In dem von Israel annektierten Ostjerusalem ist an öffentliche Unterstützung für die PLO (die Palästinensische Befreiungsorganisation von engl. Palestine Liberation Organization) nicht zu denken und im Gaza-Streifen hatte die Hamas Kundgebungen für Mahmud Abbas und die „Kampagne 194“ untersagt. Bis auf kleinere Demonstrationen in Jordanien war auch wenig von der palästinensischen Exilbevölkerung zu hören. Zahlreiche Kritiker der Autonomiebehörde warnten sogar vor möglichen negativen Auswirkungen des Antrags bei den Vereinten Nationen. Diese wurden weniger in der politischen Konfrontation mit den erklärten internationalen Gegnern der Initiative gesehen, in erster Linie Israel und die USA, als vielmehr in einer Vermischung des Mandats der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) mit dem der PLO.
Mahmud Abbas ist in Personalunion Vorsitzender der PLO und in Nachfolge Yasir Arafats Präsident der PA, die knapp 40% des Territoriums im Westjordanland verwaltet. In einem offenen Brief haben noch Ende August zahlreiche bekannte palästinensische Intellektuelle vor einer Abschwächung des Mandats der PLO gewarnt; sie haben damit in der Öffentlichkeit existierenden Befürchtungen Ausdruck gegeben, die PA würde als Vertreter/in eines virtuellen Staates in den Waffenstillstandslinien von 1967 auftreten, der israelisch besetzten Gebiete Westbank, Gaza Streifen und Ost-Jerusalem, während demgegenüber die PLO faktisch zu einer Interessensvertreter/in der Flüchtlinge in den angrenzenden arabischen Ländern werde.
Die eigentliche Kritik, verhalten oder offen, bestand jedoch darin, dass Mahmud Abbas keine politische Strategie angesichts des gescheiterten Verhandlungsprozesses besitze und mit der UN Initiative davon ablenken wolle. Bis in den September hinein erwarteten viele Beobachter einen Rückzug oder eine Abschwächung des palästinensischen Antrags. Noch kurz seiner Abreise nach New York hat Mahmud Abbas in einem Interview von einem unvorstellbarem Druck gesprochen, der auf ihm laste. Auf amerikanischer Seite wurde über eine mögliche Einstellung der Finanzhilfen an die Autonomiebehörde spekuliert. Von Frankreich kam der Vorschlag den Antrag auf Vollmitgliedschaft zugunsten eines erweiterten Beobachterstatus abzuschwächen.
Abbas und Autonomiebehörde gestärkt
Das Ausbleiben eines substanziellen Angebots zur Aufnahme bilateraler Verhandlungen mit Israel ließ Mahmud Abbas jedoch keine andere Wahl. In seiner Rede vor der Generalversammlung hat er diesen Punkt herausgestellt. Die PA sei auf all Forderungen des Nahost-Quartetts und der internationalen Organisationen eingegangen: „Wir haben uns in den letzten zwei Jahren trotz unseres unbestreitbaren Rechts auf nationale Selbstbestimmung einem Test unseres Anspruchs auf einen Staat ausgesetzt“ hat der PLO-Vorsitzende vor den Vereinten Nationen festgestellt. Und dieser Test sei von IWF, Weltbank und der UN als „bemerkenswerte Erfolgsgeschichte“ bezeichnet worden. Gemeint ist der Plan des PA Ministerpräsidenten in Ramallah, Salam Fayad. Dieser hatte 2009 unter dem Titel „Palestine: Ending the Occupation, Establishing a State“ ein Programm zur Staats- und Institutionenbildung vorgelegt, dass bis August 2011 zu Staatlichkeit führen sollte.
Das Programm entsprach den Vorstellungen des IWFs, der Weltbank und westlicher Regierungen von guter Regierungsführung, finanzieller Transparenz und Durchsetzung eines Gewaltmonopols. Er wurde international enthusiastisch begrüßt und zur Grundlage der Kooperation mit der PA gemacht. Insbesondere nach der Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen konnte die PA mit dem Salam Fayad Plan der internationalen Gemeinschaft eine Alternative bieten. In den vergangen zwei Jahren gelang es der PA ihre Behörden und Ministerien zu reformieren, die Abhängigkeit von externer Finanzierung zu reduzieren und die öffentliche Sicherheit ihrer Bürger verbessern. Gleichzeitig hat sie die Sicherheit der israelischen Bevölkerung garantiert und ist dafür sogar deutlich von israelischer Seite gelobt worden. Dennoch hatte der Plan vor allem das Ziel, Bedingungen für Staatlichkeit zu schaffen, die international garantiert werden müssten. Salam Fayyad hatte wiederholt erklärt, dass sein Plan nicht schaffen könne, was die Oslo-Abkommen versäumt hätten, nämlich das Recht auf einen eigenen Staat festzuschreiben. Dies könne nur durch eine bindende Resolution des Sicherheitsrates erreicht werden, der dadurch die Verantwortung für die Beendigung der militärischen Besatzung der internationalen Gemeinschaft überträgt.
