Ein Staat in den Kinderschuhen: Der mühsame Weg des Kosovo zur Eigenständigkeit

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Fest zum ersten Jahrestag der Unabhängigkeit 2009 in Pristina, Kosovo.

Vor knapp zwei Jahren, im Februar 2008, erklärte sich das Kosovo unabhängig. Am 12. Dezember fanden nun vorgezogene Parlamentswahlen statt, die ersten in eigener Regie des jungen Staates, der bis heute von nur 22 der 27 EU-Mitglieder und von 72 der 192 Staaten der Vereinten Nationen anerkannt wird. Auch der Internationale Gerichtshof hat die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Sommer für völkerrechtlich zulässig erklärt.

Erich Rathfelder, seit zwanzig Jahren taz-Korrespondent auf dem Balkan, hat sich in seiner Berichterstattung sehr für das Kosovo und die dort lebenden Menschen engagiert. Gerade hat er ein Buch "Kosovo – Geschichte eines Konflikts" veröffentlicht, das er beim monatlichen Jour Fixe der Heinrich-Böll-Stiftung und der tageszeitung (taz) vorstellte. Mit ihm diskutierten Besa Shahini von der „European Stability Initiative“ und Andreas Ernst, Korrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung" in Belgrad: Drei verschiedene Perspektiven auf einen politischen Prozess, der seit der militärischen Nato-Intervention von 1999 aus den Schlagzeilen verschwunden ist, aber in vielen Aspekten ohne eine abschließende Regelung bleibt. So ist den meisten Kosovaren der Rest Europas seit der Unabhängigkeit versperrt – die Reisefreiheit für die Besitzer kosovarischer Pässe bleibt eines der vordringlichsten Anliegen der politischen Führung in der ehemaligen jugoslawischen Provinz.

Ob deren Gewährung eine Frage der Moral und der Gerechtigkeit ist, oder ob es schlicht formale und rechtliche Voraussetzungen gibt, die erst erfüllt werden müssen, war nur einer der Streitpunkte an diesem Abend. Noch immer ist die internationale Gemeinschaft auf vielfältige Weise im Kosovo engagiert – mit den Soldaten der KFOR, UNO-Polizisten im Rahmen der Mission Unmik, mit der Rechtsstaatsmission Eulex und zahlreichen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Ihre Präsenz ist Folge des Zerfalls Jugoslawiens, in dessen Verlauf Belgrad 1989 das seit 1974 gültige Autonomiestatut des Kosovo aufgekündigt hatte. Fortan wurde der Gebrauch der albanischen Sprache behindert, und die Kosovo-Albaner zu Bürgern zweiter Klasse gemacht, wie taz-Korrespondent Rathfelder schilderte. Gleichzeitig – und ohne auf den offensichtlichen Widerspruch einzugehen – wurde damals von serbischer Seite gefordert, den Gebieten mit serbischer Mehrheit in Kroatien und Bosnien Autonomie zu gewähren. In der Folge zogen Slowenen und Kroaten aus dem jugoslawischen Parlament aus. "Damit war eigentlich Jugoslawien zerstört", sagte Rathfelder. Im Kosovo war die albanische Bevölkerung zur Untätigkeit verurteilt, sie hatten nicht die Machtmittel, mit denen Slowenen oder Kroatien ihre Unabhängigkeit erstritten. Ihnen blieben der passive Widerstand und der Aufbau eigener paralleler Strukturen neben den serbisch kontrollierten – "ein Alternativstaat bei der Bildung und auch im Gesundheitssystem". 300.000 Kosovaren entschieden sich für die Emigration.

