Die Schriftstellerin Maissa Bey, eine der wichtigsten Stimmen Algeriens, rechnet vor dem Hintergrund der gegenwärtigen politischen Umwälzungen in der arabischen Welt damit, dass der 8. März in diesem Jahr anders sein wird, als in den letzten Jahren, „weil wir von dem „Wind der Veränderung“ berührt worden sind.“ Die Befreiung des Landes von der französischen Kolonialherrschaft führte nicht zur erhofften Freiheit für Frauen. So hat z.B. das „Familienrecht von 1984 die jungen Frauen regelrecht geknebelt“ und dagegen wollen sie jetzt angehen. Maissa Bey’s Überzeugung ist, dass es „keine ewig gültige Ordnung gibt“ und dass Frauen „gemeinsam die Hindernisse beseitigen können, die man ihnen immer in den Weg gelegt hat.“
Dass Frauen eine führende Rolle in sozialen Bewegungen spielen können zeigt auch der Film „Two Steps Forward“ unserer pakistanischen Partnerorganisation „Shirkat Gah“. Sie agieren als entschlossene „Frontkämpferinnen“ in der Bauerbewegung gegen die Zwangseinführung eines Pachtsystems für die vom pakistanischen Militär genutzten Farmen – und hatten Erfolg.
„Das Gesetz ist eine schlafende Schönheit. Würde nur die Hälfte aller vorhandenen Gesetze angewandt, wäre vieles in China besser“, so die von Peer Junker porträtierte Bürgerrechtsanwältin Guo Jianmei. Sie führt seit Mitte der 1990er Jahre in Peking ein Studien- und Beratungszentrum für Frauen, in dem bisher u.a. 80.000 Rechtsberatungsfälle bearbeitet wurden.
Dass der Internationale Frauentag vom einstigen Kampftag der Arbeiterinnen zumindest in Russland zu einem Tag wurde, der die „Quintessenz des Sexismus markiert“ schildert Jelena Maximowa in ihrer historischen Betrachtung. Ähnliche Einschätzungen vermitteln auch Interviews mit verschiedenen russischen Frauen wie z.B. Galina Michaljowa, die geschäftsführende Sekretärin der Partei JABLOKO. Sie macht für die Verschlechterung der Gleichberechtigungssituation vor allen Dingen die Politik Putins verantwortlich. Für Irina Tartakovskaja, eine auf Genderfragen spezialisierte Soziologin an der russischen Akademie der Wissenschaften, ist daher klar, dass Russland Feminismus als politische Bewegung braucht „als Kampf für tatsächliche Anerkennung gleicher Rechte“ und „die Möglichkeit den Lebensweg frei wählen zu können“.
Trotz starken Anstiegs von Frauen in repräsentativen Positionen und politischen Funktionen in den letzten 40 Jahren hat das in vielen afrikanischen Regierungen nicht immer zu mehr verantwortlichem Handeln im Hinblick auf die Bedürfnisse Frauen geführt. Interviews mit Frauen aus Südafrika und Kenia, wie z.B. mit Eddach Gachukia, Vorsitzende des Nationalen Frauenrats und Parlamentsmitglied von 1974 bis 1983 im Kenianischen Parlament, oder Julia Ojiambo, Kenias erster Frauenministerin, schildern eindrücklich die politischen Notwendigkeiten zur Verbesserung der Situation von Frauen.
Für Feministinnen aus Serbien ist der 8. März nicht ein Datum mit „nur“ historischer Bedeutung oder ein „Feiertag der Heuchelei“, wie Adriana Zaharijevic vom Zentrum für Frauenstudien Belgrad in Interviews herausfindet. Der Tag gibt die Möglichkeit „Solidarität mit anderen Frauen [zu] bekunden, zumal es die Untrennbarkeit von Geschlecht, Gender, Rasse und Klasse anspricht und diese zusammenfügt“.
Gewalt ist und bleibt ein wichtiges Thema für Frauen und Frauenbewegungen überall auf der Welt. In Brasilien ist sie für viele Frauen allgegenwärtig. Alle 15 Sekunden wird eine Frau körperlich angegriffen. Der Täter ist in der Regel der (Ex-)Partner oder stammt aus dem näheren privaten Umfeld der Frau. Eine strengere Gesetzgebung und die Ausweitung des Betreuungsnetzes für die Opfer brachten Fortschritte. Marilene da Paula, Programmkoordinatorin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Brasilien zeigt in ihrem Beitrag, warum es sinnvoll ist, zwei Ansätze zusammenzuführen: den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und die Debatte über öffentliche Sicherheitspolitik.
Die Politologin Julieta Kirkwood, eine der wichtigsten Theoretikerinnen des modernen chilenischen Feminismus, weist deutlich darauf hin, dass als „privat“ angesehene Konflikte als politische begriffen werden müssen. In ihren Schriften stellt sie deshalb wiederholt Themen wie häusliche Gewalt oder die Dämonisierung von Abtreibung ins Zentrum und macht sie so zum Gegenstand öffentlicher Diskussion. Ihr Slogan „Ohne Feminismus keine Demokratie“ prägte schon die Frauenbewegung unter der Pinochet-Diktatur.
Beim Erkunden der Lebenssituationen von Frauen in aller Welt wünschen wir Ihnen Erkenntnis und Lust auf weitere Informationen zur frauen- und geschlechterpolitischen Arbeit der Stiftung weltweit, in Deutschland und Europa.
Barbara Unmüßig Henning von Bargen
Vorstand Leitung des GWI
Barbara Unmüßig
Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht.Henning von Bargen, Jahrgang 1959, Studium der Soziologie, Erziehungswissenschaften, Ethnologie (M.A.) und Dipl. Pädagogik. Ausbildung in TZI, Personalentwicklung und systemischer Gestaltung von Veränderungsprozessen. Gender-Trainer und Gender-Berater seit 1998. Langjährige Erfahrungen in der politischen und gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Seit 1997 Referent für die Gemeinschaftsaufgabe Geschlechterdemokratie bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Seit 2007 Leiter des Gunda-Werner-Instituts.
Dossier
Women's Voices, Women's Choices - 100 Jahre internationaler Frauentag
….ein Grund zum Feiern und Innehalten. Welche Erfolge gibt es im Kampf für mehr Gleichberechtigung, welche Hoffnungen und Wünsche haben Frauen heute? Vor welchen Herausforderungen und Hindernissen stehen Frauen heute in ihrem Streben nach Rechten und Selbstbestimmung?Wir haben unsere Partnerinnen in aller Welt gefragt, wie sie auf diesen besonderen Geburtstag blicken. Heraus gekommen ist ein facettenreiches Bild über die Vielfalt der Lebenswirklichkeiten, über politische Kämpfe, über Rück- und Fortschritte im Kampf für Geschlechtergerechtigkeit, Frauenrechte und Selbstbestimmung. Im Web-Dossier kommen die Frauen aus den verschiedensten Regionen der Welt selbst zu Wort. Unsere 28 Auslandsbüros haben in Interviews, Analysen, Filmen und Videoclips eine breite Palette der gesellschaftlichen Realität von Frauen zusammengetragen. mehr»
Ausgewählte Artikel aus dem Dossier
- Die zweideutige Botschaft der „Mancession“ - Was die Wirtschaftskrise in den USA für die Amerikanerinnen bedeutet
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„Unsere Mission ist noch lange nicht erfüllt" - Ein Interview mit der polnischen Feministin Wanda Nowicka