Tschechiens Außenpolitik und der Konflikt im Kaukasus

Protestplakat gegen den sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei, Prag 1968

25. August 2008
Von Václav Nekvapil
Von Václav Nekvapil

Die Tschechische Republik und Frankreich, deren EU-Ratspräsidentschaften unmittelbar aufeinanderfolgen, repräsentieren zwei unterschiedliche Akzente der EU-Außenpolitik. Während Frankreich seine Präsidentschaft mit einem monumentalen Projekt begann, Europa in Richtung Mittelmeer zu öffnen, fühlt sich die Tschechische Republik als Anwalt Osteuropas, des West-Balkans und Transkaukasiens. Der Krieg in Georgien stellte nun diese lange nur behaupteten Positionen der tschechischen Außenpolitik auf die Probe und deckte einige grundsätzliche innerpolitische Widersprüche auf. Besonders pikant: Das alles ereignete sich vor dem Hintergrund des 40. Jahrestages des sowjetischen Einmarsches in die Tschechoslowakei im Jahre 1968 und der sich zuspitzenden Debatte über die amerikanische Radar-Anlage auf tschechischem Gebiet.

Rosenrevolution und Prager Frühling

Trotz der Änderung der Regierungskoalition vor zwei Jahren hielt die tschechische Diplomatie den gleichen Kurs. Priorität der Außenpolitik blieb die Unterstützung der Menschenrechte und des demokratischen Wandels mit Fokus auf Osteuropa. Georgien genoss eine außerordentliche Unterstützung bereits vor der sogenannten Rosenrevolution von 2003. Für die Außenpolitik Tschechiens war es ein Schwerpunktland, und tschechischen NGOs wurden mit Unterstützung der Regierung in Georgien aktiv. Nicht zuletzt wurden vermehrt tschechische Waffen nach Georgien exportiert. Auch in der Debatte über die Energiesicherheit  Tschechiens beziehungsweise der EU wird immer öfter das Potential Georgiens als  wichtigster Transportkorridor für Rohstoffe aus dem Kaspischen Raum gewürdigt. Alle diese Aspekte spielen eine Rolle bei den Prioritäten, die die tschechische EU-Ratspräsidentschaft setzen will.

Nothilfe für Georgien

Es überrascht daher nicht, dass sich die Regierung Tschechiens angesichts der russischen Militäroperation in Georgien eindeutig hinter Präsident Saakaschwili stellte. Mit gleicher Entschlossenheit traten sowohl die Vertreter der stärksten Partei, der konservativ-liberalen ODS auf (Premierminister Topolánek und der Vizevorsitzender der Regierung für europäische Angelegenheiten Vondra), als auch ihre Koalitionspartner aus der Grünen Partei (Außenminister Schwarzenberg) und der Christlichen Demokraten (der ehemalige Außenminister Svoboda). Die Regierung genehmigte eine Soforthilfe für Georgien in Höhe von 5 Millionen Kronen frei (ca. 200 000 Euro). Vergangene Woche wurde dies ergänzt um weitere 150 Millionen Kronen (ca. 6 Millionen Euro) für die nächsten drei Jahre. Diese Mittel sollen vor allem dem Wiederaufbau beschädigter Infrastruktur dienen (einschließlich der explizit erwähnten Energie-Infrastruktur), der Milderung der Umweltverschmutzung und der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der betroffenen Gebiete. Auf dem außerordentlichen Treffen der EU-Außenminister (GAERC) verurteilte die tschechische Delegation den russischen Angriff scharf.

