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Keine Entwarnung: Bedrohung für Gletscher im Himalaya ist real

Lesedauer: 8 Minuten
Drung Drang Gletscher in Indien. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1992. Ein Bild aus dem Jahr 2008 finden Sie hier. Foto: sabamonin. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

31. März 2010
Dr. Jürgen Kropp ist im Bereich „Klimawirkung und Vulnerabilität“ des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) tätig und beschäftigt sich u.a. mit der Erforschung des Klimawandels spezialisiert auf Entwicklungsländer, sowie der methodischen Entwicklung von Klimamodellen bei der Mensch – Umwelt – Interaktion.


Die Klimawissenschaft, insbesondere der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), erhielt in den letzten Wochen heftige Kritik aufgrund von Fehlern im vierten IPCC-Bericht. Wie zuverlässig sind die Ergebnisse der Klimaforschung und wo liegen Ihrer Meinung nach die Probleme hinsichtlich der IPCC-Berichte?

Der IPCC macht selbst ja keine eigenständige Forschung, er fasst den momentanen Sachstand zusammen und sichtet dafür wissenschaftliche Veröffentlichungen. Dafür arbeiten hunderte von Wissenschaftlern zusammen. Bei der Menge der zu berücksichtigen Informationen kann es hierbei zu Fehlern kommen. Diese waren jedoch nicht intendiert, sondern beruhen auf einem Mangel in der Qualitätssicherung. Diese kommen überall vor, was jedoch keine Entschuldigung ist. Dies muss für die nächsten Reports abgestellt werden. Dennoch handelt es sich um einzelne Fälle. Bei der überwältigenden Informationsmenge zum Stand der Forschung die der IPCC sichtet und bewertet, muss ganz klar gestellt werden, dass dies sehr sorgfältig passiert. Insofern sind die im Report dargestellten Ergebnisse sehr zuverlässig, auch wenn es diese bedauerlichen Einzelfehlern gegeben hat. Dies ändert jedoch nichts an der Grundaussage, dass der Mensch die Ursache der momentanen Klimaveränderungen ist.


Welche Fehler wurden bei der Erstellung der Studie über die Gletscher des Himalayas begangen und wie ist der aktuelle Stand der Wissenschaft zu diesem Thema? Wie zuverlässig ist die Gletscherforschung und welche neuesten Erkenntnisse spielen für die Klimapolitik eine Rolle?

Bei der Studie, um die es ging, wurde genau genommen ein Kriterium des IPCC selbst verletzt, denn es war kein begutachteter Originalartikel der in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlicht wurde. Es handelte sich um eine Studie, die sich wiederum selbst auf einen Report einer Fachkommission bezog. Also in der wissenschaftlichen Nomenklatur um eher graue Literatur. Im IPCC-Report wird der World Wildlife Fund for Nature (WWF 2005) mit der Aussage zitiert, dass die Himalaya Gletscher bis 2035 verschwunden sein könnten. Der WWF beruft sich dabei auf ein Dokument der Working Group on Himalyan Glaciology of the International Commission for Snow and Ice von 1999. Das Jahr 2035 ist auch in einem News Report im Jahr 1999 des angesehenen Wissenschaftsjournals „New Scientist“ genannt worden, welches seinerzeit ein Interview mit dem Vorsitzenden dieser Kommission gemacht hatte. In wissenschaftlichen Artikeln ist dies jedoch nie so bestätigt worden. Im Unterschied zu Fachartikeln, die immer begutachtet werden, zeigt sich hier der Nachteil solcher Reports. Es ist, zumindest wenn Quellen sich immer wieder abgeleitet zitieren, nur schwer nachvollziehbar, wie Ergebnisse zu Stande gekommen sind. Hier hat der IPCC einen Fehler gemacht und die müssen in Zukunft ausgeschlossen werden. Hinsichtlich der Gletscher in der Himalaya Region kann dennoch keine Entwarnung gegeben werden. Neue Studien weisen die Gletscherschmelze eindeutig nach. Eine chinesische Forschergruppe hat 2008 für ca. 20 Gletscher, in auf dem tibetischen Hochland, im Schnitt einen Flächenverlust von mehr als 5% für die letzten 45 Jahre nachgewiesen. Nur für einen einzigen wurde überhaupt eine Zunahme, in diesem Fall von weniger als 0.5%, bestimmt. Die Bedrohung ist also real. Für Gletscher in der Region Himachal Pradesh zeigt sich vor allem in niedrigen und mittleren Höhen ein beschleunigter Eismassenverlust. Das ist fatal, weil es vor allem diese Eismassen sind, die den Sommerabfluss von Flüssen regeln. Viele dieser Resultate konnten im letzten IPCC-Report noch nicht berücksichtigt worden, weil sie erst nach Redaktionsschluss erschienen sind. Sie können aber sicher sein, dass dieses Thema im nächsten Report entsprechenden Raum einnehmen wird.


