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Die postimperiale Präsidentschaft

Noch sei es nicht zu spät für einen Kurswechsel, so Obama.
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15. Januar 2009
Von Joscha Schmierer
Von Joscha Schmierer

Zwanzig Jahre nach 1989 könnte aus 2009 mehr als ein Gedenkjahr der deutschen Vereinigung und der Auflösung des Sowjetimperiums werden. 2009 könnte zu dem Jahr werden, in dem aus der fundamentalen Veränderung der internationalen Situation, die die Auflösung der Blockordnung mit sich brachte, endlich die politischen Konsequenzen gezogen werden. Den Anstoß dafür könnte die neue Präsidentschaft der USA geben.

Imperiale Weltinnenpolitik

In den letzten zwanzig Jahren hatten sich die USA immer vorbehaltsloser einem ökonomischen und politischen „Weiter so“ verschrieben und waren in der Präsidentschaft von George W. Bush schließlich zu einer durch und durch konservativen Macht geworden: keine Zustimmung zum Internationalen Strafgerichtshof, keine Unterschrift unter die Klimaabkommen, keine Rede von Abrüstung. Zugleich gab sich ihr politisches Beharrungsvermögen nach außen durchaus revolutionär, indem die USA die falls notwendig auch gewaltsame Durchsetzung universeller Werte wie Freiheit und Menschenrechte zu ihrer ureigenen Mission und zugleich zum strategischen Kern ihrer Sicherheitspolitik erklärte. Darin zeigte sich das Konzept einer imperialen Weltinnenpolitik, das mit universalistischer Rhetorik ziemlich unverhohlen partikulare Machtinteressen und eng verstandene Sicherheitsinteressen zum globalen Projekt erhob – mit bestem Gewissen natürlich.

Ein neues amerikanisches Jahrhundert wurde proklamiert, eine weltweite Pax americana sollte begründet werden. Einer Institution wie der UNO wurde die Irrelevanz angedroht, wenn sie sich nicht der US-Politik anpasste. Einem Bündnis wie der NATO, das Beschlussfassung durch Konsens vorsieht, wurden coalitions of the willing vorgezogen, in denen sich Staat für Staat die Beschlüsse der US-Regierung zu eigen machen. Über das Recht auf Präventivkrieg sollte der Staatengemeinschaft keine Mitsprache und kein Urteil eingeräumt werden.

Analytisch gründete sich diese imperiale Weltinnenpolitik auf die Annahme, dass nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums die USA als einzig verbliebene Supermacht aus der nun unipolaren Welt das im amerikanischen Sinn Beste zu machen hätten. Die USA hatten aus dieser Sicht die andere Supermacht durch ihre allseitige Überlegenheit besiegt. In einem nun global ausgerichteten „Weiter so und noch viel mehr“ konnte es nur darum gehen, den Einfluss der USA uneingeschränkt zur Geltung zu bringen.

Der Westen wurde nicht als komplexes Verhältnis unterschiedlicher politischer Kräfte verstanden, sondern als Gewicht, das die USA über ihr eigenes hinaus in die Wagschale werfen konnten. Entsprechend groß war die Empörung, als sich in Europa vor allem im Vorfeld des Irakkrieges ein gewisser Eigensinn bemerkbar machte. Die erzkonservativen Souveränisten in Washington ließen sich voller Häme über das Alte Europa aus und lobten ihre Gefolgschaft als das Neue Europa, als ob sie mit der EU nun nicht länger rechneten.

Ungezügelte Macht der Exekutive

Die Ideologen dieser amerikanischen Weltinnenpolitik waren die Neokonservativen. Neokonservativ klang für eine Weile ein beträchtlicher Teil der amerikanischen Öffentlichkeit. In einer Welt voller Bosheit, wie sie sich in den Terrorangriffen auf New York und Washington gezeigt hatte, gegenüber einer Achse des Bösen musste Mars die höchste Berufungsinstanz sein. Im Zeichen von Mars musste der Exekutive der fraglose Vorrang vor den anderen Gewalten und vor der Gesellschaft eingeräumt werden. Senator Arlen Specter, ein Veteran der amerikanischen Rechtspolitik und Vorsitzender des Justizausschusses von 2005 bis 2007, meinte unlängst gegenüber einem Journalisten der New York Times: „In ein paar Jahrzehnten werden die Historiker auf die Zeit zwischen 9/11 und heute zurückschauen als eine Ära ungezügelter Macht der Exekutive und der Einflusslosigkeit des Kongresses.“ (vgl. Jonathan Mahler, After the Imperial Presidency, New York Times Magazine vom 9. 11. 2008)

