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Ernüchterung und Bitterkeit in Bonn

Lesedauer: 6 Minuten
Foto: Aussiegall. Dieses Foto steht unter einer Creative Commons-Lizenz

9. April 2009
Von Lili Fuhr
Von Lili Fuhr

Vielleicht ist es mit den Klimaverhandlungen wie mit dem Frühlingswetter: Die sonnige Stimmung verspricht mehr, als die Substanz hergibt. Draußen erfreuen die hohen Temperaturen und der blaue Himmel und täuschen die Passanten darüber hinweg, dass fast alle Bäume kahl und der letzte Nachtfrost noch nicht ausgestanden sind. Im Konferenzzentrum des Bonner Maritims ist die Stimmung wesentlich besser als noch vor vier Monaten während der frustrierenden Klimagipfeltage im polnischen Poznan – doch dafür gibt es eigentlich keinen Grund.

Die Verhandlungen sind nach wie vor festgefahren

Bis zum Kopenhagener Gipfel im Dezember 2009 bleiben acht Monate, und in den Schlüsselfragen eines zukünftigen Klimaabkommens ist kein substanzieller Fortschritt erkennbar. Die winzigen Schritte, die mal vor- und mal zurückweisen, genügen bei Weitem nicht, die Welt auf einen neuen Entwicklungspfad zu bringen.

Die beiden Akteure, von denen trotz zahlreicher Enttäuschungen in Poznan viele gehofft hatten, dass sie die Verhandlungsdynamik beleben, haben maßgeblich versagt. Zwar hat der Auftritt des US-Chefunterhändlers Todd Stern in Bonn tosenden Beifall geerntet, und ist es Balsam für die Seele zu hören, dass auch die USA die Klimawissenschaft ernst nehmen und gewillt sind, ihren Beitrag zu leisten. Was sie aber bislang konkret auf den Tisch legen, genügt nicht, um den Klimawandel global zu bekämpfen.

In Poznan hatte man noch auf den EU-Gipfel im März gehofft, auf Zusagen und Zahlen, die die Finanzierung von Klimaschutz, Anpassung und Technologie für die Entwicklungsländer betreffen. Inzwischen ist nicht nur klar, dass mit solchen konkreten Zahlen wohl kaum vor der Jahresmitte zu rechnen ist. Es ist auch deutlich geworden, dass sich die EU mit einer fatalen Strategie in die Verhandlungen begibt: Dass sie nicht nur keine eigene Zusagen auf den Tisch legt, sondern massive Eigenanstrengungen von den Entwicklungs- und Schwellenländern abverlangt, die diese zu geben nicht bereit sein werden.

Wie ist also die Bilanz nach zehn Tagen Zwischenverhandlungen in Bonn?

  • Emissionsreduktion

    Es gibt so gut wie keinen Fortschritt bei den Emissionsreduktionszielen der Industrieländer. Die Gesamtanstrengung genügt nicht für eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf unter zwei Grad, was als Schwelle für gefährlichen und unkontrollierbaren Klimawandel gilt und von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen unterstrichen, wenn nicht gar verschärft wird. Von anderer Front gibt es sehr viel mehr Klarheit in dieser Frage und auch konkrete Zahlen: Ärmere Entwicklungsländer machen ihrem Unmut Luft, indem sie konkrete Zahlen für die Industrieländer fordern (insgesamt mindestens 45 Prozent  gegenüber 1990 bis 2020 und über 95 Prozent bis 2050).

    Da es sich um ein koordiniertes Vorgehen verschiedener Verhandlungsblöcke handelt, ist diese Strategie interessant und auch zeitlich gut eingesetzt, da in wenigen Wochen der erste Entwurf des Verhandlungstextes vorliegen soll. Die Forderungen der Entwicklungsländer haben die NGOs in Bonn zu ambitionierteren Positionen herausgefordert. Unklar ist, welche Rolle den größeren Emittenten unter den Schwellenländern zukommt, und welchen rechtlichen Rahmen ihr Beitrag in einem Kopenhagen-Abkommen haben müsste – eine Kernfrage der Verhandlungen.

  • Klimafinanzierung

    Die Frage der Klimafinanzierung ist zu einer der zentralen im Verhandlungsprozess geworden. Zahlreiche Vorschläge für eine zukünftige Finanzarchitektur und mögliche Finanzierungsquellen liegen auf dem Tisch. Zu einem ernsthaften Verhandlungsprozess mit konkreten Angeboten der Industrieländer ist es aber noch nicht gekommen. Strategisch hängt das auch mit der Dynamik anderer Prozesse zusammen, in denen über globale Finanzen und Institutionen verhandelt wird (G8, G20). Hinzu kommt, dass die wahren Kosten für Klimaschutz, Anpassung und die notwendigen Technologien in Entwicklungsländern nur schwer einzuschätzen sind und es den meisten schlicht an Vorstellungskraft fehlt, wie solche Summen zu bewältigen sein sollen (finanziell, institutionell und aus Gerechtigkeitssicht). 