Welche Gefahren und Herausforderungen birgt die Gletscherschmelze aufgrund der globalen Erderwärmung für Südasien?

Das Schmelzen der Himalaya Gletscher kann in den nächsten Jahrzehnten zu vielerlei Problemen führen. Viele der großen asiatischen Ströme werden zu erheblichen Teilen auch durch Schmelzwasser gespeist. Der Ganges könnte bei einer beschleunigter Gletscherschmelze z.B. zu einem zunehmend saisonalen Einflüssen unterliegendem Fluss werden. Dies bedeutet, dass sich die Süsswasserverfügbarkeit verändern wird. Das hat dann Einfluss auf die bewässerungsbasierte Nahrungsproduktion, z.B. in der Indo-Ganges Ebene. Mit diesem Wissen, sollten wir schnell mögliche Lösungsoptionen entwickeln, damit sich vermindernde Wasserresourcen effizienter genutzt werden können. Vor allem auch in einem Land wie Indien, in dem die Bevölkerung schnell wächst. Die Frage ist doch nicht ob Gletscher um 2, 3 oder 5% pro Dekade schmelzen, sondern dass sich aus verändernden Klimabedingungen ein Problem ergibt, welches möglicheweise Entwicklungschancen einschränkt. Für solche Problemstellungen müssen Lösungsoptionen entwickelt werden, da haben wir keine Wahl. Regionen in Südamerika wissen das bereits, denn große Städte wie Lima oder Santiago de Chile beziehen ihr Trinkwasser fast ausschließlich aus Gletscherwasser und müssen sich natürlich fragen, wie sie die Nutzung möglichst nachhaltig gestalten.


Inwieweit sehen Sie Indien für den Klimawandel bzw. den Auswirkungen der Erderwärmung vorbereitet?

Indien ist sicher ein Land welches vor enormen Herausforderungen stehen wird, allein aufgrund seiner demographischen Entwicklung. Aber auch im naturräumlichen Kontext befürchten wir, das in einzelnen Regionen möglicherweise Grenzen für das menschliche Wirtschaften erreicht werden – oder auch in anderen Worten, dass zukünftige Entwicklungsoptionen durch den Klimawandel zusätzlich eingeschränkt werden. Westbegalen ist z.B. eine Region, die nur wenig über dem momentanen Meeresspiegel liegt. Zudem wird auch das Nachbarland (Bangladesh) durch einen Meeresspiegelanstieg im 21. Jahrhundert betroffen sein. Es drohen in dieser Region also nicht nur ein Landverlust sondern auch noch Migrationsströme. Auch Mumbai oder die „Backwaters“ in Kerala sind durch einen Meeresspiegelanstieg bedroht. In letzterer Region werden vielerorts große Getreidemengen produziert. Ein Landverlust hier wäre fatal, denn er würde sofort auch die Sicherheit der Nahrungsmittelproduktion betreffen. Denkbar ist auch das sich das Monsungeschehen verändert. Es gibt Untersuchungen die darauf hindeuten, obwohl hier noch weitere Forschung notwendig ist. Ich bleibe dennoch dabei, in einem Land das sehr dicht besiedelt ist, indem schon heute die Landwirtschaft in Teilen unter Wassermangel leidet, müssen Lösungen her, die eine nachhaltige Zukunft sichern. Indien könnte hier einen Schritt vorangehen und nach meiner Einschätzung ist das Thema auch bei politischen Entscheidungsträgern angekommen. Indien versucht zunehmend integrierte Lösungen zu entwickeln. Dabei wird Klimaschutz und Anpassung und nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung als ein Thema gesehen. Dies ist eine gute Entwicklung, auch wenn Indien erst am Anfang steht. Aber der Ausbau der internationalen Kooperation kann hier helfen, die Wege zu ebnen.