Vom gewaltlosen Protest zum bewaffneter Widerstand

Lange beharrten die Albaner mit ihrer Leitfigur, dem Schriftsteller Ibrahin Rugova, auf gewaltlosem Protest. Ab 1995 begann dann unter dem Eindruck des Dayton-Friedensabkommens, in dem das Kosovo nicht vorkam, der bewaffnete Widerstand von anfangs nur 50 bis 70 UCK-Kämpfern. Die serbische Armee reagierte ab 1998 mit militärischer Macht und Willküraktionen auch gegen Zivilisten. "Es war eine Zerstörung der albanischen Gebiete des Kosovo", sagte Rathfelder. Es folgte das militärische Eingreifen der Nato und die internationale Kontrolle im Kosovo – damals noch bei Anerkennung der Souveränität Serbiens und Montenegros. Während die Kriegsschäden nach zwei, drei Jahren repariert waren, ging es wirtschaftlich und bei der Status-Frage des Kosovo nicht voran. In dem neuen Staat sind nun die Rechte der Minderheiten – vor allem der serbischen Bewohner im Norden – in der Verfassung verankert, doch von einem friedlichen Nebeneinander kann nicht die Rede sein. Die "European Stability Initiative wurde vor elf Jahren als Vereinigung von Forschern gegründet, die aufgrund ihrer Erfahrung in Südosteuropa fundierte Analysen erarbeitet. Sie übt in einem neuen Papier deutliche Kritik an der EU und wirft ihr vor, mit ihrer Politik im Kosovo den eigenen Interessen zu schaden. Besa Shahini hat sich für ESI mit dem Wiederaufbau des Kosovo befasst. Sie fand es bemerkenswert, wie wenig Aufmerksamkeit der Rolle der EU für das Kosovo gewidmet werde, angesichts der großen Summen, die aus Brüssel dorthin fließen. Noch immer gebe es – im Kontrast zu allen anderen Balkanstaaten – keine Reisefreiheit für Kosovaren in den Schengen-Raum, nicht einmal einen Verhandlungsprozess, wie sie hergestellt werden soll. Die EU baue Hürden auf, die für andere Balkanstaaten nie bestanden. Ursache dafür sei, dass die EU das Kosovo als Sicherheits- und Migrationsrisiko betrachte. Das Land sei arm, die Arbeitslosigkeit beträgt mindestens 40 Prozent, wenig passiere, um die auf die Landwirtschaft gestützte Ökonomie zu entwickeln. Ein Fünftel des verfügbaren Einkommens stamme aus Rücküberweisungen von Exilkosovaren an ihre Familien. Korruption und organisierte Kriminalität seien ein großes Problem. Es habe nie positive Erfahrungen mit Staatlichkeit gegeben, "der Bürger erwartet nichts vom Staat". Man habe die Schuld stattdessen auf die Vereinten Nationen geschoben. Die Zivilgesellschaft im heutigen Kosovo bestehe aus „einer Masse von von außen finanzierten Leuten, die sich damit beschäftigen, was man im Ausland wichtig findet“.

EU sollte Dialog zwischen Kosovo und Serbien begleiten

Bisher zumindest – denn es bestehe die Hoffnung, so Shahini, dass die Wahlen am 12. Dezember, der die Kosovaren entgegenfieberten, neue Impulse und neue Reformschritte mit sich bringen. Es würde helfen, so Shahini, wenn die EU dies politisch förderte, und wenn die EU auch die bevorstehenden direkten Gespräche zwischen Kosovo und Serbien mit eindeutigen Anforderungen begleiten würde. Andreas Ernst von der "Neuen Zürcher Zeitung war mit dem von Rathfelder gezeichneten Bild nicht einverstanden. Die Probleme des Kosovo als Menschenrechtsproblem darzustellen, als Frage von Unterdrückern und Unterdrückten, sei richtig, aber nur ein Teil des Bildes und greife damit zu kurz. Es gebe historisch im Kosovo Ansprüche von zwei Volksgruppen, der serbischen und der albanischen. Weil man die Kosovaren als Opfer angesehen habe und nicht als politische Subjekte, sei es zu der Intervention und zum Protektorat gekommen. Beide Seiten wüssten sehr wohl, was sie wollten, und man müsse ermöglichen, dass sie selbst zu einer Einigung kommen und ihnen nicht eine Lösung oktroyieren. Der Dialog sei die einzige Chance, denn man könne den Staat nicht aufbauen, ohne zuvor den Frieden ausgehandelt zu haben. Vielleicht komme dabei doch ein Tausch von serbisch bevölkerten Gebieten im Kosovo gegen albanisch bewohnte Gebiete in Südserbien zustande (wie er in einem Papier der International Crisis Group im August als Option genannt worden war). Serbiens Regierung müsse bei jeglichem Lösungsmodell ihr Gesicht wahren können. Ernst und Shahini zeigten Verständnis für das Zögern der EU bei der Reisefreiheit. "Man kann nicht Reisefreiheit gewähren, nur weil die Leute Opfer waren", sagte Ernst. Shahini erwiderte, es gebe aus gutem Grund technische Kriterien, die zu erfüllen seien, eine Liste von 50 Punkten, darunter Dokumentensicherheit, Grenzsicherung und die Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Shahini bezeichnete das Abarbeiten dieser Liste als einen heilsamen Prozess". Ernst sagte, damit werde ein Land zur Rechtsstaatlichkeit gezwungen. Rathfelder hielt technische Probleme wie die Installation von elektronischen Passlesegeräten für "mit etwas gutem Willen" relativ schnell lösbar. "Aber hinter den technischen Problemen steht ein politisches", da Serbien sich nicht mit der Unabhängigkeit des Kosovo abfinden wolle und eine grundsätzliche Regelung blockiere.
 
 

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