Archivierter Inhalt

Die Europäische Währungsunion auf dem Prüfstand

Foto: Stephan Röhl. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.
Teaserfoto: lhobas (Quelle: Flickr.com) Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

10. Mai 2010
von Thorsten Arndt
Ein Konferenzbericht von Thorsten Arndt

Die Schuldenkrise Griechenlands hat sich als Feuertaufe der immer noch jungen europäischen Währung entpuppt. Experten warnen bereits vor einem drohenden Zerfall der Euro-Zone. Dass diese Gefahr tatsächlich besteht, konnten auch die Gäste der Podiumsdiskussion "Die Europäische Währungsunion auf dem Prüfstand. Wege aus der Eurokrise" am 6. Mai in Berlin nicht völlig ausschließen. Ein frühzeitiges Ende des Euro-Experiments wird nur mit vorausschauendem Krisenmanagement und einer Reform der Währungsunion zu verhindern sein, darin waren sich alle Beteiligten einig. Offen blieb jedoch, wie weit die Neuordnung gehen müsste, um tatsächlich erfolgreich zu sein.


Der Geburtsfehler des Euro

Das explodierende Staatsdefizit und die Herabstufung der internationalen Kreditwürdigkeit Griechenlands haben ein Problem eskalieren lassen, das unter Fachleuten seit Jahren bekannt ist. Der Euro-Beitritt des Landes, der nur durch gefälschte Haushaltsstatistiken und das fahrlässige Wegschauen der  europäischen Politik zustande kam, wird heute generell als Fehler beurteilt. Griechenland als schwarzes Schaf zu behandeln, ginge jedoch am Kern des Problems vorbei. 
Ralf Fücks, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung und Moderator der Podiumsdiskussion, wies darauf hin, dass auch andere Euro-Länder stark verschuldet seien und in naher Zukunft vor ähnlichen Problemen wie Griechenland stehen könnten. Die Gefahr für den Euro resultiere aus dem institutionellen Geburtsfehler der Währungsunion, die zwar die Währungspolitik, nicht aber die Steuer-, Lohn- und Haushaltspolitik auf die europäische Ebene gehoben habe.

Karen Horn, Leiterin des Hauptstadtbüros des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), erinnerte daran, dass die Währungsunion von Beginn an ein "Wagnis" war, das aus bewusst politischen Gründen eingegangen worden sei. Es gebe aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht viele gute Gründe, nicht nur den Beitritt Griechenlands, sondern die Entstehung des Euro insgesamt zu beanstanden. Diese Debatte sei allerdings "kalter Kaffee" und werde bei der Bewältigung der  aktuellen Krise nicht weiterhelfen.


Das Milliardenpaket für Griechenland – eine Rettung auf Zeit

Die umstrittenen Finanzhilfen, die am 7. Mai im Bundestag und Bundesrat bewilligt wurden, werden Griechenland nach einhelliger Überzeugung der Podiumsgäste allenfalls etwas mehr Zeit zur Lösung seiner Probleme verschaffen. Das Paket wird es dem Land erlauben, seinen Staatshaushalt in den kommenden drei Jahren durch vergünstigte Kredite der EU und des IWF zu decken. Unmittelbares Ziel der Kredite sei es, den spekulativen Druck der Finanzmärkte zu neutralisieren und einen akuten griechischen Staatsbankrott aufzuschieben, wie Reinhard Bütikofer, Mitglied des Europäischen Parlamentes, erläuterte. Gleichzeitig sei ein hoher Reformdruck auf die griechische Regierung aufgebaut worden, die sich verpflichten musste, ihr Haushaltsdefizit mit Hilfe eines harten Sparprogramms in drei Jahren von gegenwärtig 12 auf die Maastricht-Grenze von 3 Prozent zu drücken. Das Vorgehen der EU soll, so Bütikofer, auch die Entschlossenheit Europas demonstrieren, andere Krisenkandidaten wie Spanien und Portugal mit allen Mitteln zu verteidigen.