Da sich die USA in einer unipolaren Welt ohne wirksame Gegenmacht zu bewegen schienen, lag die Hoffnung nahe, die amerikanische Mission ließe sich ohne viel Widerstand vollenden. Mission accomplished, hieß es alsbald zum Irak. Es klang wie das Signal für weitere Großtaten. Auch heute gibt es Leute, die aus der Tatsache, dass nur noch wenige amerikanische Soldaten im Irak ihr Leben lassen, schließen, der Krieg habe sich entschieden gelohnt. Er wird als Investition betrachtet. Sein Preis wird in Dollar gerechnet, aber nicht in toten und verkrüppelten Irakern, in den abertausenden von Flüchtlingen. Dass Tausende von irakischen Christen dauerhaft im Westen Zuflucht suchen, scheint dem Gerede vom erfolgreichen Sturz einer Diktatur ebenso wenig Abbruch zu tun wie die anhaltenden Verluste in der irakischen Zivilbevölkerung.

George W. Bush erklärte kurz vor dem Ende seiner Präsidentschaft im Interview mit Cal Thomas, seine Partei müsse die Prinzipien klären, „die ihm und anderen republikanischen Präsidenten den Wahlsieg“ ermöglichten und seine und ihre Politik begründeten: „Zum Beispiel die universelle Geltung der Freiheit. Wir sollten die Partei sein, die sagt: Die Freiheit ist ein universeller Wert, sie bringt den Frieden. Wir sollten die Partei sein, die sagt: Wir haben das Notwendige getan, damit wir uns zu Hause sicher fühlen, und wir haben darüber hinaus 50 Millionen Menschen befreit und ihnen geholfen, Demokratien zu entwickeln in Weltgegenden, von denen es einmal hieß, da könne es niemals Demokratie geben. Wir sind die Partei des Freihandels und niedriger Steuern.“ So richtig überzeugend wirkte diese Bilanz offensichtlich nicht auf das amerikanische Volk. Wie hätte sonst ein Präsident die Wahlen gewinnen können, dessen Aufruf zur Veränderung sich zuletzt auch sein Gegenkandidat nicht hatte entziehen können.

Noch nicht zu spät für Kursänderung

Der Wahrheit näher als Bushs Endbilanz kommt die Eröffnungsbilanz von Barack Obama, die er schon kurz vor Amtsantritt so umriss: Noch sei es nicht zu spät, um den Kurs zu ändern, doch könnte sich die schlechte Situation zunächst noch verschlimmern. Aus dieser Krise kämen die USA nicht heraus, indem man einfach auf bessere Tage warte oder sich auf abgetragene Dogmen der Vergangenheit verlasse: „Wir sind in diese Situation geraten, weil in Firmenzentralen wie im Machtzentrum von Washington DC über eine lange Zeit Verantwortungslosigkeit geherrscht hat.“ Das Ergebnis sei ein verstörender Verlust an Vertrauen in „unsere Wirtschaft, unsere Finanzmärkte und unsere Regierung.“

Verfehlte Sichtweisen und Konzepte sind langlebiger als die Situation, in der sie entstanden und eine gewisse Plausibilität hatten. Man muss also gar nicht das Erinnerungsvermögen beanspruchen. Man kann die Relikte der imperialen Konzeption der US-Politik auch heute noch in der Presse finden. So zeigt sich die Washington Times in einem Editorial erschüttert über Global Trends 2025: „Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 waren die USA die einzige Supermacht der Welt. Aber mit dieser Vorherrschaft wird es 2025 vorbei sein, folgt man einem Bericht des National Intelligence Council, einem Zentrum für strategisches Denken in der amerikanischen Regierung.“ Gegenüber amerikanischem Unipolarismus habe eine Verteilung der Macht gefährliche Nachteile. Was passiere wohl, wenn China im Bündnis mit anderen Nationen, die seinem Entwicklungsmodell folgten, schließlich den amerikanischen Einfluss übertreffe und die neuen Modelle von „Staatskapitalismus“ und autoritärer Regierung mit den amerikanischen Idealen in Konflikt gerieten?

