Mehr davon: die zweiten deutsch-israelischen Literaturtage in Berlin












16. April 2008

Von Jan Engelmann und Karin Lenksi



Von Jan Engelmann und Karin Lenski

Große Medienresonanz und ein starkes Interesse an Israel

Rund 600 Teilnehmer, zehn Autoren und zwei Kinofilme an insgesamt vier Orten: Das sind die nackten Zahlen der zweiten Auflage der deutsch-israelischen Literaturtage vom 11. bis zum 13. April 2008 in Berlin. Die Tatsache, dass alle Veranstaltungen komplett ausgebucht waren und die große Medienresonanz unterstreichen das unvermindert starke Interesse an Israel, die Neugierde auf eine multiethnischen und soziokulturell sehr dynamischen Gesellschaft, immer eingedenk der besonderen Rolle, die das Land in den herrschenden Konfliktformationen der Weltpolitik spielt.

War die Spiegelveranstaltung 2007 in Tel Aviv, ebenfalls durch das Goethe-Institut und die Heinrich-Böll-Stiftung organisiert, noch mit einem skeptischen Satz Dan Diners überschrieben – „Israel ist von Europa, aber nicht in Europa“ –, so sollte es jetzt, anlässlich des 60. Jahrestags der Gründung Israels, verstärkt um eine nüchterne Bestandsaufnahme und den spekulativen Blick in die Zukunft gehen.

Reflexion der deutsch-israelischen Beziehungen

Die eingeladenen Autorinnen und Autoren vornehmlich der jüngeren Generation beider Länder reflektierten in Lesungen und Diskussionen den politischen und kulturellen Wandel, der die nach wie vor komplexen deutsch-israelischen Beziehungen prägt. Sie sprachen über Krieg und Frieden, Angst und Terror und den „Traum von Normalität“. Welchen Stellenwert haben nationale Identität und Staatlichkeit hier und dort? Welche Themen durchziehen die jeweiligen literarischen Diskurse? Welche Freiräume bieten die Großstädte Tel Aviv und Berlin, kulturelle und politische Gegenwelten zu schaffen?

Hier wie dort – eine besondere Beziehung

Um die (Un-)Möglichkeit von Normalität in der Deutsch-Israelischen Beziehung ging es in der Eröffnungsveranstaltung „Hier wie dort – eine besondere Beziehung“ im Admiralspalast. Den Auftakt machte eine Lesung des Jerusalemer Autors Eshkol Nevo aus seinem Roman „Vier Häuser und eine Sehnsucht“, der von den vielfältigen Stimmungslagen der Bewohner eines Jerusalemer Vororts nach der Ermordung Jizchak Rabins erzählt. Er entwirft darin ein soziales Kaleidoskop, das schon durch seine formal sehr komplexe Anlage mehr über die israelische Gesellschaft auszusagen vermag als ein Nachrichtenbeitrag. Die Frage, wie stark das Israelbild der Deutschen von der eigenen Befindlichkeit bestimmt ist, erörterte Nevo gemeinsam mit der deutschen Autorin Katharina Hacker und dem österreichischen Schriftstellerkollegen Robert Menasse.

Bewusst provokativ wurde von Hacker dabei die mangelnde Offenheit und die Konzentration auf innerpolitische Themen als Tendenz innerhalb der zeitgenössischen israelischen Literatur hervorgehoben. Es sei allerdings eine „vorsichtige Neugier“ an deutscher Kultur auch auf israelischer Seite spürbar. Robert Menasse, als Spross einer weltweit versprengten jüdischen Wiener Familie fast selbstverständlich mit Diasporafragen betraut, gestand seine „biografische Scham“, erst spät vehement für das Existenzrecht Israels eingetreten zu sein. Einigkeit herrschte unter den Diskutanten darüber, dass die Ermordung Rabins einen spürbaren Wendepunkt innerhalb der israelischen Gesellschaft darstelle, die seitdem durch einen allgemeinen Rückzug ins Private und die Suche nach starker Führung gekennzeichnet sei.