Die ausbleibende Antwort auf das erfolgreiche Bestehen des Tests hat Mahmud Abbas mit dem seinem Antrag an den Sicherheitsrat der UN eingefordert. Seine Rede war auch an ein palästinensisches Publikum gerichtet, das sie entgegen aller Skepsis letztlich enthusiastisch aufgenommen hat. Tausende haben ihn bei der Liveübertragung auf dem Midan as-Sa’a, dem Uhrenplatz in Ramallah, mit Sprechchören gefeiert. Seine Rückkehr nach Ramallah kam einem Volksfest gleich. Hani al- Masri, Kolumnist in zahlreichen palästinensischen Zeitungen hat ihn als den „neuen Abbas“ beschrieben. Als einen politischen Führer, der es wagt angesichts der Kompromisslosigkeit Netanyahus und seines politischen Lagers die Unterstützung der USA aufs Spiel zu setzen. Der „alte Abbas“ hätte sich dem internationalen Druck gebeugt, wie er es noch bei der Vertagung der UN-Debatte über den Goldstone Berichts 2009 getan hatte. Die neue Haltung hat Mahmud Abbas eindeutig neue Sympathien auf der nationalen palästinensischen und der regionalen Ebene eingebracht. Jetzt kommt es auf die nächsten Schritte an.
Unabhängig von einer Entscheidung des Sicherheitsrats über den Antrag, hat die PLO bereits angedeutet, dass sie den Zeitplan des Nahost-Quartetts für neue Verhandlungen nur bei garantierter Durchsetzung des Siedlungsstopps und unter Bezug auf internationale Resolutionen akzeptieren würde. Das hieße im Klartext nur bei einer Durchsetzung der international anerkannten Parameter der Konfliktlösung, die von der Regierung Netanyahu abgelehnt werden. Getragen von steigenden nationalen und internationalen Sympathiewerten könnte Mahmud Abbas versuchen, die im Juni auf Eis gelegte palästinensische Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas wieder voranzubringen. Dies würde seine nationale Popularität weiter steigern und die Handlungsfähigkeit der Palästinensischen Autonomiebehörde vergrößern.
Strategie: Differenzen zwischen USA und EU vergrößern
Beide Seiten hatten im Juni angekündigt, die UN-Initiative abzuwarten, nachdem sie sich nicht auf die Ernennung einer Übergangsregierung einigen konnten. Dieser Schritt hätte auch das Potenzial, die Differenz zwischen amerikanischen und europäischen Positionen zu vergrößern. Das palästinensische Abkommen zur nationalen Versöhnung vom April 2011 wurde von amerikanischer Seite kategorisch abgelehnt, während es innerhalb der EU trotz starker Bedenken durchaus toleriert werden könnte. Aus palästinensischer Perspektive wäre dies eine erfolgreiche Strategie. Auch wenn nicht abzusehen ist, dass die EU sich mangels einer einheitlichen Außenpolitik als Vermittler in dem Konflikt anbietet, würde eine stärkere europäische Unterstützung die Internationalisierung des Konflikts auf Grundlage der Zwei-Staatenlösung erhöhen. Auch könnte sich Mahmud Abbas nach seinem erfolgreichen Auftritt vor den UN auf regionaler Ebene stärkere Unterstützung sichern.
Zu dem jetzigen Zeitpunkt ist nicht absehbar, welche Auswirkungen dies haben könnte. Allerdings werden die veränderten Bedingungen in den arabischen Ländern Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Konflikts und seiner Lösungsbemühungen haben. Ein einsames amerikanisches Veto und seine indirekte Unterstützung würde sich angesichts der steigenden Sympathiewerte der Palästinenser nicht gut machen. Es erhöht die ohnehin schon starke Polarisierung in der Region. Umso wichtiger sind Initiativen, die Garantien für die Umsetzung der Zwei-Staatenlösung bieten und nicht nur einen Zeitrahmen für Verhandlungen um der Verhandlungen willen.
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Joachim Paul des Middle East Office der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah