Aserbaidschan zählt zu den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion mit ausgeprägten Demokratiedefiziten. Durch Änderungen der Verfassung im März 2009 ist es Präsident Ilham Aliev gelungen, seine Amtszeit auf Lebenszeit zu festigen. Das autokratische System wird getragen vom Ölreichtum des Landes, der engen Verflechtung von Politik und Oligarchie, von Patronage, Günstlingswirtschaft und dem Mangel an Pluralismus sowie der fehlenden Medien- und Meinungsfreiheit. Gleichzeitig gelingt es dem System Aliev nicht, die Wirtschaft zu modernisieren und einen leistungsfähigen demokratischen Staat zu entwickeln. Kulturell ist Aserbaidschan vom Islam und einer jungen aufstrebenden Gesellschaft geprägt, die berufliche Perspektiven oftmals nur im Westen findet.
Bisher kam es in Aserbaidschan nicht zu öffentlichen Protesten oder einer friedlichen Revolution. Öffentliche Manifestationen der gesellschaftlichen Unzufriedenheit werden mit politischem Druck verhindert. Möglichkeiten zur öffentlichen Meinungsäußerung sind so gut wie nicht vorhanden. Dennoch hat die Opposition andere Nischen für ihre Aktivitäten gefunden, insbesondere die sozialen Medien im Internet wie facebook und youtube.
So äußerte sich Emin Milli in einem Interview für Amnesty International: „Ich fühle, dass meine Freiheit massiv eingeschränkt ist, und ich glaube nicht, dass es fair ist. (…) Die sozialen Medien eröffnen absolut neue Möglichkeiten für die junge Generation in diesem Land und weltweit. Ich liebe diese Möglichkeiten.“ Emin Milli und sein Mittstreiter Adnan Hajizadeh wurden wegen ihrer regimekritischen Haltung bereits im Juli 2009 verhaftet und wegen öffentlichen „Rowdytums“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Blogger hatten ein satirisches Video online veröffentlicht, in dem sich ein Esel bei einer Pressekonferenz über die Lage in Aserbaidschan beklagt. Der Esel wurde schnell zum Symbol der Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Aserbaidschan. Die beiden Blogger wurden nach einem Jahr auf massiven Druck der internationalen Gemeinschaft auf Bewährung freigelassen.
Die Machtelite reagiert besorgt und schürt das Feindbild des Islamismus
Während die Opposition die Regimewechsel im Nahen Osten mit Interesse beobachtet, reagiert die Machtelite mit Besorgnis und schürt zugleich das Feindbild des Islamismus. Eher als kosmetische Maßnahme hat die Regierung Ende Januar 2011 den Kampf gegen die Korruption angesagt und demonstrativ einige Beamte entlassen. Die Opposition gab sich damit nicht zufrieden und setzte ihren Protest fort. So fordert Adnan Hajizadeh in dem erwähnten Amnesty International Interview das Recht der aserbaidschanischen Bürger auf einen friedlichen Protest, „egal ob online, offline, per SMS oder auf den Straßen“.
Um den Protest aus dem Internet auf die Straßen zu bringen, rief die oppositionelle Facebook-Gruppe „Great Peoples Day“ unter der Federführung von Bahtiar Hadschiev am 11. März 2011, genau einen Monat nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mubaraks, zu einer Demonstration für Demokratie und den Rücktritt von Präsident Aliev auf. Bereits im Vorfeld der Demonstration wurden mehrere Aktivisten verhaftet, unter anderem Bahtiar Hadschiev selbst. Seit dem 4. März befindet er sich im Gefängnis unter dem formalen Grund, er habe den Militärdienst verweigert. Die internationale Gemeinschaft fordert die umgehende Freilassung Hadschievs.
Zu den Demonstrationen am 11. und 12. März im Zentrum von Baku erschienen mehr als hundert Teilnehmer und skandierten Parolen gegen Präsident Aliev. Die Polizei ging entschlossen gegen die Demonstranten vor und verhaftete Duzende Menschen. Doch auch diese Repressionen ließen die Proteste nicht abbrechen. Die Regierung versucht die Proteste im Keim zu ersticken und äußert Verschwörungstheorien. So hat Ali Ahmedov, erster Sekretär der regierungsnahen „Neuen Aserbaidschanischen Partei“ verkündet, dass hinter den Protesten Erzfeinde des Landes vor allen aus Armenien stünden. Innenminister Ramil Usubov hat die Bürger aufgerufen, an weiteren geplanten „verbotenen Demonstrationen der radikalen Opposition“ nicht teilzunehmen. Der Zugang zur oppositionellen Webseite Azadliq wurde blockiert.
Demonstranten fordern erneut demokratische Reformen
Obwohl die Regierung eine weitere Kundgebung am 2. April verboten hatte, kam es mit hunderten Teilnehmern zu einer der größten Demonstrationen in Aserbaidschan in den letzten Jahren. Dazu hatte das Public Chamber, eine seit den Parlamentswahlen von November 2010 existierende Koalition aus Mitgliedern der Opposition, parteilosen Politikern und NGO-Aktivisten, aufgerufen. Die Demonstranten forderten erneut demokratische Reformen, Kampf gegen die Korruption und vor allem Alievs Rücktritt. Die Polizei reagierte heftig, indem sie ca. 100 Demonstranten verhaftete.
Die Niederschlagung der Demonstrationen wurde von der Europäischen Union, der amerikanischen Botschaft in Baku sowie NGOs wie Amnesty International und Human Rights Watch kritisiert. Trotz des Drucks der Regierung hat die Opposition weitere Protestkundgebungen angekündigt. Die Reformbereitschaft der Regierung einerseits und die Möglichkeit der Opposition zur Mobilisierung breiter Bevölkerungsgruppen andererseits werden zeigen, ob Aserbaidschan dem nahöstlichen Szenario folgen könnte. Insgesamt lassen sich Regimewechsel nicht prognostizieren. Dennoch muss festgehalten werden, dass die Möglichkeiten zur freien Meinungsäußerung in Aserbaidschan stark eingeschränkt sind, Korruption weit verbreitet ist, die politische Macht in den Händen des Aliev Klans konzentriert ist und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes nicht auf Modernisierung sondern auf dem Ölreichtum basiert. Diese Faktoren sind denkbar schlechte Voraussetzungen für einen Machterhalt auf demokratischer Basis.
Links:
- Petition Deutscher Bundestag: Meinungsfreiheit schützen in Aserbaidschan
- Amnesty International: public statement
- Eastern Partnership Civil Society Forum Steering Committee: Eastern Partnership Statement
Demokratische Blogs in Aserbaidschan:
Hintergründe:
Caucasus Analytical Digest:
- N 24 (2011) „The Political System of Azerbaijan“
- N 16 (2010) “The Political Economy of Oil in Azerbaijan”