Václav Klaus' Eigenheiten

Präsident Václav Klaus teilt die Position der Regierung jedoch nicht. Zu sehen war dies zuerst daran, dass er an dem Treffen der Regierungschefs der baltischen Staaten und Polens in Tiflis nicht teilnahm. Sein anfängliches Schweigen brach Klaus auf für ihn typische Art mit einem Zeitungsartikel, in dem er „das Seine sagt“ und nicht mit Fragen von Journalisten konfrontiert ist. In dem Artikel mit der Überschrift „Es wird wieder ein Vertretungsspiel gespielt“ schreibt Klaus, dass er über die „politische und mediale Interpretation“ des Konflikts in Georgien entsetzt ist. Die Schuld an der Krise sieht er eindeutig bei Georgien. Interessant ist insbesondere der folgende Satz: „Eine langfristige Lösung des ganzen Problems kann jedoch nicht auf einer Lüge basieren – selbst wenn das für uns oder unsere Verbündete aus aktuellen Machtinteressen oder langfristigen strategischen geopolitischen Interessen passend wäre“. Auffällig ist hier die Spannung zwischen den „aktuellen“ Machtinteressen der Verbündeten und den „langfristigen“ Lösungen. Viel mehr erfahren wir von Klaus nicht. Wer das in der Überschrift genannte „Vertretungsspiel“ spielt, lässt sich nur zwischen den Zeilen herauslesen.
Premierminister Mirek Topolánek änderte die Position seiner Regierung nicht. Er erinnerte den Präsidenten daran, dass seiner Ansicht nach für eine Lösung des Konflikts „der Anteil Russlands fehlt“. Der Premierminister betonte, dass „Moskau die Freiheit jedes Landes, sich dem Westen anzuschließen, respektieren“ müsse und verglich (wie auch Vizepremier Vondra) die russische Operation im Kaukasus mit der sowjetischen Invasion der Tschechoslowakei im Jahre 1968. Eine Lehre aus dem Georgien-Konflikt ist für ihn die Notwendigkeit, die amerikanische Radaranlage auf tschechischem Gebiet zu installieren. Die aktuelle Krise sei der Beweis dafür, „wie wichtig es ist, den Schutzschirm der euroatlantischen Strukturen zu teilen“.

Kaukasus gleich Kosovo?

Präsident Klaus blieb jedoch nicht der einzige, der gegen den Strom schwamm. Ein Teil der parlamentarischen Opposition, die Kommunistische Partei, neigte seiner Position zu (und übernahm sogar die Rhetorik des Kremls von einem „Genozid an den Südosseten“). Die stärkste Oppositionspartei, die Sozialdemokraten, nahmen einen neutralen Standpunkt ein. Der Vorsitzende der ČSSD (Sozialdemokraten) Jiří Paroubek schlug die Schaffung einer internationalen Kommission vor, die die Ursachen und Umstände des russisch-georgischen Konflikts untersuchen solle (konkret des georgischen Angriffs auf Südossetien) und warnte davor, Russland allein an den Pranger zu stellen. Der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, der Sozialdemokrat Miloslav Vlček, zog Parallelen zum Kosovo-Konflikt: „Die gleichen Politiker, die die geografische Integrität und Souveränität Serbiens nicht respektierten, fordern nun Russland auf, die geografische Integrität und Souveränität  Georgiens zu respektieren. Die gleichen Politiker, die auf das Recht der albanischen Mehrheit in Kosovo, einen eigenen Staat zu gründen, hinwiesen, bezweifeln nun das Recht der Mehrheit der Südosseten für eine weitreichende Autonomie, gegebenenfalls für die Unabhängigkeit oder den Anschluss an Nordossetien und die Russischen Föderation.“

Die Kaukasus-Krise wird auch in der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft ihren Widerhall finden. Tschechien hat vor, eine Spenderkonferenz einzuberufen, die Georgien helfen soll, die Folgen des Konflikts zu überwinden. Die tschechische Regierung muss dafür gewappnet sein, während ihrer Präsidentschaft eben so rasch und entschieden zu reagieren wie Frankreich es tat.
Die vielleicht überraschendste Entwicklung während der Georgien-Krise war, dass sich die sozialdemokratischen Opposition den als exzentrisch bekannten Ansichten von Präsident Klaus anschloss – und das vor dem Hintergrund des 40.Jahrestages der Niederschlagung des Prager Frühlings, eines Ereignisses, das wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Sympathien der tschechischen Öffentlichkeit eindeutig auf Seiten Georgiens liegen.

Václav Nekvapil ist Analyst bei der Assoziation für Internationale Beziehungen (AMO).

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