US-Außenpolitik: Auf Konsens bauen, aber wie?

Das Kapitol in Washington. Foto: Roger Zambrana

Globalisierte Welt und Außenpolitik - Januar 2008

18. Januar 2008
Von Joscha Schmierer
Von Joscha Schmierer

Wann, wenn nicht jetzt, ließe sich die Außenpolitik der USA neu konzipieren? In den amerikanischen Zeitschriften häufen sich die Grundsatzartikel. Wer immer ins Weiße Haus Einzug halten wird: Wenige Vorgänger sahen sich zu Beginn ihrer Amtszeit einer ähnlich schwierigen Situation gegenüber. Kaum weniger als das, was Bush im Irak eingebrockt hat, belastet das, was er unterlassen hat die USA und die Welt: Schuldenanstieg und Dollarverfall haben ihn nicht gekümmert, Energieverbrauch und Klimawandel waren nicht sein Problem.

Vom Mini- zum Maximalprogramm

Außenpolitisch hatte Bush seine erste Präsidentschaft mit einem Minimalprogramm angetreten. Es ging ihm um die Verteidigung und den Ausbau der überlegenen Position der USA gegenüber denkbaren Rivalen. Aufrüstung und „Transformation“ des Militärwesens, also innere Voraussetzungen äußerer Machtentfaltung, bildeten die Eckpfeiler dieser eng auf die militärische Sicherheit der USA beschränkten Außenpolitik. Doch nach dem Überfall auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington wurde dieses anachronistische Minimalprogramm durch ein bodenloses Maximalprogramm abgelöst. Im Zentrum stand immer noch die Sicherheit der USA, doch sollte diese nun allein durch die Verbreitung der Demokratie rund um die Welt, vor allem aber in Greater Middle East, erreichbar sein.

Die zentrale Denkfigur findet sich in vielen Reden des Präsidenten. „Im Irak sind unsere moralischen Verpflichtungen und unsere strategischen Interessen ein und dasselbe. So verfolgen wir die Terroristen, wo immer wir sie finden und stehen den Irakern in dieser schwierigen Stunde bei – denn der Schatten des Terrors wird auf unserer Welt lasten und das amerikanische Volk wird niemals sicher sein, ehe das Volk des Mittleren Ostens die Freiheit kennt, die unser Schöpfer allen zugedacht hat“, machte er etwa am 22. August 2007 vor Veteranen geltend.

Weltinnenpolitik

Die unmittelbare Verknüpfung von weltweiter demokratischer Mission und innerer Sicherheit negiert das Andere der Außenwelt und erhebt die Anverwandlung der Staatenwelt an die USA zum strategischen und moralischen Imperativ. In dieser kurzschlüssigen Version von Weltinnenpolitik gehen Egozentrik und universale Mission Hand in Hand. Sie schwächt die fast naturwüchsige Anziehungskraft der amerikanischen Demokratie.

Gegenwärtig stecken die USA mitten in den Dilemmata ihres weit ausholenden Schwenks: Demokratieförderung geriet generell unter den Verdacht, nur als Rechtfertigung militärischer Intervention und machtpolitischer Einmischung gegen unbotmäßige Regime her zu halten, während sie gegenüber befreundeten despotischen Regimen nie ernst gemeint schien.

Wenn die USA und andere Demokratien nur in einer Welt von Demokratien sicher sind, leben sie noch lange, vielleicht für immer gefährlich.
An Bushs Maximalprogramm wird die neue Administration nicht anknüpfen können und wohl auch nicht wollen. Der Rückzug auf die bloße Selbstbehauptung als überlegene und unangreifbare Militärmacht bleibt ihr jedoch verwehrt. Globalisierung kann sabotiert werden, ihr entziehen kann sich keine noch so große Macht. Sie ist eine Tatsache. Welche Außenpolitik könnte dann aber die innere Spaltung überwinden, indem sie weder die Möglichkeiten der USA überschätzt, noch ihre globale Verantwortlichkeit vernachlässigt?

Nach den zwei Ausschlägen ins Extrem unter Bush wird eine neue Mischung zwischen Idealismus und Realismus, zwischen Internationalismus und nationalem Interesse gesucht, ein neues Einverständnis zwischen Konservativen und Liberalen über die Parteigrenzen hinweg.

Wo liegt Acirema?