Wie kann die Klimawissenschaft und das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung — PIK dabei helfen, mit den Risiken des Klimawandels verantwortungsvoll umzugehen?

Wir sehen unsere Aufgabe darin, valide Forschungsergebnisse zu liefern. Aufgrund der Brisanz des Themas stehen wir aber mit unseren Ergebnissen auch im Fokus der öffentlichen Debatten. Dies kann manchmal etwas ernüchternd sein, denn man muss auch Kritik einstecken können. Dennoch ist Forschung zum Klimathema unsere zentrale Aufgabe. Als Institut, das unter seinem Dach sozial- und naturwissenschaftliche sowie ökonomischen Expertise vereint, können wir viel detaillierter hinschauen und nicht nur Optionen für den Klimaschutz, sondern auch für die Bewältigung regionaler Klimafolgen erarbeiten. Diese Arbeitsumgebung ist weltweit schon sehr einzigartig und inspirierend. Aber dennoch, nach dem Minimalkonsens der Konferenz von Kopenhagen, ist es enorm wichtig, dass die Forschung international enger kooperiert, vor allem um Kluft zwischen dem Norden und Süden zu minimieren. Hier sehen wir Länder wie Indien oder Brasilien als zukünftige wichtige Protagonisten. Um diese Zusammenarbeit zu stärken existiert am PIK seit ca. 1 Jahr eine Nord-Südarbeitsgruppe, die von mir selbst geleitet wird und die sich mit speziellen Fragen der Klima- und Entwicklungsproblematik auseinander setzen. Eine Frage ist eben genau, inwieweit ein beschleunigter Klimawandel und Entwicklungsziele sich nicht in einzelnen Regionen sogar ausschließen. Oder etwa wie ein Übergang zur Nachhaltigkeit angesichts eines nur schleppenden Technologietransfers etc. funktionieren kann. In diesem Zusammenhang wird schnell nach Finanzierungsoptionen gerufen, aber bisher hat kein Land darüber nachgedacht, wie ein Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung in seinen Grundzügen überhaupt aussehen kann. Genau dies ist jedoch notwendig, denn letztlich wird Klimaschutz und Anpassung national und regional umgesetzt werden müssen. Hier sehen wir noch viele Forschungsfragen, die ungelöst sind.


Wie sieht Ihre weitere Zusammenarbeit mit Indien und indischen Institutionen aus?

Wir haben eine Reihe von existierenden Kooperationen mit indischen Institutionen, die sehr gut funktionieren. So führen wir mit weiteren Partnern ein durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Projekt zur Megastadt Hyderabad durch. Zudem beginnen wir zusammen mit dem International Council of Local Environmental Initiatives (ICLEI) ein Projekt in 4 indischen Städten zum Thema Klimaschutz und Anpassung. Dieses Projekt wird von der Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministerium gefördert. Zudem bestehen enge Kontakte zu lokalen Büros und Projekten der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit im Klimabereich. Im Rahmen eines ebenfalls vom Ministerium für Umwelt geförderten Projekts bauen wir eine interaktive Informationsplattform zu Klimawandel, -wirkung und Anpassung auf, die regional aktive Entscheidungsträger mit Wissen versorgen soll. Auch hier ist Indien eine Teilkomponente, weil regionale Studien geplant sind. Was wir gerne zukünftig tun würden, ist die Etablierung eines Projektes zum Thema nachhaltige Entwicklungspfade für einzelne Länder – auch in Kooperation mit indischen Partnern. Zu diesem Zweck bauen wir Kooperationen weiter aus und versuchen diese auch durch Fördermittel abzusichern. Indien spielt da natürlich eine wichtige Rolle.

Die Fragen stellte Dr. Michael Köberlein, Direktor Heinrich Böll Stiftung Indien.

Mehr zum Interviewpartner unter:
http://www.pik-potsdam.de/~kropp/

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