Frage: Gerade in Ländern wie Pakistan, in denen Religion und Politik eng miteinander verwoben sind und der Frieden immer wieder durch terroristische Unruhen gestört wird, ist Gender ein problematisches Thema. Kann sich in einer Welt, in der die Menschen um ihr Leben fürchten müssen, überhaupt an althergebrachten Familienstrukturen etwas ändern?
In Pakistan hat es schon extrem starke Frauen gegeben – auch wenn ihre Zahl sehr klein ist, sind sie doch die maßgeblichen Vorbilder, denen die jüngere Generation folgt. Sie arbeiten stark an den Frauenrechtsbelangen und wollen sich selbst als Frauenrechtaktivistinnen oder als Feministinnen darstellen – jedoch nicht als Verfechterinnen von Gender, weil für sie die Anwendung des Gender-Mainstreamings nicht notwendigerweise zu Gleichheit führt.
Es ist sehr schwierig, die Strukturen zu ändern. Es wurde versucht, im Gesetzesbereich Änderungen zu erzielen – sei es die Ehrenmordfrage, Erb- oder Familienrecht. Ich würde sagen, dass es in Pakistan parallele legale Systeme gibt. Eines, das sich nach dem Koran richtet, eine Art Gewohnheitsrecht, das weder etwas mit dem Staat oder der Religion zu tun hat sowie das ungeschriebene Gesetz – und dann haben wir noch das geltende Recht. Frauen müssen also mit allen Bereichen gleichzeitig umgehen.
Aber Frauen haben ebenso Einfluss im politischen Bereich und waren bereits fähig, die Minderheitsquote von 33% zu erreichen, eine starke Lobby zu bilden und viel nach außen zu kommunizieren – speziell in der Lokalpolitik konnten sie sich so immer mehr behaupten. Das beantwortet aber immer noch nicht die Frage nach den patriarchalischen Familienstrukturen. Vor allem Frauen in ländlichen Gegenden werden sich ihrer Rolle immer mehr bewusst und kämpfen für ihre Rechte. Aber immer noch ist es schwer, die wirklichen Strukturen zu ändern.
Alles in allem kann ich sagen, dass es lange Zeit so war, dass ein Schritt vorwärts und zwei zurück gegangen wurden, da beispielsweise Einschränkungen der Sicherheit Entwicklungen hemmen. So ist der Swat momentan eine extrem gefährliche Zone. Einige meiner Freunde, die für das WFP-Programm arbeiten, schrieben mir, dass sie bedroht worden sind. Es gibt also keine klare Antwort. Auf der einen Seite kämpfen viele Frauen in den urbanen Gegenden stark für ihre Rechte, es gibt aber auch Bereiche, in denen Rückschritte zu erkennen sind. Die Einstellung der Menschen zu verändern ist wohl das Schwierigste.
Frage: Inwieweit lassen sich die pakistanischen Frauen für dieses Thema sensibilisieren und welche Teilerfolge konnten bisher erzielt werden?
Es gibt ja schon einige Erfolgsgeschichten. Beispielsweise hat die politische Teilhabe von Frauen und ihren Projekten zugenommen. Es gibt rund 106 Distrikte in Pakistan und es war schon möglich, in 102 Distrikten Gender-Projekte mit ihren Agenden unterzubringen. Es ist ein langes Projekt, wir haben bereits 1996 damit begonnen. In diesen Jahren haben wir verschiedene Phasen durchlaufen, aber es ist schön zu sehen, dass sich die Nachricht verbreitet und Frauen in die Politik gelangen. Diese Frauen haben eine Menge hinzu gewonnen, wenn es auch eine Menge Kritik gegeben hat, weil sie berühmte Frauen, Töchter etc. eines bekannten Politikers waren. Aber immer noch denke ich, dass auf kleiner Ebene viele Frauen etwas geleistet haben und allein die Tatsache, dass ein Platz für sie zu existieren scheint, ein Erfolg ist.
Aber immer wieder bleibt die Frage der Anwendung. Die wachsende Militarisierung in Pakistan führt dazu, dass wir langsam immer konservativer werden. Ich habe keine Angst vor dem männlichen Kampfgeist, sondern sehr viel vor dem weiblichen. Wir sehen Frauen immer als Kategorie Mensch, der nur einseitig für seine Rechte kämpft. Es gibt religiöse Schulen, die nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen geführt werden. In einigen dieser Schulen richten sich diese Frauen nicht nur an wenig gebildete und arme Mädchen, sondern auch an elitäre Bildungsschichten. Es geht also darum, einen religiösen Rahmen vorzugeben. Sie propagieren eine Agenda, die ich als schweren Rückschlag für die Frauenbewegung ansehe.
Es gibt eine große Lücke, zwischen den Forschern, Praktikern und den Gender-Trainern. Innerhalb der feministischen Agenda denke ich außerdem, dass es eine Inklusion der Theologen geben sollte. Starke und säkuläre Theologinnen, die aus der anderen Perspektive auf das Thema blicken, könnten sehr hilfreich sein. Wir haben also sehr offene Frauen auf der einen und sehr konservative Frauen auf der anderen Seite. Man braucht jemanden in der Mitte, der alle Ebenen miteinander verbindet.
Frage: Der Gender-Workshop dient dazu, internationale Gender-Beauftragte der Heinrich-Böll-Stiftung im Berliner Stiftungshaus zusammenzubringen und einen Austausch über aktuelle Entwicklungen möglich zu machen. Was sagt der internationale Vergleich und welche Parallelen lassen Ihre Arbeiten zu?
Es gibt wirklich einige Parallelen, da wir uns ja in diesem Zusammenhang nur mit dem asiatischen Raum beschäftigen. Es war ein Lernprozess zu sehen, dass in allen Ländern, wo der Begriff Gender an sich auftauchte, dieselben Reaktionen erfolgten. Asien an sich ist natürlich schon sehr groß, aber es gibt kein Wort in unserer eigenen Sprache, dass Gender definiert, sondern nur Frauen oder Männer auf der Basis des Geschlechts. Gender ist zwar ein neutraler Begriff, nicht aber automatisch Teil unserer Sprache. Wir haben also alle gedacht, dass es sich um ein fremdes Konzept handelt, haben aber gelernt, dass man mit anderen Augen auf verschiedene Aspekte schauen kann.
Es gibt einige feste Definitionen, welche die Heinrich-Böll-Stiftung festgesetzt hat. Diese können wir in Form einer Vision fortführen und unsere eigenen Wege und Richtungen dieser Vision umsetzen und erreichen. Möglicherweise nutzen wir alle unterschiedliche Strategien und Konzepte. Aber das Wichtigste ist, dass wir alle als ein Heinrich-Böll-Stiftung -Team an diese Prinzipien glauben und wir dann sehen, dass es sich um erreichbare Ziele aus unserer eigenen Perspektive handelt. Es war sehr ermutigend, dass nicht nur völlig fremde Personen vor dir sitzen, sondern am gleichen Thema nur in einem anderen Kontext arbeiten.
Das Interview führte Sina Nadine Tegeler, Heinrich-Böll-Stiftung.