Derek Chollet und Tod Lindberg entwerfen in Policy Review, der Zeitschrift des Hoover Institutes der Stanford University, mit „Acirema“ ein Gegenbild zu dem Amerika, das ihnen vorschwebt. Acirema macht sich von allen Wertvorstellungen frei. Warum sollte es sich um friedliche Beziehungen unter Staaten und die Illegitimität von Krieg und Eroberung kümmern? Die Stabilität anderer Staaten wäre für Acirema nur insoweit von Interesse, als sie auf die eigene Stabilität Einfluss hätte. Bündnisse würde es nur mit Staaten schließen, deren Fähigkeiten die eigene Sicherheit verbesserten. „Preemptive action“ könnte sich als notwendig erweisen, um deutlich zu machen, dass der Besitz von einigen Nuklearwaffen, Acirema nicht abschrecken kann. Auch wenn solche Ansichten in einigen kleinen Segmenten des politischen Spektrums vertreten würden, „gibt es zum Glück keinen plausiblen Übergang von Amerika zu Acirema“, trösten die beiden Verfasser.

Die offene und öffentliche Abwägung von Werten, Interessen und Möglichkeiten in politischen Entscheidungen ist Bedingung jeder Konsenssuche. Die Werte, um die es dabei geht, seien weder sentimental noch abseitig, sondern „umfassen den Kern der auf Regeln gegründeten liberalen internationalen Ordnung, die die Vereinigten Staaten anstreben sollten. Dabei geht es nicht nur um unsere Wünsche. Es geht darum, was wir sind.“ Wenn in diesem Artikel die Bedeutung von Institutionen und Bündnissen stark hervorgehoben wird, werden nicht nur Akzente gegenüber der Bush-Administration verschoben.

Richard Haass, früher Leiter des Planungsstabes im State Department unter Colin Powell und heute Präsident des Council on Foreign Relations, eines renommierten Think Tanks in Washington, fordert schon länger, die Politiker müssten sich nach und nach  mit dem Umstand vertraut machen, dass die das „Zeitalter prägenden Herausforderungen der Globalisierung entspringen“. In einem Aufsatz in The National Interest verficht er seinen Ansatz der Integration als politische Antwort auf die wechselseitigen Abhängigkeiten, die die Globalisierung hervorbringt. Mit diesem Ansatz überspringt er die Gespensterdiskussionen, ob die Welt heute unipolar, multipolar oder erneut wieder bipolar strukturiert sei.

Weltherrschaft als Chimäre

Wenn alle Mächte von einander abhängig sind, verändert sich nicht nur ihr Verhältnis untereinander, sondern der Charakter der Macht selbst. Nicht nur ist Weltherrschaft zur bloßen Chimäre geworden, es kann auch nicht länger ein eigener Claim abgesteckt werden. Eine Politik der Integration bedeutete für die USA zu versuchen, mit anderen Mächten zurechtzukommen und zu kooperieren, obwohl sie anders sind. Alle Mächte sind von der Globalisierung abhängig, wenn auch nicht im gleichen Maß. So sei der Boden für Kooperation mit China günstiger als der für die Zusammenarbeit mit Russland.

Richard Haass macht Ernst mit der Globalisierung. Sie begrenze selbst für Supermächte wie die Vereinigten Staaten die Entscheidungsfreiheit. „Das aber ist eine notwendige und zugleich wünschbare Einbuße, wenn die Globalisierung erfolgreich bearbeitet werden soll.“ Den Satz kann man sich nach aller Hybris der letzten Jahre auf der Zunge zergehen lassen.

An einen dauerhaften außenpolitischen Konsens mögen Charles A. Kupchan und Peter L. Trubowitz nicht mehr glauben. Die Mitte, die ihn im Kalten Krieg getragen habe schwinde dahin, und die internationalen Entwicklungen seit dessen Ende erzwängen ihn nicht länger. Die zunehmende soziale und regionale Polarisierung im Inneren und das Verschwinden des äußeren Gegenpols beseitigten die Bedingungen, die im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg einen dauerhaften außenpolitischen Konsens über die Parteigrenzen hinweg ermöglicht hätten. Demnach müsste man sich auf ständige Überraschungen durch die amerikanische Außenpolitik einstellen. Die Schwenks während der beiden Präsidentschaften von George W. Bush hätten für die EU und Deutschland dann nur ein erstes Training bedeutet.
Letztlich werden Globalisierung als Tatsache und Integration als angemessene politische Antwort die Außenpolitik nicht nur der USA prägen. Hoffentlich ohne neue Abstürze zwischendurch.

>> Derek Chollet and Tod Lindberg, A moral core for U.S. Foreign Policy. Is idealism dead?
In: Policy Review Dec 2007& Jan 2008

>> Richard N. Haass, The Palmerstonian Moment
In: The National Interest No. 93, Jan-Feb 2008

>> Charles A. Kupchan and Peter L. Trubowitz, Dead Center: The Demise of Liberal Internationalism in the United States
In: International Security, Vol. 32, No. 2, Fall 2007
Eine wesentlich kürzere Fassung erschien in Los Angeles Times, October 21, 2007

 
 

 
 
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