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Kenia - Politische Partizipation in einer patriarchalischen Kultur

Kenias Politik bleibt weiterhin von Männern bestimmt. Die Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt daher Frauen, die politische Ämter anstreben und die Entwicklung einer gender-gerechten Politik in Kenia. -> Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen über und aus Afrika.

In einem Kontinent voller patriarchalischer Gesellschaften stellt Kenia keine Ausnahme dar: Obwohl das wirtschaftlich stärkste Land Ostafrikas sich gern als Führungsmacht der Region betrachtet und über moderne, international vernetzte Institutionen verfügt, bleibt die kenianische Politik durch Männer – und zwar vor allem durch alte Männer – geprägt. Sie mobilisieren in Wahlkämpfen lokale oder ethnische Loyalitäten, sie schmieden Netzwerke und politische Allianzen zur Eroberung der Macht. Erst einmal in Regierungsämtern, nutzen sie ihre Kontrolle über staatliche Institutionen und Entscheidungen zu Selbstbereicherung und weiterer Stärkung ihrer Position. Bislang haben sie es immer wieder vermocht, Initiativen zur rechtlichen Besserstellung von Frauen – etwa eine Modernisierung der noch aus der Kolonialzeit stammenden Familiengesetzgebung – zu blockieren.

Perspectives Afrika: In dieser englischsprachigen Publikationsreihe wollen wir Fachleuten aus Afrika eine Plattform bieten, ihre Ansicht zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen ihrer Regionen zu veröffentlichen. Perspectives Africa legt dabei den Fokus auf Standorte im Süden, Osten und Westen des Kontinentes an denen die Heinrich-Böll-Stiftung mit Regionalbüros vertreten ist.

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Weder das Ende der Herrschaft der ehemaligen Staatspartei KANU (Kenya African National Union) und der Regierungsantritt der National Rainbow Coalition (NARC) Ende 2002 noch die Verwerfungen, die aus der Krise nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 27. Dezember 2007 resultierten, haben an dieser politischen Kultur etwas Entscheidendes geändert. Die im April 2008 gebildete «Große Koalition » unter Präsident Mwai Kibaki und Premierminister Raila Odinga beendete zwar die Gewalteskalation, doch haben seither – nach mehreren Korruptionsskandalen und zahllosen internen Querelen – viele „wananchi“ («einfache Leute») das Vertrauen in die Fähigkeit der politischen Klasse verloren, die anstehenden Reformen zu bewältigen.

Nur wenige Frauen im kenianischen Parlament

Die Dominanz patriarchalischer Strukturen in Kenias Politik und Gesellschaft wird an der geringen Zahl der Frauen unter den Abgeordneten des Parlaments deutlich. 2002 gab es unter den 210 gewählten Abgeordneten nur acht Frauen; zehn weitere wurden von den Parteien nominiert. Unter den Gewählten waren starke, auch international bekannte Persönlichkeiten, die Prominenteste unter ihnen Wangari Maathai, Gründerin des Green Belt Movement (GBM) und Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2004. Im Gesamtbild aber fiel Kenia weit hinter die Standards der Nachbarländer zurück, die im Parlament rund 30 Prozent Frauen haben – ganz zu schweigen von Ruanda, wo sie heute sogar die Mehrheit bilden.

«Die auch im regionalen Vergleich so geringe Zahl von Frauen in Kenias Parlament zeigt das Fortbestehen patriarchalischer Machtverhältnisse in dieser Gesellschaft besonders drastisch auf», sagt Axel Harneit-Sievers, Leiter des Regionalbüros für Ostafrika und das Horn von Afrika mit Sitz in Nairobi. Zugleich jedoch, so betont er, gibt es zahlreiche Kräfte in Kenia, insbesondere die gut organisierten Frauenrechts- und andere zivilgesellschaftliche Organisationen, die diesen Verhältnissen entgegenarbeiten.

Engagierte Frauenorganisationen

«Frauenrechtlerinnen in Kenia haben in den letzten Jahren beachtliche Erfolge darin gehabt, das öffentliche Bewusstsein für Gender-Fragen zu schärfen, und die kenianische Politik hat begonnen, die Forderung nach Gender-Gerechtigkeit zumindest rhetorisch ernst zu nehmen. Jetzt gilt es, diesen eher diskursiven Fortschritt in realen politischen Machtzuwachs zu verwandeln: durch verstärkte weibliche Repräsentation in den Institutionen ebenso wie durch verbesserte Einbeziehung von Gender-Perspektiven in politische Entscheidungsprozesse.»

Gender-Foren

Jeden Monat von der Heinrich-Böll-Stiftung organisierte Diskussionsveranstaltungen zielen – in einem Mix aus Schwerpunktthemen und aktuellen Debatten – darauf ab, das Bewusstsein für die Gender-Dimension in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu wecken. 2007 standen diese «Gender-Foren» ganz im Zeichen der anstehenden Wahlen und konzentrierten sich auf die spezifischen Probleme, mit denen Frauen beim Einstieg in die Politik konfrontiert sind: nicht allein Gender-Stereotypen und Mangel an Mitteln für den Wahlkampf, sondern auch Drohungen mit Gewalt.

Das Engagement zahlreicher Organisationen zeigte in den Wahlen Ende 2007 begrenzten Erfolg: 15 Frauen zogen als Vertreterinnen ins Parlament (mit insgesamt 210 gewählten Abgeordneten) ein. Weitere sechs wurden von den Parteien ernannt (von insgesamt zwölf Nominierungen), so dass die Frauenquote im kenianischen Parlament 9,5 Prozent erreicht. Um die rechtliche Stellung von Frauen in Kenia zu verbessern, wird also weiter beharrlicher Druck aus der Zivilgesellschaft und speziell der Frauenrechtsorganisationen nötig sein.

Gewalt gegen Frauen

Eine Reihe legislativer Reformprojekte ist seit Jahren in der Diskussion, doch bisher ist allein die Sexual Offences Bill (2006) verabschiedet worden, die Frauen besseren Schutz und vor allem auch eine verbesserte rechtliche Position im Falle von Übergriffen bietet. Die Heinrich-Böll-Stiftung förderte Sensibilisierungs- und Trainingsmaßnahmen für Polizei und Strafverfolger, damit diese das neue Gesetz besser umsetzen können.

Dazu trugen auch zwei Partnerorganisationen bei: Das African Women’s Development and Communication Network (FEMNET) und die Coalition on Violence Against Women (COVAW) leisten den Opfern von geschlechtsspezifischer Gewalt Hilfe und kämpfen für verbesserten rechtlichen und praktischen Schutz. Nach der Wahl vom Dezember 2007 war es im Rahmen der Unruhen zu zahlreichen gewalttätigen Übergriffen gegen Frauen gekommen: von sexueller Nötigung bis hin zu Gruppenvergewaltigungen. FEMNET und COVAW sowie andere Partner der Stiftung haben das der Waki-Kommission zur Untersuchung der Gewalt mit dem nötigen Nachdruck vorgetragen. Der Bericht der Kommission widmete dem Problem daraufhin ein eigenes Kapitel – diese in der Vergangenheit meist unter den Tisch gekehrte Seite von politischen Auseinandersetzungen wird nun öffentlich diskutiert.

Arbeit mit staatlichen Akteuren

Parallel dazu hat die Stiftung in Kenia begonnen, ihre Arbeit im Gender-Bereich verstärkt auf einzelne staatliche Akteure und Regierungsinstitutionen zu richten, die sich für die Integration von Gender-Perspektiven in ihre Arbeit offen zeigen. So ließ das Büro eine Studie erarbeiten, die Perspektiven zur konzeptionellen Weiterentwicklung des Constituency Development Fund (einer dezentralen Institution zur Finanzierung lokaler Entwicklung auf Wahlkreisebene) vorstellt, um die Belange von Frauen und benachteiligten Gruppen besser zu berücksichtigen. Parallel dazu wurden Studien und Beratungsaktivitäten zur Berücksichtigung der Gender-Dimension in der Zuteilung öffentlicher Finanzmittel («gender budgeting») in spezifischen Sektoren (z. B. Wasser) und in Planungsprozessen initiiert. Eine moderne Gender-Politik findet im heutigen Kenia auch im Regierungsapparat ihre Alliierten. Sie brauchen allerdings die Unterstützung der Zivilgesellschaft, um im patriarchalisch und bürokratisch geprägten institutionellen Umfeld Fortschritte zu erzielen.