„...dann kommt es zur Stachelrevolution!“ - Kritische Stimmen aus Georgien zwei Monate nach dem Krieg

Vote Saakashvili. Graffiti in Tbilisi
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13. Oktober 2008
Stefan Schaaf
Von Stefan Schaaf

Wie viel ist noch übrig von Georgiens Rosenrevolution? In der zweiten Augustwoche waren russische Truppen nach Südossetien und Abchasien, aber auch in mehrere Städte des georgischen Kernlandes einmarschiert. Georgische Artillerie beschoss südossetische Dörfer. Zehntausende flohen und wurden heimatlos. Erst in diesen Tagen soll der russische Rückzug – mehrfach war er westlichen Vermittlern versprochen worden – aus den Städten des georgischen Kernlandes erfolgen.

Seit Wochen wird über die Rechtfertigung und die Bedeutung dieses Waffengangs gestritten. Die Standpunkte sind nach wie vor weit entfernt. Beim Jour fixe der Heinrich-Böll-Stiftung und der tageszeitung (taz) zu Georgien berichtete Ralf Fücks vom wenige Tage zurückliegenden Petersburger Dialog, bei dem russische Teilnehmer von einer „brutalen georgischen Aggression gegen Südossetien“ und von „ethnischer Säuberung“ sprachen. Zum gleichen Zeitpunkt wirft Georgiens Präsident Michail Saakaschwili in einem Gastbeitrag der „Frankfurter Allgemeinen“ Russland vor, seine Regierung stürzen zu wollen und Teile seines Landes zu annektieren. Georgien sei vom Westen unterstützt worden, weil das Land gezeigt habe, „wie sich ein korruptes, zerstörtes Land in nur wenigen Jahren zu einem liberalen und vielversprechenden Land entwickeln kann.“

Beide Seiten setzten auf militärisches Vorgehen

Dieser Darstellung widersprachen die beiden georgischen Gäste auf dem Podium vehement. Die Journalistin Tinatin Khidasheli hat internationale NGOs, Georgiens Parlament und Regierung beraten, an Hochschulen gelehrt und ist Expertin für Fragen der Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung. Sie war als Mitglied der Republikanischen Partei (die programmatisch ungefähr mit den Grünen vergleichbar ist) Teil der Rosenrevolution von Ende 2003.

Schon Mitte 2004 ging sie in die Opposition, da sie befürchtete, Saakaschwili werde einen Krieg um die abtrünnigen Regionen Südossetien, Adscharien und Abchasien provozieren. Wie man heute weiß, behielt sie Recht. Sie warf dem Westen vor, vor dem neuerlichen Waffengang die falschen Signale an Russland gesendet zu haben, etwa auf dem Nato-Gipfel in Bukarest, als der Beitrittswunsch Georgiens blockiert worden war, da die inneren Konflikte dort nicht gelöst seien. Dies habe Putin als grünes Licht für seine Aggression begriffen. Auch Saakaschwili habe die Botschaft falsch verstanden, er müsse den Konflikt mit den abtrünnigen Landesteilen rasch lösen, damit beim kommenden Nato-Gipfel im Dezember seine Chancen steigen. So setzten beide Seiten auf militärisches Vorgehen. In Georgien sei im Fernsehen seit Monaten eine kriegerische Stimmung geschürt worden, während Versuche zu einem friedlichen Dialog von den Behörden behindert wurden, so Khidasheli weiter.

Sie entwickelte eine komplexe politische Position, in deren Zentrum der Mangel an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Georgien standen. Georgien müsse zu einem Staat werden, der an diesen Punkten keine Defizite aufweist, dann sei er für Gegner auch nicht angreifbar. Dafür müssten die Georgier selbst kämpfen, aber die internationale Gemeinschaft solle sie dabei unterstützen: „Sonst gibt es die nächste Rosenrevolution, oder besser gesagt: die Stachelrevolution“, stellte sie in Aussicht. Der Krieg in Georgien sei ein Konflikt zwischen zwei Autokraten gewesen, einem stärkeren und einem schwächeren, wobei Saakaschwili von Putin gelernt habe.

One-Man-Show

Saakaschwili mache das Land zu einer One-Man-Show, in der er alle Entscheidungen an sich zieht oder nach Belieben zur Ausführung delegiert, pflichtete ihr der zweite Gast, Sozar Subari, bei. Er ist offizieller Ombudsmann für Menschenrechte in Georgien und berichtet in dieser Funktion zweimal im Jahr dem Parlament. Seinem Bericht werde selten große Aufmerksamkeit zuteil, zuletzt hätten sich die Abgeordneten gerade eine Stunde mit seinem Report befasst. Dabei seien darin gravierende Vorwürfe belegt, die eigentlich zu Strafverfahren gegen Regierungsmitglieder hätten führen müssen.

Er beschrieb die Folgen des Krieges im August, der Zehntausende zu Flüchtlingen gemacht habe. Deren Häuser seien zerstört, sie hätten keinen Schutz und würden zu Opfern krimineller Banden. Es sei wichtig, dass sie internationale Hilfe bekommen und zurückkehren könnten. Der dritte Gast auf dem Podium war Walter Kaufmann, der bis vor Kurzem das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Tiflis leitete.

Die Europäische Union habe zu lange die Augen und Ohren vor den Warnungen ihrer Vertreter in Georgien verschlossen, nur so konnte sie von dem russischen Vormarsch überrascht werden, erklärte Kaufmann. Die Europäer hätten sich zuvor zwar immer wieder um Konzepte zur Konfliktlösung bemüht, doch mit zuviel Naivität. Sie seien von der sprunghaften wirtschaftlichen Modernisierung Georgiens seit der Rosenrevolution beeindruckt gewesen und hätten Saakaschwili für seine prowestliche Haltung zu voreilig belohnt – und das auch noch mit modernen Waffen. „Man muss aufhören mit dem Demokratie-Theater des Herrn Saakaschwili“. Der trage große Mitverantwortung für die Eskalation.

Stalins Giftpillen

Keiner der drei Gäste tat sich leicht, einen Ausweg aus dem Konflikt zu entwerfen. „Stalins Giftpillen“ nannte einer der Zuhörer später die territorialen Verschränkungen der Völker im Südkaukasus, Konflikte, die „auf ihre Unlösbarkeit hin konstruiert“ worden seien. Vertrauen müsse wieder aufgebaut werden, sagte Khidasheli, höchstes diplomatisches Geschick forderte auch Kaufmann, derzeit sei die territoriale Integrität Georgiens so weit weg wie nie zuvor. Nicht einmal die Rückkehr und Entschädigung der Flüchtlinge sei gesichert. Man müsse die Statusfrage für Abchasien und Südossetien stellen, vielleicht die Möglichkeit einer Konföderation zwischen Georgien und seinen abtrünnigen Gebieten in die Diskussion bringen.

Die Bereitschaft zu einer nüchternen Betrachtung der Lage sei derzeit nicht zu erwarten, so viel machte der Abend deutlich. Mehr Demokratie für Georgien könnte aber ein politisches Nahziel sein, das neue Optionen eröffnet.

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