Die hausgemachte Ernährungskrise












17. April 2008

Christine Chemnitz, Heinrich-Böll-Stiftung



Von Christine Chemnitz

Das heute noch immer mehr als 854 Mio. Menschen auf der Welt Hunger leiden, liegt nicht am Fehlen von Nahrungsmitteln, sondern schlicht daran, dass so viele Menschen auf der Welt es sich nicht leisten können ausreichend Nahrungsmittel zu kaufen. Im Anbetracht dessen, dass gerade arme Bevölkerungsschichten bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben und die Preise allein im letzten Jahr (zwischen März 2007 und März 2008) um mehr als 57 % gestiegen sind, ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Hungernden aufgrund des neuen Preistrends weiter ansteigt.

Wie konnte es soweit kommen?

Eine Reihe unterschiedlicher Faktoren ist für den Anstieg der Lebensmittelpreise verantwortlich. Eine der zentralen Ursachen für die aktuelle Nahrungskrise im Süden ist die mit der Eingliederung der Landwirtschaft in den internationalen Handel einhergehende Liberalisierung des Agrarsektors.

Während die landwirtschaftlichen Sektoren im Süden sowohl im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme des IWF, als auch im Rahmen der WTO Verhandlungen zur Doha Runde weitgehend liberalisiert wurden, mussten sie weiter mit den recht gut geschützten und vor allem stark subventionierten Agrarprodukten aus den Industrieländern konkurrieren. Noch in den neunziger Jahren investierte die EU  mehr als 10 Milliarden Euro jährlich in Exportsubventionen. Zur gleichen Zeit wuchs in fast allen Regionen der Erde – bis auf die meisten Länder Afrikas der Ertrag pro Hektar kontinuierlich und die landwirtschaftlich genutzten Flächen wurden ausgeweitet. Das Ergebnis war, dass die Preise für Agrarprodukte auf dem internationalen Markt über Jahrzehnte gesunken sind.

Heute sind 105 der 148 Entwicklungsländer Netto-Importeure von Nahrungsmitteln und seit Anfang 2000 gibt es eine Trendwende der  bis dahin stetig sinkenden Agrarpreise. Die Ausgaben für die vormals so günstigen Importe steigen rasant und belasten nun die finanziell schwachen Volkswirtschaften. Die FAO geht davon aus, dass sich die Kosten für Getreideimporte der ärmsten Länder in 2007/2008 um mehr als 56% erhöhen werden und das nach einer vorherigen Steigerung von 37 Prozent in 2006/2007. Daten der FAO belegen, dass die Preise für Agrarprodukte zwischen 2000 und 2005 durchschnittlich weniger als 1,5 Prozent gestiegen sind. In 2006 dann um 9% und von Dezember 2006 bis Dezember 2007 um durchschnittlich 37 % sowie von März 2007 bis März 2008 noch einmal um durchschnittlich 57 Prozent. Alleine der Preis für Weizen ist zwischen März 2007 und März 2008 um mehr als 130% gestiegen.
Ursachen für den rasanten Anstieg der Preise gibt es viele sowohl auf der Nachfrageseite als auch auf der Produktionsseite. Die Hauptgründe für diese Entwicklung sind eine veränderte Nachfragestruktur des Nahrungsmittelkonsums, steigender allgemeiner Konsum, die Nachfrage nach Agrartreibstoffen, Spekulationen an den Finanzmärkten, Wetterbedingte Ernteausfälle, sinkende Lagerbestände und steigende Ölkosten.

Wie sich die Preise in den nächsten Jahren entwickeln werden ist unsicher. Das hängt zum einen davon ab, wie sich die Angebotsstruktur entwickelt – wie stark wird die landwirtschaftliche Fläche ausgedehnt? Welche neuen Produktionstechniken wird es geben, die den Ertrag erhöhen? Wie viel Wasser steht zur Produktion zur Verfügung? Wie wird sich das Klima in den verschiedenen Regionen auf die Produktion auswirken? Zum anderen wird die Nachfrage nach Agrartreibstoffen und Fleisch auf der Abnehmerseite für die weitere Entwicklung der Preise explizit wichtig sein.

Wie wirken sich die steigenden Agrarpreise aus?

Für all jene Netto-Konsumenten, die einen großen Teil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, egal ob sie auf dem Land oder in der Stadt leben, werden sich die hohen Preise fatal auf ihre Lebenssituation auswirken. Schon heute hungern mehr als 854 Mio. Menschen und gerade städtische Arme und Landlose werden unter den steigenden Preisen leiden.
Gleichzeitig eröffnen die hohen Preise auch Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung in ländlichen Räumen, jedenfalls für all jene Länder und Produzenten, die die Möglichkeit haben ihre Produktion auszuweiten und auf die veränderten Preise zu reagieren. Bessere Produzentenpreise und mehr Arbeitsplätze im ländlichen Raum könnten neue wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten in den so lange viel zu wenig beachteten ländlichen Gebieten im Süden vorantreiben. Dies kann aber nur passieren, wenn sich die politischen Rahmenbedingungen ändern. Die Gewährung von Landrechten, der Zugang zu Wasser, funktionierende ländliche Beratungssysteme und Forschung in lokal angepasste und nachhaltige Produktionstechniken – um nur einige der vielen politischen Handlungsfelder zu nennen, die zu einer gerechteren ländliche Entwicklung führen würden.

Eine Studie von Weltbank und IMF zeigt, dass die stärksten Verlierer der hohen Agrarpreise die meisten Länder im nördlichen und südöstlichen Afrika sein werden. Verlieren werden aber auch alle anderen Länder Afrikas, Süd-Ost Asiens und Mittelamerikas. Hinzu kommt, dass die hohen Nahrungsmittelpreise die Ungleichheiten innerhalb der Länder noch weiter verschärfen werden.

Welche kurz-, mittel- und langfristigen politischen Antworten muss es auf die Nahrungsmittelkrise geben?

Die politischen Forderungen und Reaktionen, die die hohen Agrarpreise mit sich bringen sind divers. Während einige Akteure, wie zum Beispiel die Weltbank eine weitere Liberalisierung, weitere Technologisierung und Intensivierung der Landwirtschaft fordern und darin die Lösung im Kampf gegen den Hunger sehen, fordern andere wie z.B. der Weltagrarbericht der UNESCO eine Besinnung auf klein strukturierte und ökologisch nachhaltige Landwirtschaft.

Eins ist klar, die rein ökonomische Betrachtung des Agrarsektors wird den Herausforderungen der Zukunft weder in sozialen noch in ökologischen Bereichen gerecht und wenn die hohen Agrarpreise eine Chance für die ländliche Entwicklung sein sollen, dann muss das Hauptziel sein, sie zu nutzen, um eine ökologische und faire Landwirtschaft zu fördern. Dazu bedarf es einer Agrarpolitik, die die multifunktionale Bedeutung der Landwirtschaft anerkennt und damit auch ihre ökologischen und sozialen Leistungen in gleichem Maße honoriert, wie die ökonomischen. Eine reine Deregulierung und weitere Exportorientierung, wie sie von der Weltbank gefordert wird, wird die Position der ländlichen Bevölkerung noch mehr schwächen.

Der EcoFair Trade Dialogue, der vor drei Jahren von der Heinrich-Böll-Stiftung und Misereor ins Leben gerufen wurde hatte zum Ziel, ein politisches Gegenkonzept zum heutigen Freihandel zu entwickeln. Basierend auf der Annahme, dass eine nationale Produktion von Nahrungsmitteln zur Ernährungssicherung Vorrang vor Exportproduktion haben sollte forderte er mehr politischen Spielraum, um die nationale Nahrungsmittelproduktion zu schützen. Er fordert, die Produktketten zu demokratisieren und damit sicher zustellen, dass die Produzenten von Agrargütern auch faire Preise für ihre Produkte bekommen und nicht, wie heute, ein großer Teil der Renten bei einigen wenigen Akteuren der Wertschöpfungskette (z.B. den Supermärkten oder den Exporteuren) verbleibt.

Auch die Weltbank muss aus dem Scheitern ihrer bisherigen Agrarpolitik Konsequenzen ziehen: Die 800 Millionen US-Dollar, die Robert Zoellick, für Investitionen in den Agrarsektor in Afrika bereit stellen will, müssten in lokal angepasste und nachhaltige Lösungen investiert werden, die den Kleinbauen direkt zugute kommen. Es macht keinen Sinn das Geld in Forschungen für hoch technologisierte Lösungen zu investieren, die dann weder lokal angepasst, noch von kleinbäuerlichen Produzentinnen finanzierbar sind. Kurzfristig ist klar, dass es Nothilfemaßnahmen für Hunger leidende Bevölkerungen geben muss. Die Weltbank hat 500 Mio. US-Dollar Soforthilfe zugesagt und auch die EU und die USA werden Nothilfegelder bereitstellen. Dies wird aber nur eine kurzfristige Bekämpfung des Symptoms sein und nichts an den Ursachen des Problems ändern.

Langfristig bleibt zu hoffen, dass die Kernaussagen des gestern veröffentlichten Weltagrarberichts der IAASTD (International Assessment of Agricultural Science and Technology for Development), an dem mehr als 400 Wissenschaftler weltweit mitgeschrieben haben ernst genommen wird. Er sagt, dass es einen radikalen und grundlegenden Wandel in der Agrarproduktion geben muss, um den Bedürfnissen von armen und hungernden Bevölkerungsschichten gerecht zu werden. Der technologische Fortschritt der letzten Jahrzehnte hat zwar zu immensen Ertragssteigerungen geführt, hat aber in keiner Weise zu mehr Gerechtigkeit und einer verbesserten Ernährungssituation in der Welt beigetragen. Daher fordern die Autoren des Weltagrarberichts dass wieder mehr Wert auf den Schutz natürlicher Ressourcen und nachhaltige Landnutzungsformen, regionale Vermarktungsstrukturen und traditionelles Wissen gelegt wird.




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