Normalität? Zum Glück uneinlösbar

Wird die Gefährdung Israels nach den Attentaten von New York, London und Madrid hierzulande besser nachvollziehbar? Dies war die Leitfrage des zweiten Panels im Roten Salon der Volksbühne unter dem Titel „Einsame Rufer? Vom bedrohten Staat und inneren Sicherheiten“, die Assaf Gavron („Ein schönes Attentat“), Michal Zamir („Das Mädchenschiff“) und Ulrich Peltzer („Teil der Lösung“) in ihren Büchern aus sehr unterschiedlicher Perspektive aufgreifen. Während Gavron und Zamir auf provokante Weise den alltäglichen Ausnahmezustand im Nahen Osten und die zunehmende Verrohung der Gesellschaft beschreiben, porträtiert Peltzer in seinem Buch drei prototypische Vertreter aus unterschiedlichen Generationen der deutschen Linken. Gemeinsam ist den Romanstoffen der 11. September 2001 als fester Bezugspunkt der Handlung. Eine Diskrepanz besteht jedoch in der jeweiligen historischen Bedeutung dieses Datums: Der 11. September werde in Israel im Gegensatz zu Deutschland nicht als Wendepunkt begriffen, so Gavron. Möglicherweise habe er aber den Blick auf Israel verändert. Während in Deutschland über die Architektur eines präventiven „Überwachungsstaates“ derzeit vor allem kritisch diskutiert wird, ist die Frage der Sicherheit in Israel so fundamental, dass jede Reflexion hierüber redundant wäre. Der Normalität, so das Resümee der Gesprächsrunde, haftet jedoch aus ästhetischer Sicht stets etwas Beängstigendes an, und so bleibe dieser Zustand hier wie dort zum Glück uneinlösbar.

Welt und Weltflucht – Leben und Schreiben in Tel Aviv/ Berlin

Angesichts der latenten Angst vor Anschlägen und der Sorge um eine ungewisse Zukunft stürzen sich viele Bewohner der Metropole Tel Aviv in ein umso intensiveres „normales“ Leben. Der Alltag dort scheint mit dem im Rest des Landes nicht viel gemein zu haben. Auch der deutschen Hauptstadt sagt man nach, in ihrer geschichtlich bedingten Selbstbezüglichkeit eine gewisse Insellage einzunehmen. Stimmen die Klischees, die beiden Metropolen anhaften? Um diese Fragen ging es im dritten Panel zum Thema „Welt und Weltflucht – Leben und Schreiben in Tel Aviv / Berlin“.

In Katja Lange-Müllers „Böse Schafe“ und Raul Zeliks „Berliner Verhältnisse“ erscheint (West-)Berlin retrospektiv zwar als gemütliche „Nische“. Beide wehrten die provokante Frage, ob das, worüber Berliner Autoren schreiben, angesichts der Themen der israelischen Gäste „banal“ erscheine, jedoch selbstbewusst ab. „Berlin ist nicht langweilig“, so Katja Lange-Müller, dies sei vielleicht „das Beste“ an dieser Stadt. Der jahrzehntelang eingeübten Selbstbezüglichkeit Berlins steht offenkundig eine Art Verdrängungsstrategie in Israel entgegen.

Die Charakterisierung als „Blase“ sei in Bezug auf Tel Aviv sicherlich gerechtfertigt, sagte Ron Leshem. Leshem zeichnet in seinem hymnisch gefeierten Libanonkriegs-Roman „Wenn es ein Paradies gibt“ (2006 von Joseph Cedar unter dem Titel „Beaufort“ verfilmt) ein ebenso düsteres Bild der allgemeinen Stimmungslage in Israel wie Yiftach Ashkenazy in seinem feinfühligen Stimmenpastiche „Mein erster Krieg“. Während in Jerusalem „die Nerven blank liegen“, bewegten sich die Leute in der Hauptstadt vorwiegend im gleichen Milieu, so Leshem. Erbarmungslosigkeit und Eskapismus dienten zunehmend als Mittel der Alltagsbewältigung. Er verstehe seine Aufgabe als Schriftsteller darin, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, sie aufzurütteln und zu überzeugen.

Distanz wahren, um Nähe zu gewinnen

Was bleibt also von der Besonderheit der deutsch-israelischen Beziehungen, die durch den zivilisatorischen Bruch der Shoah markiert wird, und was folgt daraus für die deutsche Nahost-Politik? Diese Leitfrage bestimmte das Abschlusspanel „Im Spiegel des Anderen – Geschichtsbewusstsein und Gegenwartstauglichkeit“. In ihren einleitenden Worten lenkte Moderatorin Esther Schapira den Blick zunächst auf eine eindrückliche Diskrepanz im deutsch-israelischen Verhältnis: Trotz beeindruckender innenpolitischer Erfolge sei das Image Israels weltweit schlechter als jemals zuvor, das Land rangiere auf dem vorletzter Platz der internationalen Beliebtheitsskala, wohingegen Deutschland den ersten Platz belege. 64 Prozent der Deutschen bewerteten Israel negativ, während Deutschland von 65 Prozent der Israelis positiv gesehen wird.

Standpunkte und offene Fragen

Die deutsche Iran-Politik und die Frage nach einem möglichen EU- bzw. Nato-Beitritt standen im Mittelpunkt der Diskussion. Nach Ansicht von Prof. Micha Brumlik hat Deutschland ohne jeden Zweifel eine moralische und politische Verantwortung für das jüdische Volk. Den derzeitigen Verharmlosungsdiskurs in Bezug auf die Politik des Iran registriere er mit großer Beunruhigung und erwarte klare Sanktionen gegenüber dem Iranischen Atomprogramm. Die Androhung eines israelischen Genozids von Seiten des Iran sei „moralisch absolut unakzeptabel“. Auch Ralf Fücks, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung stimmte dem zu, indem er unter Bezugnahme auf den Staatsbesuch der Kanzerin die Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson bezeichnete. Ernsthaft zu bedenken sei die Einbindung Israels in die NATO, woraus sich im Falle eines Angriffs Beistandsverpflichtungen ergäben. Diese Sicherheitsgarantie könne jedoch nur im Zuge eines Verhandlungsfriedens mit den Palästinensern erfolgen. Grundsätzlich, so Fücks, solle die Rolle Deutschlands für Israel jedoch nicht überschätzt werden. Nur eine europäische Gesamtstrategie könne substanziell dabei helfen, den Nahostkonflikt einer Lösung näherzubringen.

Für den deutsch-israelischen Soziologen Natan Sznaider wäre ein EU-Beitritt – analog zur Einbindung etwa in europäische Sportevents – überhaupt nur denkbar bei gleichzeitiger Mitgliedschaft der Türkei. Israel könne sich keine „jüdisch-christliche Allianz“ gegenüber dem Islam leisten, sondern müsse sich ein eigenes Verhältnis mit dem Islam erhalten sowie ein „orientalisches Selbstverständnis“ entwickeln. Die Mischung aus europäischer und orientalischer Kultur bezeichnete er als Besonderheit, Chance und Erfolgsrezept Israels. Es sei wichtig für Israel, eine gewisse Distanz zu Europa bewahren, auch um sich dem Orient umso besser annähern zu können.

Seine Exzellenz der Botschafter Yoram Ben-Zeev stellte abschließend fest, dass NATO- und EU-Beitritt für Israel derzeit keine relevanten Alternativen seien. Das Land müsse seine Konflikte auch ohne diese Bündnisse lösen, die ohnehin derzeit selbst nach neuen Inhalten suchten. Einen positiven Ausblick bot Esther Schapira auf der Basis einer Umfrage, nach der 67 Prozent der jüdischen und 77 Prozent der arabischen Bevölkerung ihre Zustimmung zu Israel betonten. Diese Zahlen stimmen in der Tat hoffnungsfroh, dass dieser so junge und bedrohte Staat eines Tages in friedlicher Koexistenz mit seinen Nachbarn leben kann.

Kulturelle Begegnungen wie die deutsch-israelischen Literaturtage könnten dann von existenziellen Fragen stärker absehen und sich ausschließlich dem widmen, was uns alle bewegt: der reichen Formenvielfalt der Kunst.


Weitere Informationen über die deutsch-israelischen Literaturtage