Die Schlussfolgerung der erzkonservativen Washington Times ist so klar wie rückwärts gewandt: „Die einzige Supermacht der Welt zu sein, könne der Öffentlichkeit, die damit beachtliche Verantwortung auf sich nehmen müsse, oft wie ein Fluch und eine Last erscheinen. Aber an Boden zu verlieren erweise sich als eine noch größere Falle – in der zuletzt die amerikanischen Freiheiten gefährdet sein könnten.“ Man müsse den Weckruf ernst nehmen: „Entweder erheben wir uns auf die Höhe der Herausforderungen oder erlauben wir unseren Rivalen weiteren Boden gut zu machen – und möglicherweise eines Tages unsere höchsten Ideale zu bedrohen.“

Man kann hier richtig spüren, wie aus der verkehrten Annahme, zur einzig verbliebenen Supermacht berufen zu sein, relative Verschiebungen in den internationalen Kräfteverhältnissen als lebensgefährliche Bedrohung erscheinen. Dabei hat der „Sieg“ über die andere Supermacht gerade eine Welt eröffnet, in der mit dem Ende der in ihrem Lager jeweils absoluten Vorrangstellung der beiden Supermächte die internationalen Kräfteverhältnisse fließend werden und sich nicht länger polar anordnen, weder bipolar wie in der Blockordnung noch unipolar oder multipolar. Was etwa hat ein Malocherstaat wie China mit dem Öl- und Gasrentnerstaat Russland gemein?

Die Welt ist unordentlicher und offener geworden

Dieser nichtpolaren Welt müssen sich auch die USA als stärkste Macht in ihrer Politik stellen. Das „Zeitalter der Globalisierung“ erweist sich zugleich als „age of nonpolarity“ (Vgl. Richard N. Haass, The Age of Nonpolarity, in: Foreign Affairs 87/3). Die Globalisierung lässt sich nicht unipolar und imperial beherrschen, zugleich verlangt sie nach einer politischen Ordnung, die antagonistische Machtkonstellationen vermeidet, beziehungsweise überwindet, wenn der Globus nicht auseinander brechen soll.

Relative und sei es die stärkste Macht ist nicht in eins zu setzen mit der Ordnungsmacht, über die die beiden Supermächte in ihren Blöcken jeweils verfügten. Auf Grund des Blockgegensatzes und der Rivalität der beiden Supermächte verfügte die Welt des Kalten Krieges zugleich über einen dynamischen globalen Ordnungsmechanismus, der die Chinesen seinerzeit von „Kollision und Kollusion“ der Supermächte sprechen ließ. Es war das Unglück der letzten zwanzig Jahre, dass die Vereinigten Staaten ihre gegenüber allen anderen Staaten und Mächten überlegene Stärke zunehmend als Ausstattung für die Rolle der einzig verbliebenen Supermacht begriffen.

Statt ihren herausragenden Beitrag zur Schaffung einer kooperativen, international konzertierten Ordnungsmacht zu leisten, die auf Grund der früheren amerikanischen Initiative mit UN und Sicherheitsrat bereits Rahmen und Form hatte und nun eine zweite Chance erhielt, beanspruchten die USA diese globale Ordnungsmacht für sich selbst. Das war ein gewaltiger Missgriff. Leider sind seit 1989 nicht nur zwanzig Jahre, die für eine globale Ordnungspolitik hätten genutzt werden müssen, weitgehend verloren. In diesen zwanzig Jahren wurde zuletzt mehr und mehr Porzellan zerschlagen. So stimmt es heute schon hoffnungsvoll, dass die Chance einer neuen Weltordnung, die der ältere Bush ja durchaus als Aufgabe begriffen hatte, nicht vollends verspielt ist. Die Ursache für dieses nicht eben kleine Wunder lässt sich in der Wirklichkeit der Globalisierung selbst finden. Sie besteht in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Vernetzung über die Staatsgrenzen hinweg und drängt eben deshalb zur Kooperation unter den Staaten.

Es wird den USA als stärkster Macht nicht leicht fallen, als Staat unter Staaten zu agieren, als Macht, auf die es zwar in erster Linie und letztlich ankommt, die aber durch Usurpation globaler Ordnungsmacht nur Chaos anrichten kann. Mit der Wahl von Barack Obama haben die USA ihre Fähigkeit erwiesen, eine partikulare und unangemessene Sichtweise auf den Globus zu überwinden. Jetzt muss der postimperialen Präsidentschaft Kooperationsbereitschaft und Kompromissfähigkeit aus der Staatenwelt entgegen kommen. An Gelegenheiten zur Probe aufs Exempel fehlt es wahrlich nicht.

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