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Haftbefehl gegen den Präsidenten Sudans – Sieg der Menschenrechte oder Spiel mit dem Feuer?

Am 14. Juli 2008 trat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH), Luis Moreno Ocampo in Den Haag vor die Presse und erklärte, wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen solle der sudanesische Präsident Omar Hassan al Bashir angeklagt werden. Ob die Beweise, die Ocampo zusammengetragen hat ausreichen, müssen in den kommenden Monaten die Richter des IStGH beraten.

Bashir vor Gericht?

Für den weiteren Verlauf wird entscheidend sein, ob der Weltsicherheitsrat einer Anklage gegen Bashir zustimmt. Ihm kommt nach Artikel 16 des Rom-Statuts die Möglichkeit zu, das Verfahren auszusetzen. In jedem Fall handelt es sich um ein außergewöhnliches Ereignis: Erstmals in der Geschichte des Strafgerichtshof soll ein amtierender Präsident angeklagt werden, und erstmals würde das Gericht über Völkermord befinden.
Ocampo will zeigen, dass sich niemand, gleich wo auf der Welt, hinter seinem Amt verstecken kann. „Die internationale Gemeinschaft hat in der Vergangenheit versagt, hat den Völkermord in Ruanda nicht gestoppt, hat die Verbrechen auf dem Balkan nicht gestoppt“, sagt der Chefankläger. „Das Neue dieses Mal ist, dass es ein Gericht gibt, ein unabhängiges Gericht, das sagt: Dies ist Völkermord“.
 
Doch genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister. Während die einen über diesen „Sieg der Menschenrechte“ jubeln, warnen die anderen vor möglichen „Kollateralschäden der Anklage“ – dem Zusammenbruch des Friedensprozesses und weiteren Opfern. Skeptiker sprechen von einem „Spiel mit dem Feuer“ und verweisen darauf, dass Bashir genauso wenig festgesetzt und nach Den Haag überführt werden könne wie der bereits 2005 angeklagte, ehemals für Darfur zuständige, Minister Ahmad Harun sowie der Milizenführer Ali Kushayb. Die Anklage schränke daher maximal die Reisetätigkeit des sudanesischen Präsidenten ein, koste aber unter Umständen einen hohen Preis.

Kollateralschäden der Anklage

Die Machthaber in Khartum jedenfalls fühlen sich herausgefordert und schlagen wortreich zurück. Gleichzeitig suchen sie Verbündete in der Afrikanischen Union, der Arabischen Liga und bei befreundeten Nationen wie China und Russland. Ob Letztere den UN-Sicherheitsrat wirklich dahingehend beeinflussen wollen bleibt fraglich, ebenso wie die Annahme, Bashir werde eine solche Anklage als „Kriegserklärung“ werten – wie vom sudanesischen Botschafter bei der UN angekündigt.

In Afrika wird das Vorgehen gegen Bashir kritisch gesehen. Dem Gericht wird vorgeworfen, es konzentriere sich zu sehr auf afrikanische Staaten. Zudem fürchten Regimegegner in Afrika, die Strafverfolgung von Herrschern wie Taylor, Bemba und Bashir trage dazu bei, dass andere Herrscher um jeden Preis an der Macht festhalten.
Solche Einschätzungen weisen auf die Kluft zwischen einer unabhängigen internationalen Rechtssprechung und realpolitischen Erwägungen hin. Gerechtigkeit durchzusetzen ist Aufgabe der Ankläger und Richter des IStGH. Die Befürworter des Gerichtshofs haben dieses Prinzip hochzuhalten.

Diplomatie oder Recht?

Es bleibt abzuwarten, ob die Monate, die bis zu einer Entscheidung der Richter und des Sicherheitsrats noch verstreichen, für eine diplomatische Lösung des Konflikts genutzt werden: Durch Ocampos Vorgehen bietet sich – ob von ihm gewollt oder nicht – die Möglichkeit, das Regime im Sudan stärker unter Druck zu setzen. Die Vereinten Nationen bemühen sich eine Balance zu finden zwischen der Verpflichtung zur Gerechtigkeit und der Suche nach Frieden, wie es UN-Generalsekretär Ban Ki-moon ausdrückt. Ein erster Versuch zu einem Deal – der Auslieferung der beiden bereits angeklagten Sudanesen bei Aussetzung der Anklage gegen Bashir – ist gescheitert. Das letzte Wort wird der UN-Sicherheitsrat haben. Und der entscheidet politisch.

Hintergründe: