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„Das Themenfeld Genderpolitik ist durchaus unterbelichtet“

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28. Oktober 2008
Welche Gewichtung hat Frauen- und Geschlechterpolitik z.Z. bei den Grünen?

Das ist eine klassische Einerseits-Andererseits-Frage. Bei den Grünen ist Frauenpolitik ein wichtiger Politikbereich, sowohl bei uns Politikerinnen wie auch für die Wählerinnen. Frauenpolitik gehört zu den grünen Essentials, den grünen Kernkompetenzen. In der Fraktion kümmern sich viele Abgeordnete in ihren unterschiedlichen Fachbereichen darum, zum Beispiel in der Gesundheitspolitik, der Hochschulpolitik oder der Arbeitsmarktpolitik. Am 4. und 5. Juli 2007 wird die Fraktion einen großen Frauenkongress „Weiter geht´s! Feminismus für die neue Zeit“ in Berlin durchführen. Ebenfalls wird Frauenpolitik ein Schwerpunktthema im Wahlkampf werden. Im vergangenen Jahr haben wir die Bundesregierung wieder frauenpolitisch vorgeführt, mit Anträgen unter anderem zur Quotierung der Aufsichtsräte, zur Entgeltgleichheit, zur öffentlichen Auftragsvergabe. Aber auch zu Themen wie Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung, Magermodels. Keine andere Fraktion im Bundestag ist frauenpolitisch so profiliert wie wir.

Die Quote ist nach wie vor wichtig und wird bejaht. Da gibt es immer mal Scharmützel, aber das finde ich eigentlich gut, weil es auch ein Zeichen dafür ist, dass die Frauen sich als sehr stark wahrnehmen. Wir haben viele Frauen in der Fraktion und wir haben sie in allen Themenbereichen.

Jetzt komme ich zum andererseits: Naturgemäß reicht mir das alles nicht. Mag sein, dass ich hohe Ansprüche habe. Aber ich ärgere mich natürlich über nicht gegenderte Anträge und Papiere aus den Büros der Kolleginnen und Kollegen. Die gibt es ebenfalls. Da will ich auch nichts beschönigen.

Das Themenfeld Genderpolitik ist durchaus unterbelichtet, weder strukturell noch personell verankert. Es ist uns bisher nicht gelungen, das zu etablieren. In den Augen der meisten ist Genderpolitik identisch mit Frauenpolitik, kann also von mir mit übernommen werden. Auseinandersetzungen darüber sind erst in den Anfängen.

Gibt es konkrete Strategien, wie sich die Grünen im Fünfparteiensystem in diesem Bereich profilieren wollen? Wird dies als notwendig angesehen? Wenn, was heißt das für Wahlkampfstrategien?

Die Frage nach den Auswirkungen des Fünfparteiensystems stellt sich für mich in diesem Zusammenhang nicht. Die PDS macht als Fraktion durchaus mal eine interessante Anfrage oder einen Antrag. Gerne übernehmen sie dabei auch größere Teile unserer Papiere. Aber: Eine wirkliche Unterstützung sind sie nicht, im Konfliktfall siegt die Parteiräson. Und die Partei selber ist sowohl frauen- wie auch genderpolitisch eher peinlich. Dieser Männerbund, der sich wählen und feiern lässt und eifersüchtig über jedes Fitzelchen Macht wacht. Christa Müller, die mit ihren unsäglichen Äußerungen durch die Talkshows tingeln darf. Wenn die Frage darauf abzielt, was eine eventuelle rot-rot-grüne linke Mehrheit frauenpolitisch voranbringen könnte: Da warne ich ganz deutlich davor, die Linke in irgendeiner Form zu glorifizieren. Da ist keine große Unterstützung zu erwarten. Eher im Gegenteil.

Spielt Frauen- und Geschlechterpolitik bei der Aufstellung von Kandidat_innen eine Rolle? Inwiefern?

Im Hintergrund läuft das schon mit. Mir scheint es aber selten entscheidend bei der konkreten Wahlentscheidung für den oder die Einzelne. Außer für die frauenpolitische Sprecherin natürlich! Ich bin gespannt, wann einmal  ein Mann sich mit dem Thema Männer- und Genderpolitik profiliert und dafür gewählt wird, dass er sich im Parlament dafür stark machen will. Das scheint mir jedoch noch Zukunftsmusik.


Gibt es Vorstellungen, was die Grünen einer Boulevardisierung und Polemisierung von Geschlechterpolitik alla Dornscher F-Klasse und umtriebiger Alphamädchen entgegensetzen wollen?

Auf diese Frage möchte ich gerne differenziert eingehen. Zur Boulevardisierung: Darunter verstehe ich den Trend zu mehr Personalisierung, Emotionalisierung, Intimisierung und Visualisierung. Das ist eine Tatsache. Hat diesen negativen Beigeschmack von Bildzeitung, von reißerischen Schlagzeilen. Gut, zu Homestories kann man verschiedener Meinung sein. Swimmingpoolstories sind zum Glück ein politisches „No-Go“. Aber dass z.B. Spitzenpolitikerinnen und –politiker ihre Homosexualität offen leben können, finde ich gut. Vielleicht ist es auch ein Bedürfnis in einer Zeit, in der Politik als immer komplexer und technokratischer erlebt wird, auch das Menschliche in der Politik zu sehen und zu zeigen. Mir ist es allerdings wichtig, dass, wer dabei nicht mitmachen will, das auch nicht muss. Der Privatbereich ist zu schützen, Kinder sind zu schützen. Als beispielsweise im hessischen Landtagswahlkampf, mit den heftigen Debatten um die Bildungspolitik hochgespielt wurde, dass Ypsilanti ihren Sohn auf einer Privatschule hat – war mir das zu viel. Das wird ein zunehmend schmalerer Grat. Aber als Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, müssen Politikerinnen und Politiker eben auch diesen Bereich bespielen können, es ist ein Teil des Jobs geworden – ebenso, wie wir uns alle jederzeit im Fernsehen zu unseren Themen äußern können müssen, das muss von den meisten auch erst gelernt werden. Aber ich denke, dass es geht. Es ist durchaus meine Entscheidung, was ich an die Öffentlichkeit bringen will. Das muss ich mir eben dann auch gut überlegen.

Zum Neuen Feminismus: Ich finde diese Debatte gut. Jede Debatte, die so breit geführt wird, hat an ihren Rändern Argumentationen, die abgeworfen werden müssen. Und es ist durchaus ein medial inszenierter Streit, insbesondere der beliebte Konflikt Schwarzer – Neue Mädchen wird ja als „Zickenkrieg“ erster Ordnung gefahren. Aber ich freue mich, dass ich derzeit in allen Feuilletons was zum Feminismus lesen kann.

Ich glaube übrigens nicht, dass neue oder alte Feministinnen unser Problem sind. Sondern viel gefährlicher sind Tendenzen, wie sie etwa Eva Hermann oder Christa Müller verkörpern.

Ich glaube auch nicht, dass wir einen neuen Feminismus brauchen. Wir brauchen einen Feminismus für die neue Zeit – also Antworten auf die derzeitigen, auf die aktuellen Fragen. Und ja, ich freue mich auch, wenn die personelle Basis verbreitert wird, nicht mehr nur Alice Schwarzer hierzulande für „den Feminismus“ steht sondern auch eine Lisa Ortgies oder die Alphamädchen – die übrigens auch zu unserem Kongress kommen werden -  oder eine Thea Dorn. Und ja, von mir aus auch Charlotte Roche. Jede arbeitet und engagiert sich dort, wo sie ist. Der Feminismus, wie ich ihn verstehe, hat den Menschen diesen Raum auch immer zugestanden.

Was mich allerdings wütend macht, ist die gebetsmühlenhafte Wiederholung von miesen, abgedroschenen und falschen Klischees über den Feminismus und die Feministinnen. Wir würden uns nicht um das Private kümmern – das ist doch absurd, „das Private ist politisch“ war schließlich ein zentraler Slogan der Frauenbewegung. Genauso falsch ist, dass Frauen nur als Opfer und Männer als Täter gesehen wurden. Also, ich kann euch versichern, mein Feminismus war immer eine mächtige und lustvolle Sache.

Was ich mir wünschen würde ist, dass wir wieder mehr auf das Gemeinsame setzen und weniger auf das Trennende. Und dass Frauen sich untereinander mehr unterstützen und fördern. Nicht, weil wir alle Schwestern sind. Ich denke, diesen Zahn hat sich der Feminismus ziemlich früh gezogen. Sondern, weil wir Frauen desselben politischen Lagers sind, beispielsweise. Weil wir etwas verändern wollen. Weil wir gleiche Chancen und Möglichkeiten für Frauen und Männer wollen. Dass wir unsere Netze spinnen und den Nachwuchs fördern. Die Unterschiedlichkeit von Frauen als Stärke begreifen und nicht versuchen, eine Leitmeinung durchzusetzen.


Welche Strategien setzen Grüne Politiker_innen der vergeschlechtlichten Personifizierung von Politikeri_nnen entgegen?

Das ist ein schönes Thema. Weil sich auf diesem Gebiet wirklich etwas verändert hat – wenn auch gleichzeitig die Beharrungskräfte in Sachen Geschlechterrollen stark blieben. Beides ist vorhanden.

In Deutschland können Frauen ja erst seit 100 Jahren in den politischen Parteien sein und dort mitarbeiten, erst 1908 fiel das preußische Vereinsrecht, das dies bis dahin verbot. Auch das ist ein Grund, warum Frauen in der Politik das Besondere geblieben sind.

Früher konnten Frauen in der Politik nur als „Nicht-Frauen“ erfolgreich sein, als Urtyp dürfte Maggie Thatcher gelten. Weiblichkeit wurde gleich gesetzt mit politisch inkompetent – und musste daher peinlich vermieden werden. Rollenmodelle für Politikerinnen waren rar bis nicht vorhanden. War sie durchsetzungsstark, galt sie als zickig oder Mannweib, sah sie gut aus, hieß es, sie sei sexy, aber inkompetent. War sie ausgleichend, wurde das gleichgesetzt mit „hat kein Durchsetzungsvermögen“. Usw. Was immer sie tat, wie immer sie sich verhielt: Sie konnte nicht gewinnen.

Heute sehe ich uns in einer Übergangsphase. Angela Merkel hat daran einen großen Anteil. Sie musste dafür gar nichts aktiv tun, nur dadurch, dass sie Kanzlerin ist, hat sie die Rolle und die Wahrnehmung von Frauen in der Politik verändert. Aber durchaus auch verwandelt hat sich die Darstellung der Person Angela Merkel in den Medien. Im Wahlkampf 2005 wirkte sie persönlich und inhaltlich „unweiblich“ (kinderlos, Naturwissenschaftlerin, marktliberal). Heute zunehmend weiblich (den Kompromiss suchend, pragmatisch, Frisur).

Hinzu kommen Frauen wie Hillary Clinton oder Ségolène Royal – wir erleben es als nahezu normal, dass Frauen nach den wichtigsten politischen Ämtern greifen. „Nahezu“, weil es eben immer noch thematisiert wird. Noch gilt der Mann als Normalfall und die Frau als das zu Erklärende, der Sonderfall. Aber die Stereotypen gelten nicht mehr hundertprozentig, sie brechen auf.

Die Frage körperlicher Attraktivität hat die Männer ja durchaus eingeholt. Denken wir an Berlusconis Liftings und Haartransplantationen; an Putins Selbstinszenierung mit nacktem Oberkörper. Mein Lieblingsbeispiel ist das retuschierte Foto von Sarkozy – der ja insgesamt eine unglaubliche Fülle an Material für dieses Thema hergibt – im Wahlkampf, ebenfalls mit nacktem Oberkörper, auf dem seine Hüftringe wegretuschiert wurden. Köstlich!

Andererseits wirken die Geschlechterrollen auch in der Politik nach wie vor fort. Sexualisierung ist für Männer einfacher zu inszenieren. Denken wir an Frau Pauli, die sich hier verheddert hat. Auch die Diskussionen um Angela Merkels Dekolleté fallen da hinein. Körperliche Attraktivität lässt sich schwerer inszenieren, gleitet schnell ins Peinliche. Das gilt für Männer auch, aber nicht im selben Maße sondern deutlich abgeschwächter. Aber stellen wir uns nur einmal vor, Frau Merkel wäre mit einem 30 Jahre jüngeren Model liiert. Auch Clinton oder Royal können wir uns so schwerlich vorstellen.

Aber es gibt auch Möglichkeiten und Gestaltungsspielräume. Die Grünen haben als Partei immer auf Frauen gesetzt. Und zwar unabhängig davon, ob sie Weiblichkeitsvorstellungen bedienen oder konterkarieren. Geschlecht ist nun mal deutlich erkennbar. Ich finde es nur merkwürdig, wenn an das biologische Geschlechte Charaktereigenschaften gebunden werden (freundlicher, umgänglich, kollegial, mitfühlend…).

Weiblichkeit in der Politik kann durchaus zum Pluspunkt werden. Es gibt einen Überdruss der Wählerinnen und Wählern an Potenzgehabe und an Machtinszenierungen. Frauen wirken authentischer, sind überzeugt von Ideen, zeigen Gefühle, sind pragmatischer und vereinen Programm und Persönlichkeit besser. Wir erinnern uns wahrscheinlich alle noch gut an Schröders machohaftes, dominantes Gebaren bei der Elefantenrunde am Wahlabend 2005, was sowohl in der Öffentlichkeit wie auch in den Medien stark kritisiert wurde.

Kern ist die Marke, die herausgebildet werden soll. Wichtig: Niemand darf sich verbiegen, eine Rolle, ein Image übernehmen, das einem gar nicht liegt, das nicht passt. Größtes Kapital in der Politik ist die Authentizität – so abgedroschen das klingt, so wahr ist es.

Irmingard Schewe-Gerigk, MdB, ist parlamentarische Geschäftsführerin und frauenpolitische Sprecherin der Grünen.
Das Interview fürhte Gitti Hentschel.