende wurden inhaftiert, geschlagen, etwa 200 Demonstranten nach Angaben der Opposition getötet. Amnesty International berichtete erst vor wenigen Tagen, dass das Regime weiterhin Oppositionelle festnimmt, die an den Protesten beteiligt waren oder die sie fortsetzen. Noch immer seien etwa 700 Menschen deswegen inhaftiert.
Wie geht die internationale Gemeinschaft mit einem solchen Regime um? Mit welcher Strategie ist den Menschen in Birma am ehesten geholfen? Die USA und die EU, auch die Bundesregierung schon zu Zeiten von Rot-Grün setzen auf Sanktionen; die asiatischen Nachbarn Birmas eher auf Diplomatie und Einbindung. Darüber diskutierten am Dienstag, 4.12.2007, beim Jour Fixe der Heinrich-Böll-Stiftung und der tageszeitung (taz) der birmanische Menschenrechtsexperte und Oppositionelle Dr. Maung Zarni, der heute an der Universität Oxford in Großbritannien tätig ist, der Birma-Experte Dr. Hans-Bernd Zöllner, der am Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg lehrt, sowie Kerstin Müller, die außenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
„Alles wie immer, nur schlimmer“
Zöllner bereiste Birma im Oktober mehr als zwei Wochen lang – gleichzeitig zu den Protesten und ihrer Niederschlagung. Wenn er mit Intellektuellen sprach, berichtete er, schlug ihm tiefe Frustration über die Situation entgegen. Die Junta scheine mit keinem Mittel niedergerungen werden zu können. Kurz: „Alles wie immer, nur schlimmer“. Es seien im alltäglichen Geschehen keine Spuren der Proteste mehr zu verspüren, die im Westen schon als „Safran-Revolution“ tituliert worden waren. Der nun gänzlich ausbleibende Tourismus treffe wieder einmal die Falschen und verschärfe die wirtschaftliche Notlage der Bevölkerung zusätzlich.
Die Mission des UNO-Sondergesandten Ibrahim Gambari sei jedoch ein Impuls von außen, der kleine Fortschritte gebracht habe, meinte Diskussionsleiter Sven Hansen. Zweimal konnte Gambari auf chinesischem Druck hin in den letzten Wochen nach Birma reisen. Auch als Ergebnis seiner Mission empfing die Junta anschließend erstmals wieder die Symbolfigur der Opposition, Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Sie erlaubte ihr auch, die Führer ihrer Bewegung, der Nationalen Liga für Demokratie (NDL), zu treffen. Ihr Hausarrest dauert allerdings an. Doch Zöllner hielt dies für „Kosmetik“. Kaum jemand in Birma habe Gambaris Besuch zur Kenntnis genommen.
Dr. Zarni beurteilte die von der Junta verkündete „Roadmap zur Demokratie“ ähnlich skeptisch, ebenso die Ankündigung, eine neue Verfassung zu erarbeiten: „Nichts an diesem Prozess ist auch nur im Ansatz demokratisch“. Er sagte, die Junta verstehe Politik als kriegerische Auseinandersetzung und wende entsprechend militärische und nicht demokratische Regeln an. Daran hätten weder die Proteste der Mönche noch die internationale Verurteilung der Repression etwas geändert. Ein tieferer Wandel sei erst dann zu erwarten, wenn die gegenwärtige Staatsführung um den schwer erkrankten, 73-jährigen Junta-Chef Than Shwe von einer neuen Generation abgelöst werde. Dann erst sei es denkbar, dass Politik wieder als ein Prozess von Geben und Nehmen aufgefasst werde.
Bedauerlicherweise könne auch der südostasiatische Staatenbund ASEAN kaum Druck auf die Junta ausüben. Er sei auf die Mitarbeit Birmas angewiesen, um seine langfristigen wirtschaftspolitischen Ziele zu erreichen. Zarni meinte, die Frage von Demokratie oder Legitimität sei für die Junta wesentlich weniger dringlich als die ethnischen Konflikte in den Grenzprovinzen des Landes und die stockende wirtschaftliche Entwicklung. Selbst das Militär sieht, dass die Herrschaft der Junta oft kontraproduktiv ist. Auch China zweifelt offensichtlich an der ökonomischen Kompetenz der Generäle und habe, so wurde Zarni berichtet, dies dem Regime deutlich mitgeteilt. Die Proteste entzündeten sich denn auch an der Verdoppelung der Treibstoffpreise, die viele schlecht verdienende Beschäftigte mit weiten Anfahrtswegen zu ihren Arbeitsplätzen in Not brachte. Außerdem herrschte sogar in den Reihen der Streitkräfte Unbehagen, gegen buddhistische Mönche vorzugehen; schließlich sei der Buddhismus einer der Grundpfeiler der birmanischen Identität.
Zuckerbrot oder Peitsche?
Somit wurden durchaus Risse in der Mauer sichtbar, hinter der sich Birmas Regime verschanzt hat. Doch welche Rolle kann die internationale Gemeinschaft in dieser Situation spielen? Europa setzte bislang auf Sanktionen: ein Stopp der Entwicklungshilfe und der Kreditvergabe, ein Waffenembargo, Einreiseverbote für etwa tausend führende Vertreter des Regimes sowie deren Angehörige. Zudem wurde im Oktober der Import birmanischer Edelsteine, Edelhölzer und Edelmetalle in die EU verboten. Von diesem Handel profitierte vor allem die mit dem Militär eng verbundene Elite des Landes, die Sanktionen schaden der Bevölkerung also kaum, so die Argumentation aus Brüssel.
Kerstin Müller, außenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, hielt an der von ihren Vorrednern durchgehend kritisierten Sanktionspolitik der EU fest. Sie bezweifelte zwar auch die bisherige Wirksamkeit dieser Strafmaßnahmen, aber verwies darauf, dass Aung San Suu Kyi und andere Oppositionsführer oder Exilorganisationen diese Sanktionen befürwortet haben. Die EU-Sanktionen wären im Wesentlichen symbolischer Natur, durch die von vornherein sehr geringen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Birma im Vergleich mit China oder Indien. Sie seien tatsächlich auch von zweifelhafter Effizienz gewesen, da sie umgangen werden konnten. Weder die USA noch Europa habe mit den Strafmaßnahmen „wirklich einen Hebel in der Hand“, meinte Müller. Dabei spielt auch eine Rolle, dass US-amerikanische und französische Mineralölkonzerne weiterhin an der Ausbeutung der Öl- und Gasvorräte Birmas beteiligt sind. Das Ölunternehmen Total aus Frankreich baut mit dem US-Unternehmen Chevron eine Gaspipeline nach Thailand, ein Zwei-Milliarden-Dollar-Projekt.
In jedem Fall hätte die EU ein völlig falsches Signal der Entsolidarisierung gesandt, wenn sie auf dem Höhepunkt der Proteste ihre Sanktionspolitik aufgeweicht hätte, so Müller. In den vergangenen Jahren wäre eine „langsame, schrittweise Strategie der Öffnung“ womöglich sinnvoller gewesen. Aber in den Jahren, in denen sie Staatsministerin im Auswärtigen Amt war, sei auf europäischer Ebene jede Debatte darüber blockiert worden.
China hat dagegen wesentlich mehr Einfluss, zumal es der wichtigste Waffenlieferant des Regimes ist, da waren sich alle Podiumsteilnehmer einig. Vor allem der Druck aus Peking habe dem UNO-Gesandten Gambari schließlich die Einreise nach Birma ermöglicht. Gerade jetzt bestehe bis zu den Olympischen Spielen in Peking ein günstiges Zeitfenster, um auf chinesische Flexibilität und Kooperation zu hoffen, sagte Müller. Auch „ASEAN könnte eine wichtigere Rolle spielen“, die scharfe Kritik am birmanischen Regime auf dem jüngsten ASEAN-Gipfel sei ein Hoffnungszeichen gewesen.
Was kann Europa tun? Vielleicht eine gezielte und einheitliche Strategie zur Erhöhung seines Einflusses vor Ort entwickeln und versuchen, die Arbeitsbedingungen für NGOs oder das Internationale Rote Kreuz zu verbessern, so Hans-Bernd Zöllner. Aber: Ein fundamentales Problem sei „unser erbärmliches kollektives Wissen über dieses schöne Land“. Ohne Kenntnisse könne es keine vernünftige Politik geben. „Die Politik wird bei uns fast nur aus dem Bauch heraus gemacht“, klagte er. Er warnte davor, sich bei einer Beurteilung allein auf die Ratschläge der Mehrheit der birmanischen Exilorganisationen zu verlassen, die für eine Boykott- und Sanktionspolitik plädieren. Das allerdings hielt Kerstin Müller für problematisch, schließlich habe auch Aung San Suu Kyi bisher die Europäer aufgefordert, an den Sanktionen festzuhalten.
„Sanktionen haben nicht geholfen“
Maung Zarni hat seit seinem letzten Aufenthalt in Birma im Jahr 2005 seine Haltung geändert und ist von einer Befürwortung der Sanktionen abgerückt. In Birma sei die Bevölkerung nicht an dem täglichen Kampf gegen das Regime beteiligt. „Wir haben in Birma keine revolutionäre Situation“, sondern ein verarmtes und politisch desillusioniertes Volk. Sanktionen seien oft nur ein stumpfes und untaugliches Instrument, wie man in Kuba, Iran oder Zimbabwe sehen könne. In Birma seien sie vor 15 Jahren verhängt worden – ohne das Regime zu schwächen. Viel wichtiger sei, wie sich die regionalen Akteure und Nachbarn zum Regime verhielten. Wandel werde nicht als Ereignis, sondern als schrittweiser Prozess stattfinden. Deshalb müsse man gezielt auf eine Öffnung hinarbeiten und neue Kontakte in die birmanische Gesellschaft, in die Geschäftswelt, in den Erziehungsbereich knüpfen. Da die jetzige Führungsgeneration des Landes in den nächsten Jahren abtreten werde, müsste man Mitglieder der Streitkräfte in diesen Prozess aktiv mit einbeziehen und ihnen sogar helfen und Wege zeigen, danach ihr Ansehen wieder herzustellen – in einer neuen Phase der birmanischen Geschichte.
Jour Fixe