  • Chance auf ein Abkommen

    Über die rechtliche Form eines Kopenhagen Abkommens gibt es bislang keinerlei Übereinkunft. Auch das Zusammenspielen der beiden Verhandlungstracks (auf der einen Seite die Verpflichtungen und vertieften Reduktionsziele der Kyoto-Protokoll-Parteien, auf der anderen Seite die langfristige kooperative Zusammenarbeit aller Unterzeichner der Klimarahmenkonvention, die sich auf den Bali Action Plan bezieht). Die Debatte wird von den einzelnen Parteien verhandlungstaktisch genutzt, um die Durchsetzung der eigenen Interessen zu ermöglichen.

  • Entwicklungs- und Schwellenländer

    Innerhalb des Blocks der Entwicklungs- und Schwellenländer (G77) sind weitere Ausdifferenzierungen zu erkennen. Neben den Forderungen der ärmsten Entwicklungsländer nach höheren Reduktionszielen für die Industrieländer hat sich in Bonn vor allem Südafrika mit einem äußerst progressiven Vorschlag für eine gerechte Lastenteilung (basierend auf den Greenhouse Development Rights) nach vorne gewagt und damit auch positive Diskussionen innerhalb anderer Delegationen ausgelöst. Trotz massiver interner Differenzen und Konflikte eint die G77, dass sich ihre historischen Erfahrungen internationaler Zusammenarbeit auf gebrochene Versprechen, Durchsetzung von Eigeninteressen der Industrieländer und Hinterzimmerdeals beschränken. Eine Wiederholung für Kopenhagen wollen sie vermeiden.

Ist kein Deal besser als ein schlechter Deal?

Mit dem Business as usual internationaler Verhandlungen, wie er in Bonn sichtbar geworden ist, wird es keinen globalen Deal in Kopenhagen geben. Wir riskieren sowohl den Klimaschutz als auch die Entwicklungschancen von Milliarden von Menschen. Doch ist kein Deal besser als ein schlechter Deal? Wie messen wir, was ein guter Deal ist?

Es ist mehr als wahrscheinlich, dass sich die meisten Nichtregierungsorganisationen, die sich in den letzten Jahren vor allem in den Korridoren und Lobbys der Konferenzzentren sowie als Beobachter in den Klimaverhandlungen gewartet haben, um von dort effektiv Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen, in Kopenhagen auf die Straße gehen werden, um dort ihrem Unmut Luft zu machen und den Druck zu erhöhen.

Einige – und nicht wenige – haben die Hoffnung in den UN-Prozess gänzlich aufgegeben. So ergeht es auch den kleinsten und ärmsten Entwicklungsländern: Angesichts der Verlagerung der Verhandlungen in intransparente und exklusive Foren wie die G20, G8 und das Major Economies Forum von Barack Obama befürchten sie, dass die wichtigen Deals ohne sie und ohne Rücksicht auf ihre Interessen geschlossen werden. Was ihnen bliebe, wäre ein Abnicken der Ergebnisse beim Zusammentreffen der UN-Generalversammlung im September, für die UN-Generalsekretär Ban Ki-moon einen Sonderklimagipfel einberufen hat.

Nationale Öffentlichkeiten mobilisieren

Was also tun, wenn der inklusive Prozess in all seiner Komplexität und unpolitischen Natur, der kaum Raum bietet für Heldentaten und grundsätzliche Sinneswandlungen, nicht den notwendigen Fortschritt bringt und ein Deal der Großen und Mächtigen die Gefahr birgt, wichtige Anliegen und Prinzipien der Ärmsten unter den Tisch zu kehren? Die Bewahrung größtmöglichster Transparenz – unter anderem durch die Beteiligung der Zivilgesellschaft auf allen Ebenen – sowie eine massive Mobilisierung der nationalen Öffentlichkeiten (so schwierig das in der Vergangenheit mit dem Klimathema auch war) erscheinen mir als zwei zentrale – wenn auch gänzlich unzureichende – Puzzleteile.

Was dann noch fehlt, ist entscheidend: politische Einsicht, dass nur globale Zusammenarbeit und Gerechtigkeit uns allen eine Zukunft auf diesem Planeten sichern können. An dieser Frage dürfen wir einfach nicht scheitern!

Mehr zu den Klimaverhandlungen: im Blog Klima der Gerechtigkeit

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