Ohne weitergehende europäische Hilfe wird sich das Land allerdings kaum erholen können. Die geringe Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands wurde von Daniela Schwarzer von der Stiftung Wissenschaft und Politik als wichtige Ursache für den extremen Vertrauensverlust der internationalen Finanzmärkte ausgemacht. Griechenlands Exportschwäche sei allerdings nicht nur auf innenpolitische Fehler und Versäumnisse, sondern auch auf eine mangelhafte europäische Kooperation zurückzuführen. Nicht zuletzt habe die exportorientierte deutsche Wirtschaftspolitik ihren Teil zum griechischen Leistungsbilanzdefizit beigetragen.

Kann es der griechischen Regierung angesichts dieser strukturellen Probleme gelingen, ihren "Augiasstall" mit Hilfe bzw. unter dem Druck der EU "auszumisten"? Ralf Fücks meldete ernste Zweifel an. Es sei völlig offen, ob radikale Maßnahmen wie die Senkung der Löhne von Staatsangestellten und die Erhöhung des Rentenalters bei gleichzeitigen massiven Steuererhöhungen gegen den verbreiteten Widerstand der griechischen Bevölkerung durchzusetzen seien. Zudem werde die von Griechenland erwartete "Rosskur" prozyklisch und damit krisenverschärfend wirken. Selbst im offiziell erwarteten Szenario werde die Verschuldung des Landes in drei Jahren von gegenwärtig 125 auf etwa 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anwachsen.

Karen Horn teilte die Skepsis von Ralf Fücks und hielt eine lang anhaltende Depression der griechischen Wirtschaft für eine fast zwangsläufige Folge des Sparprogramms. Das zögerliche und widersprüchliche Auftreten der europäischen Politik habe allerdings bessere Handlungsalternativen systematisch verbaut. Aus diesem Grund treffe die von der Politik immer wieder gern behauptete "Alternativlosigkeit" für das griechische Hilfspaket tatsächlich zu.


Griechenland darf nicht pleitegehen

Die angebliche Alternativlosigkeit des EU-Krisenplans blieb nicht ohne Widerspruch. Aus dem Publikum wurde auf den Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman verwiesen, der einen Euro-Ausschluss Griechenlands für möglich hält. Ralf Fücks zitierte mit Joseph Stiglitz einen weiteren Nobelpreisträger, der gar einen Euro-Ausstieg Deutschlands bzw. eine Teilung der Euro-Zone in zwei Subregionen in Betracht zieht. Die Option einer Umschuldung bzw. Insolvenz Griechenlands stehe ebenfalls im Raum, so Fücks. Dies würde praktisch bedeuten, dass Banken und Finanzinstitute, die unter bewusster Inkaufnahme des beträchtlichen Risikos in griechische Staatsanleihen investiert haben, auf eine Rückzahlung ihres Geldes lange warten oder zum Teil ganz verzichten müssten.

Aus moralischer und marktwirtschaftlicher Sicht wäre ein solches Vorgehen klar zu begrüßen, meinte Karen Horn. Die Politik wiederhole gerade ihren Fehler der Finanzkrise, als sie die verstrickten Banken ebenfalls ohne Gegenleistung gerettet habe. Aus deutscher Sicht sei dies nur erklärlich, da mit der Hypo Real Estate und der Commerzbank zwei Institute betroffen wären, die zum Teil verstaatlicht sind. Reinhard Bütikofer bestätigte dieses Argument und erläuterte, dass eine Belastung der beiden Banken den Steuerzahler sofort treffen würde. Bei dem beschlossenen Hilfspaket handele es sich dagegen um Kredite, die von Griechenland verzinst zurück gezahlt werden müssten. Eine Insolvenz Griechenlands lehnte Bütikofer vor allem wegen der politischen Signalwirkung ab, die spekulative Angriffe auf weitere Euro-Länder und einen völligen Vertrauensverlust in das europäische Integrationsprojekt zur Folge hätte.

Ein Euro-Ausschluss Griechenlands oder eine Teilung der Euro-Zone wurde von allen Podiumsgästen vehement zurück gewiesen. Karen Horn bezeichnete derartige Überlegungen als "akademische Diskussion", die praktisch kaum umzusetzen seien. Griechenland stünde nach einer Wiedereinführung der Drachme vor noch größeren Problemen als heute. Daran würde aufgrund der schwachen Wirtschaftsleistung auch eine Geldabwertung nichts ändern. Eine Aufteilung der Euro-Zone würde dagegen nur den endgültigen Kollaps der Gemeinschaftswährung einleiten.


Kann der Euro "repariert" werden?

Eine Stabilisierung Griechenlands kann selbst im Erfolgsfall nur der erste Schritt zur Rettung des Euro sein. Ohne eine Reform der Eurozone wäre es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Krisenfall eintritt. Verhindern ließe sich dies nach Überzeugung von Ralf Fücks nur, wenn der Geburtsfehler des Euro nachträglich korrigiert würde. Die Krise müsse für eine "Flucht nach vorn" genutzt werden, um die europäische Integration auf eine neue Stufe zu heben und die institutionellen Grundlagen für eine gemeinschaftliche Wirtschafts- und Fiskalpolitik zu schaffen.

Wäre eine derart weitreichende Änderung des Maastricht-Vertrags und des Stabilitätspakts politisch durchsetzbar? Reinhard Bütikofer teilte durchaus die  Zielsetzung von Ralf Fücks, zweifelte als EU-Parlamentarier gleichwohl daran, dass die europäische Politik gegenwärtig die Kraft für einen großen Integrationssprung aufbringen kann.
Daniela Schwarzer und Karen Horn waren beide davon überzeugt, dass europäische "Königswege" gerade in Fragen der Haushaltspolitik immer auf nationale Souveränitätsvorbehalte treffen werden. So sei z.B. ein aus technokratischer Perspektive vorstellbares "Abnicken" staatlicher Budgets durch EU-Fiskalexperten aus nationaler Sicht undenkbar. Die beträchtlichen Unterschiede in den wirtschaftspolitischen Philosophien der Mitgliedstaaten dürften auch künftig kaum geringer werden, meinte Karen Horn. Es müsse deshalb darum gehen, alternative Verfahren innerhalb des bestehenden Vertragswerks zu etablieren.
Eine simple Verschärfung der Strafzahlungen für Defizitsünder würde nach Ansicht von Horn allerdings zu kurz greifen und eine Schuldenkrise nur noch vertiefen. Stattdessen könnten die Euro-Länder angehalten werden, Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild in ihre nationalen Verfassungen aufzunehmen. Im Fall ernster Verwerfungen wäre es zudem sinnvoll, ein Austrittsverfahren einzelner Länder aus der Euro-Zone zu formalisieren.

Daniela Schwarzer konkretisierte, dass angesichts der Erfahrungen mit Griechenland unbedingt ein "Krisenmanagement-Mechanismus" installiert werden müsse. Die überraschende Eskalation der Griechenland-Krise sei nicht zuletzt auf mangelnde Haushaltstransparenz und das Fehlen vertrauenswürdiger Statistiken zurückzuführen. Um dies künftig auszuschließen, würde es zum Teil bereits genügen, die bestehenden Maastricht-Instrumente effektiv umzusetzen und vorher ignorierte Kennziffern staatlicher und privater Verschuldung zu beachten. Liquiditätsprobleme von Euro-Staaten könnten durch Kredite eines "Europäischen Währungsfonds" überbrückt werden. Für den Fall der Fälle sollten schließlich auch geordnete Staatsinsolvenzen ermöglicht werden, so Schwarzer.

Um die Eurokrise zu überwinden, wird Europa mehr Gemeinsamkeit zulassen und gleichzeitig mehr Eigenverantwortung erzwingen müssen. Oder, wie es Ralf Fücks in seinen abschließenden Worten ausdrückte: die "Quadratur des Kreises".


Weitere Informationen zum Thema: